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Haeckel, Ernst: Die Perigenesis der Plastidule oder die Wellenerzeugung der Lebenstheilchen. Berlin, 1876.

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Vorfahren unserer heutigen Organismen aufdecken sollte,
ist aus bekannten Gründen im höchsten Maasse unvollständig
und lückenhaft. Sie würde uns selbst in ihren sehr wich¬
tigen Rest-Fragmenten kaum verständlich sein, wenn
wir nicht zu ihrer Ergänzung und Ausfüllung zwei andere,
höchst werthvolle Urkunden besässen: Die vergleichende
Anatomie und Ontogenie. Welche hohe Bedeutung hier
insbesondere der "vergleichenden Anatomie" zukommt, hat
vor Allen Carl Gegenbaur in seinen mustergültigen Arbeiten
gezeigt. Durch die gründliche Kenntniss, die denkende Ver¬
gleichung und die kritische Benutzung dieser drei wichtigsten
"Schöpfungs-Urkunden", der vergleichenden Anatomie, On¬
togenie und Paläontologie, wird es uns möglich, die Grund¬
züge der Phylogenie oder Stammesgeschichte zu erkennen.

Von der höchsten Wichtigkeit dafür ist vor Allem der
unmittelbare Causal-Nexus zwischen Ontogenie und Phylo¬
genie. Dieser bedeutungsvolle ursächliche Zusammenhang,
den schon die ältere Naturphilosophie vor einem halben
Jahrhundert ahnte, und den nächst Darwin vor Allen Fritz
Müller
betonte, lässt sich in folgendem Satze formuliren:
"Die Formenreihe, welche der individuelle Organismus
während seiner Entwickelung von der Eizelle an bis zu
seinem ausgebildeten Zustande durchläuft, ist eine kurze
gedrängte Wiederholung der langen Formenreihe, welche
die thierischen Vorfahren desselben Organismus, oder die
Stammformen seiner Art von den ältesten Zeiten der so¬
genannten organischen Schöpfung an bis auf die Gegenwart
durchlaufen haben." (Vergl. die gen. Morphol., Bd. II.,
S. 295-300. Jenaische Zeitschr. für Naturw. Bd. VIII.,
S. 5; Bd. IX., S. 409; Bd. X., Suppl., S. 77.)

Vorfahren unserer heutigen Organismen aufdecken sollte,
ist aus bekannten Gründen im höchsten Maasse unvollständig
und lückenhaft. Sie würde uns selbst in ihren sehr wich¬
tigen Rest-Fragmenten kaum verständlich sein, wenn
wir nicht zu ihrer Ergänzung und Ausfüllung zwei andere,
höchst werthvolle Urkunden besässen: Die vergleichende
Anatomie und Ontogenie. Welche hohe Bedeutung hier
insbesondere der „vergleichenden Anatomie“ zukommt, hat
vor Allen Carl Gegenbaur in seinen mustergültigen Arbeiten
gezeigt. Durch die gründliche Kenntniss, die denkende Ver¬
gleichung und die kritische Benutzung dieser drei wichtigsten
„Schöpfungs-Urkunden“, der vergleichenden Anatomie, On¬
togenie und Paläontologie, wird es uns möglich, die Grund¬
züge der Phylogenie oder Stammesgeschichte zu erkennen.

Von der höchsten Wichtigkeit dafür ist vor Allem der
unmittelbare Causal-Nexus zwischen Ontogenie und Phylo¬
genie. Dieser bedeutungsvolle ursächliche Zusammenhang,
den schon die ältere Naturphilosophie vor einem halben
Jahrhundert ahnte, und den nächst Darwin vor Allen Fritz
Müller
betonte, lässt sich in folgendem Satze formuliren:
„Die Formenreihe, welche der individuelle Organismus
während seiner Entwickelung von der Eizelle an bis zu
seinem ausgebildeten Zustande durchläuft, ist eine kurze
gedrängte Wiederholung der langen Formenreihe, welche
die thierischen Vorfahren desselben Organismus, oder die
Stammformen seiner Art von den ältesten Zeiten der so¬
genannten organischen Schöpfung an bis auf die Gegenwart
durchlaufen haben.“ (Vergl. die gen. Morphol., Bd. II.,
S. 295–300. Jenaische Zeitschr. für Naturw. Bd. VIII.,
S. 5; Bd. IX., S. 409; Bd. X., Suppl., S. 77.)

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[11/0017] Vorfahren unserer heutigen Organismen aufdecken sollte, ist aus bekannten Gründen im höchsten Maasse unvollständig und lückenhaft. Sie würde uns selbst in ihren sehr wich¬ tigen Rest-Fragmenten kaum verständlich sein, wenn wir nicht zu ihrer Ergänzung und Ausfüllung zwei andere, höchst werthvolle Urkunden besässen: Die vergleichende Anatomie und Ontogenie. Welche hohe Bedeutung hier insbesondere der „vergleichenden Anatomie“ zukommt, hat vor Allen Carl Gegenbaur in seinen mustergültigen Arbeiten gezeigt. Durch die gründliche Kenntniss, die denkende Ver¬ gleichung und die kritische Benutzung dieser drei wichtigsten „Schöpfungs-Urkunden“, der vergleichenden Anatomie, On¬ togenie und Paläontologie, wird es uns möglich, die Grund¬ züge der Phylogenie oder Stammesgeschichte zu erkennen. Von der höchsten Wichtigkeit dafür ist vor Allem der unmittelbare Causal-Nexus zwischen Ontogenie und Phylo¬ genie. Dieser bedeutungsvolle ursächliche Zusammenhang, den schon die ältere Naturphilosophie vor einem halben Jahrhundert ahnte, und den nächst Darwin vor Allen Fritz Müller betonte, lässt sich in folgendem Satze formuliren: „Die Formenreihe, welche der individuelle Organismus während seiner Entwickelung von der Eizelle an bis zu seinem ausgebildeten Zustande durchläuft, ist eine kurze gedrängte Wiederholung der langen Formenreihe, welche die thierischen Vorfahren desselben Organismus, oder die Stammformen seiner Art von den ältesten Zeiten der so¬ genannten organischen Schöpfung an bis auf die Gegenwart durchlaufen haben.“ (Vergl. die gen. Morphol., Bd. II., S. 295–300. Jenaische Zeitschr. für Naturw. Bd. VIII., S. 5; Bd. IX., S. 409; Bd. X., Suppl., S. 77.)

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Perigenesis der Plastidule oder die Wellenerzeugung der Lebenstheilchen. Berlin, 1876, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_plastidule_1876/17>, abgerufen am 24.11.2024.