Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

System der organischen Grundformen.
Weichthieren alle diejenigen, bei welchen durch ein ungleiches Wachs-
thum beider Hälften die Hauptaxe eine spiralige Drehung erfahren
hat (die meisten Gasteropoden), oder wo durch Anwachsen mit einer
Seite diese besonders angepasst ist (Pleuroconchae). Unter den Siphono-
phoren müssen wir als Eudipleure solche betrachten, bei denen das
dorsale und ventrale Antimer gänzlich verkümmert und bloss die bei-
den lateralen übrig geblieben sind, wie namentlich in den Deckstücken
und Fangfäden sehr vieler Physophoriden etc. Unter den Würmern,
deren allgemein herrschende Grundform die eutetrapleure ist, gehen
diejenigen in die eudipleure über, bei denen die beiden Antimeren
jeder Seitenhälfte sich so stark differenziren und zugleich die ganze
Person sich so centralisirt, dass man nur noch zwei laterale Anti-
meren, ein rechtes und ein linkes, an derselben unterscheiden kann.
Wir finden dies insbesondere bei den höchststehenden Chaetopoden
(Aphroditeen), bei den meisten Hirudineen und Gephyreen und vielen
Platyelminthen. Ebenso geht bei vielen Echinodermen-Ammen die
ursprüngliche eutetrapleure Grundform auf diese Weise in die eudi-
pleure über.

In sehr vielen Fällen der letzteren Art ist es, besonders bei den
Würmern, sehr schwer, zu entscheiden, ob die Grundform eigentlich
die eutetrapleure oder die eudipleure ist, weil man nicht mit Sicher-
heit mehr sagen kann, ob jede Körperhälfte nur aus einem einzigen
oder aus zwei Antimeren besteht. Dies gilt selbst für die niederen
Wirbelthiere. So z. B. zeigt uns bei den Fischen und selbst noch
bei den geschwänzten Amphibien jeder Querschnitt des Schwanzes
ganz offenbar die tetrapleure Form mit 4 Antimeren, dagegen jeder
Querschnitt des vorderen Körpertheiles eben so deutlich die dipleure
Form mit 2 Antimeren. Es bestätigt uns dies lediglich in unserer
Ansicht, dass die Eudipleuren-Form bei den Wirbelthieren ebenso wie
bei den Arthropoden erst eine secundär erworbene, und aus der ur-
sprünglichen Eutetrapleuren-Form hervorgebildet ist; wahrscheinlich
stammen die ersteren eben so wohl wie die letzteren von eutetra-
pleuren Würmern ab. Vergleichen wir den Querschnitt eines Fisch-
schwanzes mit dem Querschnitt eines Annelids (Nereis) Fig. 12, so
finden wir in der That viel grössere promorphologische Uebereinstim-
mung, als mit dem Querschnitt der vorderen Rumpfhälfte desselben
Fisches (Fig. 14). Die vier grossen Seitenrumpfmuskeln (Musculi
laterales)
zeigen unzweifelhaft die ursprüngliche Zusammensetzung aus
vier Antimeren an, ebenso wie die vier longitudinalen Muskelfelder
der Würmer. Die beiden dorsalen Seitenmuskeln der Fische werden von den
beiden ventralen durch eine sehnige Membran getrennt, welche in der
interradialen Lateralebene des Körpers, senkrecht auf der Median-
ebene liegt.

System der organischen Grundformen.
Weichthieren alle diejenigen, bei welchen durch ein ungleiches Wachs-
thum beider Hälften die Hauptaxe eine spiralige Drehung erfahren
hat (die meisten Gasteropoden), oder wo durch Anwachsen mit einer
Seite diese besonders angepasst ist (Pleuroconchae). Unter den Siphono-
phoren müssen wir als Eudipleure solche betrachten, bei denen das
dorsale und ventrale Antimer gänzlich verkümmert und bloss die bei-
den lateralen übrig geblieben sind, wie namentlich in den Deckstücken
und Fangfäden sehr vieler Physophoriden etc. Unter den Würmern,
deren allgemein herrschende Grundform die eutetrapleure ist, gehen
diejenigen in die eudipleure über, bei denen die beiden Antimeren
jeder Seitenhälfte sich so stark differenziren und zugleich die ganze
Person sich so centralisirt, dass man nur noch zwei laterale Anti-
meren, ein rechtes und ein linkes, an derselben unterscheiden kann.
Wir finden dies insbesondere bei den höchststehenden Chaetopoden
(Aphroditeen), bei den meisten Hirudineen und Gephyreen und vielen
Platyelminthen. Ebenso geht bei vielen Echinodermen-Ammen die
ursprüngliche eutetrapleure Grundform auf diese Weise in die eudi-
pleure über.

In sehr vielen Fällen der letzteren Art ist es, besonders bei den
Würmern, sehr schwer, zu entscheiden, ob die Grundform eigentlich
die eutetrapleure oder die eudipleure ist, weil man nicht mit Sicher-
heit mehr sagen kann, ob jede Körperhälfte nur aus einem einzigen
oder aus zwei Antimeren besteht. Dies gilt selbst für die niederen
Wirbelthiere. So z. B. zeigt uns bei den Fischen und selbst noch
bei den geschwänzten Amphibien jeder Querschnitt des Schwanzes
ganz offenbar die tetrapleure Form mit 4 Antimeren, dagegen jeder
Querschnitt des vorderen Körpertheiles eben so deutlich die dipleure
Form mit 2 Antimeren. Es bestätigt uns dies lediglich in unserer
Ansicht, dass die Eudipleuren-Form bei den Wirbelthieren ebenso wie
bei den Arthropoden erst eine secundär erworbene, und aus der ur-
sprünglichen Eutetrapleuren-Form hervorgebildet ist; wahrscheinlich
stammen die ersteren eben so wohl wie die letzteren von eutetra-
pleuren Würmern ab. Vergleichen wir den Querschnitt eines Fisch-
schwanzes mit dem Querschnitt eines Annelids (Nereis) Fig. 12, so
finden wir in der That viel grössere promorphologische Uebereinstim-
mung, als mit dem Querschnitt der vorderen Rumpfhälfte desselben
Fisches (Fig. 14). Die vier grossen Seitenrumpfmuskeln (Musculi
laterales)
zeigen unzweifelhaft die ursprüngliche Zusammensetzung aus
vier Antimeren an, ebenso wie die vier longitudinalen Muskelfelder
der Würmer. Die beiden dorsalen Seitenmuskeln der Fische werden von den
beiden ventralen durch eine sehnige Membran getrennt, welche in der
interradialen Lateralebene des Körpers, senkrecht auf der Median-
ebene liegt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0561" n="522"/><fw place="top" type="header">System der organischen Grundformen.</fw><lb/>
Weichthieren alle diejenigen, bei welchen durch ein ungleiches Wachs-<lb/>
thum beider Hälften die Hauptaxe eine spiralige Drehung erfahren<lb/>
hat (die meisten Gasteropoden), oder wo durch Anwachsen mit einer<lb/>
Seite diese besonders angepasst ist (Pleuroconchae). Unter den Siphono-<lb/>
phoren müssen wir als Eudipleure solche betrachten, bei denen das<lb/>
dorsale und ventrale Antimer gänzlich verkümmert und bloss die bei-<lb/>
den lateralen übrig geblieben sind, wie namentlich in den Deckstücken<lb/>
und Fangfäden sehr vieler Physophoriden etc. Unter den Würmern,<lb/>
deren allgemein herrschende Grundform die eutetrapleure ist, gehen<lb/>
diejenigen in die eudipleure über, bei denen die beiden Antimeren<lb/>
jeder Seitenhälfte sich so stark differenziren und zugleich die ganze<lb/>
Person sich so centralisirt, dass man nur noch zwei laterale Anti-<lb/>
meren, ein rechtes und ein linkes, an derselben unterscheiden kann.<lb/>
Wir finden dies insbesondere bei den höchststehenden Chaetopoden<lb/>
(Aphroditeen), bei den meisten Hirudineen und Gephyreen und vielen<lb/>
Platyelminthen. Ebenso geht bei vielen Echinodermen-Ammen die<lb/>
ursprüngliche eutetrapleure Grundform auf diese Weise in die eudi-<lb/>
pleure über.</p><lb/>
            <p>In sehr vielen Fällen der letzteren Art ist es, besonders bei den<lb/>
Würmern, sehr schwer, zu entscheiden, ob die Grundform eigentlich<lb/>
die eutetrapleure oder die eudipleure ist, weil man nicht mit Sicher-<lb/>
heit mehr sagen kann, ob jede Körperhälfte nur aus einem einzigen<lb/>
oder aus zwei Antimeren besteht. Dies gilt selbst für die niederen<lb/>
Wirbelthiere. So z. B. zeigt uns bei den Fischen und selbst noch<lb/>
bei den geschwänzten Amphibien jeder Querschnitt des Schwanzes<lb/>
ganz offenbar die tetrapleure Form mit 4 Antimeren, dagegen jeder<lb/>
Querschnitt des vorderen Körpertheiles eben so deutlich die dipleure<lb/>
Form mit 2 Antimeren. Es bestätigt uns dies lediglich in unserer<lb/>
Ansicht, dass die Eudipleuren-Form bei den Wirbelthieren ebenso wie<lb/>
bei den Arthropoden erst eine secundär erworbene, und aus der ur-<lb/>
sprünglichen Eutetrapleuren-Form hervorgebildet ist; wahrscheinlich<lb/>
stammen die ersteren eben so wohl wie die letzteren von eutetra-<lb/>
pleuren Würmern ab. Vergleichen wir den Querschnitt eines Fisch-<lb/>
schwanzes mit dem Querschnitt eines Annelids <hi rendition="#i">(Nereis)</hi> Fig. 12, so<lb/>
finden wir in der That viel grössere promorphologische Uebereinstim-<lb/>
mung, als mit dem Querschnitt der vorderen Rumpfhälfte desselben<lb/>
Fisches (Fig. 14). Die vier grossen Seitenrumpfmuskeln <hi rendition="#i">(Musculi<lb/>
laterales)</hi> zeigen unzweifelhaft die ursprüngliche Zusammensetzung aus<lb/>
vier Antimeren an, ebenso wie die vier longitudinalen Muskelfelder<lb/>
der Würmer. Die beiden dorsalen Seitenmuskeln der Fische werden von den<lb/>
beiden ventralen durch eine sehnige Membran getrennt, welche in der<lb/>
interradialen Lateralebene des Körpers, senkrecht auf der Median-<lb/>
ebene liegt.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[522/0561] System der organischen Grundformen. Weichthieren alle diejenigen, bei welchen durch ein ungleiches Wachs- thum beider Hälften die Hauptaxe eine spiralige Drehung erfahren hat (die meisten Gasteropoden), oder wo durch Anwachsen mit einer Seite diese besonders angepasst ist (Pleuroconchae). Unter den Siphono- phoren müssen wir als Eudipleure solche betrachten, bei denen das dorsale und ventrale Antimer gänzlich verkümmert und bloss die bei- den lateralen übrig geblieben sind, wie namentlich in den Deckstücken und Fangfäden sehr vieler Physophoriden etc. Unter den Würmern, deren allgemein herrschende Grundform die eutetrapleure ist, gehen diejenigen in die eudipleure über, bei denen die beiden Antimeren jeder Seitenhälfte sich so stark differenziren und zugleich die ganze Person sich so centralisirt, dass man nur noch zwei laterale Anti- meren, ein rechtes und ein linkes, an derselben unterscheiden kann. Wir finden dies insbesondere bei den höchststehenden Chaetopoden (Aphroditeen), bei den meisten Hirudineen und Gephyreen und vielen Platyelminthen. Ebenso geht bei vielen Echinodermen-Ammen die ursprüngliche eutetrapleure Grundform auf diese Weise in die eudi- pleure über. In sehr vielen Fällen der letzteren Art ist es, besonders bei den Würmern, sehr schwer, zu entscheiden, ob die Grundform eigentlich die eutetrapleure oder die eudipleure ist, weil man nicht mit Sicher- heit mehr sagen kann, ob jede Körperhälfte nur aus einem einzigen oder aus zwei Antimeren besteht. Dies gilt selbst für die niederen Wirbelthiere. So z. B. zeigt uns bei den Fischen und selbst noch bei den geschwänzten Amphibien jeder Querschnitt des Schwanzes ganz offenbar die tetrapleure Form mit 4 Antimeren, dagegen jeder Querschnitt des vorderen Körpertheiles eben so deutlich die dipleure Form mit 2 Antimeren. Es bestätigt uns dies lediglich in unserer Ansicht, dass die Eudipleuren-Form bei den Wirbelthieren ebenso wie bei den Arthropoden erst eine secundär erworbene, und aus der ur- sprünglichen Eutetrapleuren-Form hervorgebildet ist; wahrscheinlich stammen die ersteren eben so wohl wie die letzteren von eutetra- pleuren Würmern ab. Vergleichen wir den Querschnitt eines Fisch- schwanzes mit dem Querschnitt eines Annelids (Nereis) Fig. 12, so finden wir in der That viel grössere promorphologische Uebereinstim- mung, als mit dem Querschnitt der vorderen Rumpfhälfte desselben Fisches (Fig. 14). Die vier grossen Seitenrumpfmuskeln (Musculi laterales) zeigen unzweifelhaft die ursprüngliche Zusammensetzung aus vier Antimeren an, ebenso wie die vier longitudinalen Muskelfelder der Würmer. Die beiden dorsalen Seitenmuskeln der Fische werden von den beiden ventralen durch eine sehnige Membran getrennt, welche in der interradialen Lateralebene des Körpers, senkrecht auf der Median- ebene liegt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/561
Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 522. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/561>, abgerufen am 02.06.2024.