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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Unbegrenzte Länge der geologischen Zeiträume.
es ist absolut nicht einzusehen, was uns in der Annahme derselben ir-
gendwie beschränken sollte. Wir wissen längst allein schon aus dem
Bau der geschichteten Erdrinde, daß die Entstehung derselben, der
Absatz der geschichteten Steine aus dem Wasser, allermindestens meh-
rere Millionen Jahre gedauert haben muß. Ob wir aber hypothe-
tisch für diesen Prozeß zehn Millionen oder zehntausend Billionen
Jahre annehmen, ist vom Standpunkte der strengsten Naturphiloso-
phie gänzlich gleichgültig. Vor uns und hinter uns liegt die Ewig-
keit. Wenn sich bei Vielen gegen die Annahme von so ungeheuren
Zeiträumen das Gefühl sträubt, so ist das die Folge der falschen Vor-
stellungen, welche uns von frühester Jugend an über die verhältniß-
mäßig kurze, nur wenige Jahrtausende umfassende Geschichte der Erde
eingeprägt werden. Wie Albert Lange in seiner Geschichte des Ma-
terialismus12) Liebig gegenüber schlagend beweist, ist es vom streng
kritisch-philosophischen Standpunkte aus jeder naturwissenschaftli-
chen Hypothese viel eher erlaubt, die Zeiträume zu groß, als zu klein
anzunehmen. Jeder Entwickelungsvorgang läßt sich um so eher be-
greifen, je längere Zeit er dauert. Ein kurzer und beschränkter Zeit-
raum für denselben ist von vornherein das Unwahrscheinlichste. Jene
angebliche Schwierigkeit wird uns daher in keinem Falle etwas zu schaf-
fen machen.

Jch habe hier nicht Zeit, auf Lyell's vorzügliches Werk näher
einzugehen, und will daher bloß das wichtigste Resultat desselben Jh-
nen mittheilen, daß es nämlich Cuvier's Schöpfungsgeschichte mit
ihren mythischen Revolutionen gründlich widerlegte, und an deren
Stelle einfach die beständige langsame Umbildung der Erdrinde durch
die fortdauernde Thätigkeit der noch jetzt auf die Erdoberfläche wir-
kenden Kräfte setzte, die Thätigkeit des Wassers und des vulkanischen
Erdinnern. Lyell wies also einen continuirlichen, ununterbrochenen
Zusammenhang der ganzen Erdgeschichte nach, und er bewies den-
selben so unwiderleglich, er begründete so einleuchtend die Herrschaft
der "existing causes", der noch heute wirksamen, dauernden Ursa-

Unbegrenzte Laͤnge der geologiſchen Zeitraͤume.
es iſt abſolut nicht einzuſehen, was uns in der Annahme derſelben ir-
gendwie beſchraͤnken ſollte. Wir wiſſen laͤngſt allein ſchon aus dem
Bau der geſchichteten Erdrinde, daß die Entſtehung derſelben, der
Abſatz der geſchichteten Steine aus dem Waſſer, allermindeſtens meh-
rere Millionen Jahre gedauert haben muß. Ob wir aber hypothe-
tiſch fuͤr dieſen Prozeß zehn Millionen oder zehntauſend Billionen
Jahre annehmen, iſt vom Standpunkte der ſtrengſten Naturphiloſo-
phie gaͤnzlich gleichguͤltig. Vor uns und hinter uns liegt die Ewig-
keit. Wenn ſich bei Vielen gegen die Annahme von ſo ungeheuren
Zeitraͤumen das Gefuͤhl ſtraͤubt, ſo iſt das die Folge der falſchen Vor-
ſtellungen, welche uns von fruͤheſter Jugend an uͤber die verhaͤltniß-
maͤßig kurze, nur wenige Jahrtauſende umfaſſende Geſchichte der Erde
eingepraͤgt werden. Wie Albert Lange in ſeiner Geſchichte des Ma-
terialismus12) Liebig gegenuͤber ſchlagend beweiſt, iſt es vom ſtreng
kritiſch-philoſophiſchen Standpunkte aus jeder naturwiſſenſchaftli-
chen Hypotheſe viel eher erlaubt, die Zeitraͤume zu groß, als zu klein
anzunehmen. Jeder Entwickelungsvorgang laͤßt ſich um ſo eher be-
greifen, je laͤngere Zeit er dauert. Ein kurzer und beſchraͤnkter Zeit-
raum fuͤr denſelben iſt von vornherein das Unwahrſcheinlichſte. Jene
angebliche Schwierigkeit wird uns daher in keinem Falle etwas zu ſchaf-
fen machen.

Jch habe hier nicht Zeit, auf Lyell’s vorzuͤgliches Werk naͤher
einzugehen, und will daher bloß das wichtigſte Reſultat deſſelben Jh-
nen mittheilen, daß es naͤmlich Cuvier’s Schoͤpfungsgeſchichte mit
ihren mythiſchen Revolutionen gruͤndlich widerlegte, und an deren
Stelle einfach die beſtaͤndige langſame Umbildung der Erdrinde durch
die fortdauernde Thaͤtigkeit der noch jetzt auf die Erdoberflaͤche wir-
kenden Kraͤfte ſetzte, die Thaͤtigkeit des Waſſers und des vulkaniſchen
Erdinnern. Lyell wies alſo einen continuirlichen, ununterbrochenen
Zuſammenhang der ganzen Erdgeſchichte nach, und er bewies den-
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der „existing causes“, der noch heute wirkſamen, dauernden Urſa-

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[103/0124] Unbegrenzte Laͤnge der geologiſchen Zeitraͤume. es iſt abſolut nicht einzuſehen, was uns in der Annahme derſelben ir- gendwie beſchraͤnken ſollte. Wir wiſſen laͤngſt allein ſchon aus dem Bau der geſchichteten Erdrinde, daß die Entſtehung derſelben, der Abſatz der geſchichteten Steine aus dem Waſſer, allermindeſtens meh- rere Millionen Jahre gedauert haben muß. Ob wir aber hypothe- tiſch fuͤr dieſen Prozeß zehn Millionen oder zehntauſend Billionen Jahre annehmen, iſt vom Standpunkte der ſtrengſten Naturphiloſo- phie gaͤnzlich gleichguͤltig. Vor uns und hinter uns liegt die Ewig- keit. Wenn ſich bei Vielen gegen die Annahme von ſo ungeheuren Zeitraͤumen das Gefuͤhl ſtraͤubt, ſo iſt das die Folge der falſchen Vor- ſtellungen, welche uns von fruͤheſter Jugend an uͤber die verhaͤltniß- maͤßig kurze, nur wenige Jahrtauſende umfaſſende Geſchichte der Erde eingepraͤgt werden. Wie Albert Lange in ſeiner Geſchichte des Ma- terialismus12) Liebig gegenuͤber ſchlagend beweiſt, iſt es vom ſtreng kritiſch-philoſophiſchen Standpunkte aus jeder naturwiſſenſchaftli- chen Hypotheſe viel eher erlaubt, die Zeitraͤume zu groß, als zu klein anzunehmen. Jeder Entwickelungsvorgang laͤßt ſich um ſo eher be- greifen, je laͤngere Zeit er dauert. Ein kurzer und beſchraͤnkter Zeit- raum fuͤr denſelben iſt von vornherein das Unwahrſcheinlichſte. Jene angebliche Schwierigkeit wird uns daher in keinem Falle etwas zu ſchaf- fen machen. Jch habe hier nicht Zeit, auf Lyell’s vorzuͤgliches Werk naͤher einzugehen, und will daher bloß das wichtigſte Reſultat deſſelben Jh- nen mittheilen, daß es naͤmlich Cuvier’s Schoͤpfungsgeſchichte mit ihren mythiſchen Revolutionen gruͤndlich widerlegte, und an deren Stelle einfach die beſtaͤndige langſame Umbildung der Erdrinde durch die fortdauernde Thaͤtigkeit der noch jetzt auf die Erdoberflaͤche wir- kenden Kraͤfte ſetzte, die Thaͤtigkeit des Waſſers und des vulkaniſchen Erdinnern. Lyell wies alſo einen continuirlichen, ununterbrochenen Zuſammenhang der ganzen Erdgeſchichte nach, und er bewies den- ſelben ſo unwiderleglich, er begruͤndete ſo einleuchtend die Herrſchaft der „existing causes“, der noch heute wirkſamen, dauernden Urſa-

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/124>, abgerufen am 21.11.2024.