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Haeckel, Ernst: Die Perigenesis der Plastidule oder die Wellenerzeugung der Lebenstheilchen. Berlin, 1876.

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zu jenem Gegensatze entfernen, der uns in der verschie¬
denen Zusammensetzung der grossen amoeboiden Eizelle
und der kleinen flagellaten Spermazelle bei den meisten
Thieren so auffallend vor Augen liegt. Auch das ist wieder
nur eine besondere und stark ausgebildete Form der Ar¬
beitstheilung.

Wenn wir uns nun wieder daran erinnern, dass ganz
allgemein betrachtet die Fortpflanzung nichts Anderes ist,
als ein "Wachsthum des Individuums über sein individuelles
Maass hinaus", so werden wir auch jene Verwachsung von
zwei gleichartigen Zellen, welche als Copulation oder Con¬
jugation bezeichnet wird, und welche zuerst den phylo¬
genetischen Anstoss zur sexuellen Differenzirung gegeben
hat, nur als eine besondere, Form des Wachsthums ansehen
dürfen. Während bei dem gewöhnlichen einfachen Vorgang
der ungeschlechtlichen Fortpflanzung das vorausgehende
und bedingende Wachsthum (-- ein totales bei der Thei¬
lung, ein partielles bei der Knospung --) langsam und
allmählich erfolgt, geschieht dasselbe hier bei der Conju¬
gation rasch und plötzlich. So lässt sich also auch das
Mysterium der geschlechtlichen Zeugung wieder auf
eine besondere Form des Wachsthums und der Arbeits¬
theilung
der Plastiden zurückführen.

Die hier dargestellte Auffassung der geschlechtlichen
Zeugung scheint mir für die niederen und einfacheren
Formen so klar auf der Hand zu liegen, dass sie wohl keiner
eingehenderen Begründung mehr bedarf. Aber auch für
die höheren und verwickelteren Formen, die zunächst da¬
durch nicht, vollständig aufgeklärt erscheinen, liefert sie
uns den Schlüssel des Verständnisses. Dazu ist erforderlich,

zu jenem Gegensatze entfernen, der uns in der verschie¬
denen Zusammensetzung der grossen amoeboiden Eizelle
und der kleinen flagellaten Spermazelle bei den meisten
Thieren so auffallend vor Augen liegt. Auch das ist wieder
nur eine besondere und stark ausgebildete Form der Ar¬
beitstheilung.

Wenn wir uns nun wieder daran erinnern, dass ganz
allgemein betrachtet die Fortpflanzung nichts Anderes ist,
als ein „Wachsthum des Individuums über sein individuelles
Maass hinaus“, so werden wir auch jene Verwachsung von
zwei gleichartigen Zellen, welche als Copulation oder Con¬
jugation bezeichnet wird, und welche zuerst den phylo¬
genetischen Anstoss zur sexuellen Differenzirung gegeben
hat, nur als eine besondere, Form des Wachsthums ansehen
dürfen. Während bei dem gewöhnlichen einfachen Vorgang
der ungeschlechtlichen Fortpflanzung das vorausgehende
und bedingende Wachsthum (— ein totales bei der Thei¬
lung, ein partielles bei der Knospung —) langsam und
allmählich erfolgt, geschieht dasselbe hier bei der Conju¬
gation rasch und plötzlich. So lässt sich also auch das
Mysterium der geschlechtlichen Zeugung wieder auf
eine besondere Form des Wachsthums und der Arbeits¬
theilung
der Plastiden zurückführen.

Die hier dargestellte Auffassung der geschlechtlichen
Zeugung scheint mir für die niederen und einfacheren
Formen so klar auf der Hand zu liegen, dass sie wohl keiner
eingehenderen Begründung mehr bedarf. Aber auch für
die höheren und verwickelteren Formen, die zunächst da¬
durch nicht, vollständig aufgeklärt erscheinen, liefert sie
uns den Schlüssel des Verständnisses. Dazu ist erforderlich,

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[55/0061] zu jenem Gegensatze entfernen, der uns in der verschie¬ denen Zusammensetzung der grossen amoeboiden Eizelle und der kleinen flagellaten Spermazelle bei den meisten Thieren so auffallend vor Augen liegt. Auch das ist wieder nur eine besondere und stark ausgebildete Form der Ar¬ beitstheilung. Wenn wir uns nun wieder daran erinnern, dass ganz allgemein betrachtet die Fortpflanzung nichts Anderes ist, als ein „Wachsthum des Individuums über sein individuelles Maass hinaus“, so werden wir auch jene Verwachsung von zwei gleichartigen Zellen, welche als Copulation oder Con¬ jugation bezeichnet wird, und welche zuerst den phylo¬ genetischen Anstoss zur sexuellen Differenzirung gegeben hat, nur als eine besondere, Form des Wachsthums ansehen dürfen. Während bei dem gewöhnlichen einfachen Vorgang der ungeschlechtlichen Fortpflanzung das vorausgehende und bedingende Wachsthum (— ein totales bei der Thei¬ lung, ein partielles bei der Knospung —) langsam und allmählich erfolgt, geschieht dasselbe hier bei der Conju¬ gation rasch und plötzlich. So lässt sich also auch das Mysterium der geschlechtlichen Zeugung wieder auf eine besondere Form des Wachsthums und der Arbeits¬ theilung der Plastiden zurückführen. Die hier dargestellte Auffassung der geschlechtlichen Zeugung scheint mir für die niederen und einfacheren Formen so klar auf der Hand zu liegen, dass sie wohl keiner eingehenderen Begründung mehr bedarf. Aber auch für die höheren und verwickelteren Formen, die zunächst da¬ durch nicht, vollständig aufgeklärt erscheinen, liefert sie uns den Schlüssel des Verständnisses. Dazu ist erforderlich,

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Perigenesis der Plastidule oder die Wellenerzeugung der Lebenstheilchen. Berlin, 1876, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_plastidule_1876/61>, abgerufen am 22.11.2024.