Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.Erblichkeit und Vererbung. nismen stattfindet; zwischen zwei physiologischen Functionen, welcheallen Thieren und Pflanzen eigenthümlich sind, und welche sich auf andere Lebensthätigkeiten, auf die Functionen der Fortpflanzung und Ernährung zurückführen lassen. Alle die verschiedenen Formen der Organismen, welche man gewöhnlich geneigt ist, als Producte einer zweckmäßig thätigen Schöpferkraft anzusehen, konnten wir nach jener Züchtungstheorie auffassen als die nothwendigen Producte der zweck- los wirkenden natürlichen Züchtung, der unbewußten Wechselwirkung zwischen jenen beiden Eigenschaften der Veränderlichkeit und der Erb- lichkeit. Bei der außerordentlichen Wichtigkeit, welche diesen Lebens- eigenschaften der Organismen demgemäß zukommt, müssen wir zu- nächst dieselben etwas näher in das Auge fassen, und wir wollen uns heute mit der Erblichkeit und der Vererbung beschäftigen (Gen. Morph. II., 170 -- 191). Genau genommen müssen wir unterscheiden zwischen der Erb- Erblichkeit und Vererbung sind so allgemeine, alltägliche Erschei- Erblichkeit und Vererbung. nismen ſtattfindet; zwiſchen zwei phyſiologiſchen Functionen, welcheallen Thieren und Pflanzen eigenthuͤmlich ſind, und welche ſich auf andere Lebensthaͤtigkeiten, auf die Functionen der Fortpflanzung und Ernaͤhrung zuruͤckfuͤhren laſſen. Alle die verſchiedenen Formen der Organismen, welche man gewoͤhnlich geneigt iſt, als Producte einer zweckmaͤßig thaͤtigen Schoͤpferkraft anzuſehen, konnten wir nach jener Zuͤchtungstheorie auffaſſen als die nothwendigen Producte der zweck- los wirkenden natuͤrlichen Zuͤchtung, der unbewußten Wechſelwirkung zwiſchen jenen beiden Eigenſchaften der Veraͤnderlichkeit und der Erb- lichkeit. Bei der außerordentlichen Wichtigkeit, welche dieſen Lebens- eigenſchaften der Organismen demgemaͤß zukommt, muͤſſen wir zu- naͤchſt dieſelben etwas naͤher in das Auge faſſen, und wir wollen uns heute mit der Erblichkeit und der Vererbung beſchaͤftigen (Gen. Morph. II., 170 — 191). Genau genommen muͤſſen wir unterſcheiden zwiſchen der Erb- Erblichkeit und Vererbung ſind ſo allgemeine, alltaͤgliche Erſchei- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0156" n="135"/><fw place="top" type="header">Erblichkeit und Vererbung.</fw><lb/> nismen ſtattfindet; zwiſchen zwei phyſiologiſchen Functionen, welche<lb/> allen Thieren und Pflanzen eigenthuͤmlich ſind, und welche ſich auf<lb/> andere Lebensthaͤtigkeiten, auf die Functionen der Fortpflanzung und<lb/> Ernaͤhrung zuruͤckfuͤhren laſſen. Alle die verſchiedenen Formen der<lb/> Organismen, welche man gewoͤhnlich geneigt iſt, als Producte einer<lb/> zweckmaͤßig thaͤtigen Schoͤpferkraft anzuſehen, konnten wir nach jener<lb/> Zuͤchtungstheorie auffaſſen als die nothwendigen Producte der zweck-<lb/> los wirkenden natuͤrlichen Zuͤchtung, der unbewußten Wechſelwirkung<lb/> zwiſchen jenen beiden Eigenſchaften der Veraͤnderlichkeit und der Erb-<lb/> lichkeit. Bei der außerordentlichen Wichtigkeit, welche dieſen Lebens-<lb/> eigenſchaften der Organismen demgemaͤß zukommt, muͤſſen wir zu-<lb/> naͤchſt dieſelben etwas naͤher in das Auge faſſen, und wir wollen uns<lb/> heute mit der Erblichkeit und der Vererbung beſchaͤftigen (Gen. Morph.<lb/><hi rendition="#aq">II.,</hi> 170 — 191).</p><lb/> <p>Genau genommen muͤſſen wir unterſcheiden zwiſchen der Erb-<lb/> lichkeit und der Vererbung. Die <hi rendition="#g">Erblichkeit</hi> <hi rendition="#aq">(Atavismus)</hi> iſt die<lb/> Vererbungskraft, die <hi rendition="#g">Faͤhigkeit</hi> der Organismen, ihre Eigenſchaf-<lb/> ten auf ihre Nachkommen durch die Fortpflanzung zu uͤbertragen.<lb/> Die <hi rendition="#g">Vererbung</hi> <hi rendition="#aq">(Hereditas)</hi> dagegen bezeichnet die wirkliche Aus-<lb/> uͤbung dieſer Faͤhigkeit, die <hi rendition="#g">thatſaͤchlich</hi> ſtattfindende Uebertragung.</p><lb/> <p>Erblichkeit und Vererbung ſind ſo allgemeine, alltaͤgliche Erſchei-<lb/> nungen, daß die meiſten Menſchen dieſelben uͤberhaupt nicht beachten,<lb/> und daß die wenigſten geneigt ſind, beſondere Reflexionen uͤber den<lb/> Werth und die Bedeutung dieſer Lebenserſcheinungen anzuſtellen.<lb/> Man findet es allgemein ganz natuͤrlich und ſelbſtverſtaͤndlich, daß<lb/> jeder Organismus ſeines Gleichen erzeugt, und daß die Kinder den<lb/> Eltern im Ganzen wie im Einzelnen aͤhnlich ſind. Gewoͤhnlich pflegt<lb/> man die Erblichkeit nur in jenen Faͤllen hervorzuheben und zu beſpre-<lb/> chen, wo ſie eine beſondere Eigenthuͤmlichkeit betrifft, die an einem<lb/> menſchlichen Jndividuum, ohne ererbt zu ſein, zum erſten Male auf-<lb/> trat und von dieſem auf ſeine Nachkommen uͤbertragen wurde. Jn<lb/> beſonders auffallendem Grade zeigt ſich ſo die Vererbung bei beſtimm-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [135/0156]
Erblichkeit und Vererbung.
nismen ſtattfindet; zwiſchen zwei phyſiologiſchen Functionen, welche
allen Thieren und Pflanzen eigenthuͤmlich ſind, und welche ſich auf
andere Lebensthaͤtigkeiten, auf die Functionen der Fortpflanzung und
Ernaͤhrung zuruͤckfuͤhren laſſen. Alle die verſchiedenen Formen der
Organismen, welche man gewoͤhnlich geneigt iſt, als Producte einer
zweckmaͤßig thaͤtigen Schoͤpferkraft anzuſehen, konnten wir nach jener
Zuͤchtungstheorie auffaſſen als die nothwendigen Producte der zweck-
los wirkenden natuͤrlichen Zuͤchtung, der unbewußten Wechſelwirkung
zwiſchen jenen beiden Eigenſchaften der Veraͤnderlichkeit und der Erb-
lichkeit. Bei der außerordentlichen Wichtigkeit, welche dieſen Lebens-
eigenſchaften der Organismen demgemaͤß zukommt, muͤſſen wir zu-
naͤchſt dieſelben etwas naͤher in das Auge faſſen, und wir wollen uns
heute mit der Erblichkeit und der Vererbung beſchaͤftigen (Gen. Morph.
II., 170 — 191).
Genau genommen muͤſſen wir unterſcheiden zwiſchen der Erb-
lichkeit und der Vererbung. Die Erblichkeit (Atavismus) iſt die
Vererbungskraft, die Faͤhigkeit der Organismen, ihre Eigenſchaf-
ten auf ihre Nachkommen durch die Fortpflanzung zu uͤbertragen.
Die Vererbung (Hereditas) dagegen bezeichnet die wirkliche Aus-
uͤbung dieſer Faͤhigkeit, die thatſaͤchlich ſtattfindende Uebertragung.
Erblichkeit und Vererbung ſind ſo allgemeine, alltaͤgliche Erſchei-
nungen, daß die meiſten Menſchen dieſelben uͤberhaupt nicht beachten,
und daß die wenigſten geneigt ſind, beſondere Reflexionen uͤber den
Werth und die Bedeutung dieſer Lebenserſcheinungen anzuſtellen.
Man findet es allgemein ganz natuͤrlich und ſelbſtverſtaͤndlich, daß
jeder Organismus ſeines Gleichen erzeugt, und daß die Kinder den
Eltern im Ganzen wie im Einzelnen aͤhnlich ſind. Gewoͤhnlich pflegt
man die Erblichkeit nur in jenen Faͤllen hervorzuheben und zu beſpre-
chen, wo ſie eine beſondere Eigenthuͤmlichkeit betrifft, die an einem
menſchlichen Jndividuum, ohne ererbt zu ſein, zum erſten Male auf-
trat und von dieſem auf ſeine Nachkommen uͤbertragen wurde. Jn
beſonders auffallendem Grade zeigt ſich ſo die Vererbung bei beſtimm-
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