"Wenn wir Naturgegenstände, besonders aber die lebendigen, dergestalt gewahr werden, dass wir uns eine Einsicht in den Zusammenhang ihres Wesens und Wir- kens zu verschaffen wünschen, so glauben wir zu einer solchen Kenntniss am besten durch Trennung der Theile gelangen zu können; wie denn auch wirklich dieser Weg uns sehr weit zu führen geeignet ist. Was Chemie und Anatomie zur Ein- und Uebersicht der Natur beigetragen haben, dürfen wir nur mit wenig Worten den Freunden des Wissens in's Gedächtniss zurückrufen.
"Aber diese trennenden Bemühungen, immer und immer fortgesetzt, bringen auch manchen Nachtheil hervor Das Lebendige ist zwar in Elemente zerlegt, aber man kann es aus diesen nicht wieder zusammenstellen und beleben. Dieses gilt schon von vielen anorganischen, geschweige von organischen Körpern.
"Es hat sich daher auch in dem wissenschaftlichen Menschen zu allen Zeiten ein Trieb hervorgethan, die lebendigen Bildungen als solche zu erkennen, ihre äusse- ren sichtbaren greiflichen Theile im Zusammenhange zu erfassen, sie als Andeutun- gen des Inneren aufzunehmen, und so das Ganze in der Anschauung gewissermaassen zu beherrschen. Wie nahe dieses wissenschaftliche Verlangen mit dem Kunst- und Nachahmungstriebe zusammenhänge, braucht wohl nicht umständlich ausgeführt zu werden.
"Man findet daher in dem Gange der Kunst, des Wissens und der Wissenschaft mehrere Versuche, eine Lehre zu gründen und auszubilden, welche wir die Mor- phologie nennen möchten."
Goethe (Jena, 1807).
„Wenn wir Naturgegenstände, besonders aber die lebendigen, dergestalt gewahr werden, dass wir uns eine Einsicht in den Zusammenhang ihres Wesens und Wir- kens zu verschaffen wünschen, so glauben wir zu einer solchen Kenntniss am besten durch Trennung der Theile gelangen zu können; wie denn auch wirklich dieser Weg uns sehr weit zu führen geeignet ist. Was Chemie und Anatomie zur Ein- und Uebersicht der Natur beigetragen haben, dürfen wir nur mit wenig Worten den Freunden des Wissens in’s Gedächtniss zurückrufen.
„Aber diese trennenden Bemühungen, immer und immer fortgesetzt, bringen auch manchen Nachtheil hervor Das Lebendige ist zwar in Elemente zerlegt, aber man kann es aus diesen nicht wieder zusammenstellen und beleben. Dieses gilt schon von vielen anorganischen, geschweige von organischen Körpern.
„Es hat sich daher auch in dem wissenschaftlichen Menschen zu allen Zeiten ein Trieb hervorgethan, die lebendigen Bildungen als solche zu erkennen, ihre äusse- ren sichtbaren greiflichen Theile im Zusammenhange zu erfassen, sie als Andeutun- gen des Inneren aufzunehmen, und so das Ganze in der Anschauung gewissermaassen zu beherrschen. Wie nahe dieses wissenschaftliche Verlangen mit dem Kunst- und Nachahmungstriebe zusammenhänge, braucht wohl nicht umständlich ausgeführt zu werden.
„Man findet daher in dem Gange der Kunst, des Wissens und der Wissenschaft mehrere Versuche, eine Lehre zu gründen und auszubilden, welche wir die Mor- phologie nennen möchten.“
Goethe (Jena, 1807).
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„Wenn wir Naturgegenstände, besonders aber die lebendigen, dergestalt gewahr
werden, dass wir uns eine Einsicht in den Zusammenhang ihres Wesens und Wir-
kens zu verschaffen wünschen, so glauben wir zu einer solchen Kenntniss am besten
durch Trennung der Theile gelangen zu können; wie denn auch wirklich dieser
Weg uns sehr weit zu führen geeignet ist. Was Chemie und Anatomie zur Ein-
und Uebersicht der Natur beigetragen haben, dürfen wir nur mit wenig Worten den
Freunden des Wissens in’s Gedächtniss zurückrufen.
„Aber diese trennenden Bemühungen, immer und immer fortgesetzt, bringen auch
manchen Nachtheil hervor Das Lebendige ist zwar in Elemente zerlegt, aber man
kann es aus diesen nicht wieder zusammenstellen und beleben. Dieses gilt schon
von vielen anorganischen, geschweige von organischen Körpern.
„Es hat sich daher auch in dem wissenschaftlichen Menschen zu allen Zeiten
ein Trieb hervorgethan, die lebendigen Bildungen als solche zu erkennen, ihre äusse-
ren sichtbaren greiflichen Theile im Zusammenhange zu erfassen, sie als Andeutun-
gen des Inneren aufzunehmen, und so das Ganze in der Anschauung gewissermaassen
zu beherrschen. Wie nahe dieses wissenschaftliche Verlangen mit dem Kunst- und
Nachahmungstriebe zusammenhänge, braucht wohl nicht umständlich ausgeführt zu
werden.
„Man findet daher in dem Gange der Kunst, des Wissens und der Wissenschaft
mehrere Versuche, eine Lehre zu gründen und auszubilden, welche wir die Mor-
phologie nennen möchten.“
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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. [2]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/41>, abgerufen am 23.11.2024.
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