Hühnerarten, welche sehr zahlreiche Eier legen, und die dennoch zu den seltesten Vögeln gehören; und derjenige Vogel, der der gemein- ste von allen sein soll, der Eissturmvogel (Procellaria glacialis) legt nur ein einziges Ei. Ebenso ist das Verhältniß bei anderen Thieren. Es giebt viele, sehr seltene, wirbellose Thiere, welche eine ungeheure Masse von Eiern legen; und wieder andere, die nur sehr wenige Eier produciren und doch zu den gemeinsten Thieren gehören. Denken Sie z. B. an das Verhältniß, welches sich bei den menschlichen Band- würmern findet. Jeder Bandwurm erzeugt binnen kurzer Zeit Mil- lionen von Eiern, während der Mensch, der den Bandwurm beher- bergt eine viel geringere Zahl Eier in sich bildet; und dennoch ist glück- licher Weise die Zahl der Bandwürmer viel geringer, als die der Men- schen. Ebenso sind unter den Pflanzen viele prachtvolle Orchideen, die Tausende von Samen erzeugen, sehr selten, und einige aster- ähnliche Pflanzen (Compositen), die nur wenige Samen bilden, äu- ßerst gemein.
Diese wichtige Thatsache ließe sich noch durch eine ungeheure Masse anderer Beispiele erläutern. Es bedingt also offenbar nicht die Zahl der wirklich vorhandenen Keime die Zahl der später in's Leben treten- den und sich am Leben erhaltenden Jndividuen, sondern es ist viel- mehr die Zahl dieser letzteren durch ganz andere Verhältnisse bedingt, zumal durch die Wechselbeziehungen, in denen sich der Organismus zu seiner organischen, wie anorganischen Umgebung befindet. Jeder Organismus kämpft von Anbeginn seiner Existenz an mit einer An- zahl von feindlichen Einflüssen; er kämpft mit Thieren, welche von diesem Organismus leben, denen er als natürliche Nahrung dient, mit Raubthieren und mit Schmarotzerthieren; er kämpft mit anorganischen Einflüssen der verschiedensten Art, mit Temperatur, Witterung und anderen Umständen, er kämpft aber (und das ist viel wichtiger!) vor allem mit den ihm ähnlichsten, gleichartigen Organismen. Jedes Jn- dividuum einer jeden Thier- oder Pflanzenart ist im heftigsten Wett- streit mit den andern Jndividuen derselben Art begriffen, die mit ihm an demselben Orte leben. Die Mittel zum Lebensunterhalt sind in
Darwin’s Theorie vom Kampfe um’s Daſein.
Huͤhnerarten, welche ſehr zahlreiche Eier legen, und die dennoch zu den ſelteſten Voͤgeln gehoͤren; und derjenige Vogel, der der gemein- ſte von allen ſein ſoll, der Eisſturmvogel (Procellaria glacialis) legt nur ein einziges Ei. Ebenſo iſt das Verhaͤltniß bei anderen Thieren. Es giebt viele, ſehr ſeltene, wirbelloſe Thiere, welche eine ungeheure Maſſe von Eiern legen; und wieder andere, die nur ſehr wenige Eier produciren und doch zu den gemeinſten Thieren gehoͤren. Denken Sie z. B. an das Verhaͤltniß, welches ſich bei den menſchlichen Band- wuͤrmern findet. Jeder Bandwurm erzeugt binnen kurzer Zeit Mil- lionen von Eiern, waͤhrend der Menſch, der den Bandwurm beher- bergt eine viel geringere Zahl Eier in ſich bildet; und dennoch iſt gluͤck- licher Weiſe die Zahl der Bandwuͤrmer viel geringer, als die der Men- ſchen. Ebenſo ſind unter den Pflanzen viele prachtvolle Orchideen, die Tauſende von Samen erzeugen, ſehr ſelten, und einige aſter- aͤhnliche Pflanzen (Compoſiten), die nur wenige Samen bilden, aͤu- ßerſt gemein.
Dieſe wichtige Thatſache ließe ſich noch durch eine ungeheure Maſſe anderer Beiſpiele erlaͤutern. Es bedingt alſo offenbar nicht die Zahl der wirklich vorhandenen Keime die Zahl der ſpaͤter in’s Leben treten- den und ſich am Leben erhaltenden Jndividuen, ſondern es iſt viel- mehr die Zahl dieſer letzteren durch ganz andere Verhaͤltniſſe bedingt, zumal durch die Wechſelbeziehungen, in denen ſich der Organismus zu ſeiner organiſchen, wie anorganiſchen Umgebung befindet. Jeder Organismus kaͤmpft von Anbeginn ſeiner Exiſtenz an mit einer An- zahl von feindlichen Einfluͤſſen; er kaͤmpft mit Thieren, welche von dieſem Organismus leben, denen er als natuͤrliche Nahrung dient, mit Raubthieren und mit Schmarotzerthieren; er kaͤmpft mit anorganiſchen Einfluͤſſen der verſchiedenſten Art, mit Temperatur, Witterung und anderen Umſtaͤnden, er kaͤmpft aber (und das iſt viel wichtiger!) vor allem mit den ihm aͤhnlichſten, gleichartigen Organismen. Jedes Jn- dividuum einer jeden Thier- oder Pflanzenart iſt im heftigſten Wett- ſtreit mit den andern Jndividuen derſelben Art begriffen, die mit ihm an demſelben Orte leben. Die Mittel zum Lebensunterhalt ſind in
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Darwin’s Theorie vom Kampfe um’s Daſein.
Huͤhnerarten, welche ſehr zahlreiche Eier legen, und die dennoch zu
den ſelteſten Voͤgeln gehoͤren; und derjenige Vogel, der der gemein-
ſte von allen ſein ſoll, der Eisſturmvogel (Procellaria glacialis) legt
nur ein einziges Ei. Ebenſo iſt das Verhaͤltniß bei anderen Thieren.
Es giebt viele, ſehr ſeltene, wirbelloſe Thiere, welche eine ungeheure
Maſſe von Eiern legen; und wieder andere, die nur ſehr wenige Eier
produciren und doch zu den gemeinſten Thieren gehoͤren. Denken
Sie z. B. an das Verhaͤltniß, welches ſich bei den menſchlichen Band-
wuͤrmern findet. Jeder Bandwurm erzeugt binnen kurzer Zeit Mil-
lionen von Eiern, waͤhrend der Menſch, der den Bandwurm beher-
bergt eine viel geringere Zahl Eier in ſich bildet; und dennoch iſt gluͤck-
licher Weiſe die Zahl der Bandwuͤrmer viel geringer, als die der Men-
ſchen. Ebenſo ſind unter den Pflanzen viele prachtvolle Orchideen,
die Tauſende von Samen erzeugen, ſehr ſelten, und einige aſter-
aͤhnliche Pflanzen (Compoſiten), die nur wenige Samen bilden, aͤu-
ßerſt gemein.
Dieſe wichtige Thatſache ließe ſich noch durch eine ungeheure Maſſe
anderer Beiſpiele erlaͤutern. Es bedingt alſo offenbar nicht die Zahl
der wirklich vorhandenen Keime die Zahl der ſpaͤter in’s Leben treten-
den und ſich am Leben erhaltenden Jndividuen, ſondern es iſt viel-
mehr die Zahl dieſer letzteren durch ganz andere Verhaͤltniſſe bedingt,
zumal durch die Wechſelbeziehungen, in denen ſich der Organismus
zu ſeiner organiſchen, wie anorganiſchen Umgebung befindet. Jeder
Organismus kaͤmpft von Anbeginn ſeiner Exiſtenz an mit einer An-
zahl von feindlichen Einfluͤſſen; er kaͤmpft mit Thieren, welche von
dieſem Organismus leben, denen er als natuͤrliche Nahrung dient, mit
Raubthieren und mit Schmarotzerthieren; er kaͤmpft mit anorganiſchen
Einfluͤſſen der verſchiedenſten Art, mit Temperatur, Witterung und
anderen Umſtaͤnden, er kaͤmpft aber (und das iſt viel wichtiger!) vor
allem mit den ihm aͤhnlichſten, gleichartigen Organismen. Jedes Jn-
dividuum einer jeden Thier- oder Pflanzenart iſt im heftigſten Wett-
ſtreit mit den andern Jndividuen derſelben Art begriffen, die mit ihm
an demſelben Orte leben. Die Mittel zum Lebensunterhalt ſind in
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/148>, abgerufen am 16.02.2025.
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