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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Jungfräuliche Zeugung oder Parthenogenesis.
sich nur einen von beiden Zeugungsstoffen, entweder männlichen oder
weiblichen. Die weiblichen Jndividuen bilden bei den Thieren
Eier, bei den Pflanzen den Eiern entsprechende Zellen (Embryo-
bläschen bei den Phanerogamen, Archegoniumcentralzellen bei den
höheren Kryptogamen). Die männlichen Jndividuen sondern bei den
Thieren den befruchtenden Samen (Sperma) ab, bei den Pflanzen
dem Sperma entsprechende Körperchen (Pollenkörner oder Blüthen-
staub
bei den Phanerogamen, bei den Kryptogamen ein Sperma,
welches gleich demjenigen der meisten Thiere aus lebhaft beweglichen,
in einer Flüssigkeit schwimmenden Fäden besteht).

Eine interessante Uebergangsform von der geschlechtlichen Zeu-
gung zu der (dieser nächststehenden) ungeschlechtlichen Keimzellenbil-
dung bietet die sogenannte jungfräuliche Zeugung (Partheno-
genesis)
dar, welche bei den Jnsecten in neuerer Zeit vielfach beob-
achtet worden ist. Hier werden Keimzellen, die sonst den Eizellen
ganz ähnlich erscheinen und ebenso gebildet werden, fähig, zu neuen
Jndividuen sich zu entwickeln, ohne des befruchtenden Samens zu
bedürfen. Die merkwürdigsten und lehrreichsten von den verschie-
denen parthenogenetischen Erscheinungen bieten uns diejenigen Fälle,
in denen dieselben Keimzellen, je nachdem sie befruchtet werden oder
nicht, verschiedene Jndividuen erzeugen. Bei unseren gewöhnlichen
Honigbienen entsteht aus den Eiern der Königin ein männliches Jn-
dividuum, wenn das Ei nicht befruchtet wird, ein weibliches, wenn
das Ei befruchtet wird, eine Erscheinung, die schon dem Aristoteles
bekannt gewesen zu sein scheint, die aber neuerdings erst wieder voll-
kommen festgestellt wurde. Es zeigt sich hier deutlich, daß in der
That eine tiefe Kluft zwischen geschlechtlicher und geschlechtsloser Zeu-
gung nicht existirt, daß beide Formen vielmehr unmittelbar zusammen-
hängen. Offenbar ist die geschlechtliche Zeugung, die als ein so wun-
derbarer, räthselhafter Vorgang erscheint, erst in sehr später Zeit aus
gewissen Formen der ungeschlechtlichen Zeugung hervorgegangen.
Wenn wir aber bei der letzteren die Vererbung als eine nothwendige

Jungfraͤuliche Zeugung oder Parthenogeneſis.
ſich nur einen von beiden Zeugungsſtoffen, entweder maͤnnlichen oder
weiblichen. Die weiblichen Jndividuen bilden bei den Thieren
Eier, bei den Pflanzen den Eiern entſprechende Zellen (Embryo-
blaͤschen bei den Phanerogamen, Archegoniumcentralzellen bei den
hoͤheren Kryptogamen). Die maͤnnlichen Jndividuen ſondern bei den
Thieren den befruchtenden Samen (Sperma) ab, bei den Pflanzen
dem Sperma entſprechende Koͤrperchen (Pollenkoͤrner oder Bluͤthen-
ſtaub
bei den Phanerogamen, bei den Kryptogamen ein Sperma,
welches gleich demjenigen der meiſten Thiere aus lebhaft beweglichen,
in einer Fluͤſſigkeit ſchwimmenden Faͤden beſteht).

Eine intereſſante Uebergangsform von der geſchlechtlichen Zeu-
gung zu der (dieſer naͤchſtſtehenden) ungeſchlechtlichen Keimzellenbil-
dung bietet die ſogenannte jungfraͤuliche Zeugung (Partheno-
genesis)
dar, welche bei den Jnſecten in neuerer Zeit vielfach beob-
achtet worden iſt. Hier werden Keimzellen, die ſonſt den Eizellen
ganz aͤhnlich erſcheinen und ebenſo gebildet werden, faͤhig, zu neuen
Jndividuen ſich zu entwickeln, ohne des befruchtenden Samens zu
beduͤrfen. Die merkwuͤrdigſten und lehrreichſten von den verſchie-
denen parthenogenetiſchen Erſcheinungen bieten uns diejenigen Faͤlle,
in denen dieſelben Keimzellen, je nachdem ſie befruchtet werden oder
nicht, verſchiedene Jndividuen erzeugen. Bei unſeren gewoͤhnlichen
Honigbienen entſteht aus den Eiern der Koͤnigin ein maͤnnliches Jn-
dividuum, wenn das Ei nicht befruchtet wird, ein weibliches, wenn
das Ei befruchtet wird, eine Erſcheinung, die ſchon dem Ariſtoteles
bekannt geweſen zu ſein ſcheint, die aber neuerdings erſt wieder voll-
kommen feſtgeſtellt wurde. Es zeigt ſich hier deutlich, daß in der
That eine tiefe Kluft zwiſchen geſchlechtlicher und geſchlechtsloſer Zeu-
gung nicht exiſtirt, daß beide Formen vielmehr unmittelbar zuſammen-
haͤngen. Offenbar iſt die geſchlechtliche Zeugung, die als ein ſo wun-
derbarer, raͤthſelhafter Vorgang erſcheint, erſt in ſehr ſpaͤter Zeit aus
gewiſſen Formen der ungeſchlechtlichen Zeugung hervorgegangen.
Wenn wir aber bei der letzteren die Vererbung als eine nothwendige

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[153/0174] Jungfraͤuliche Zeugung oder Parthenogeneſis. ſich nur einen von beiden Zeugungsſtoffen, entweder maͤnnlichen oder weiblichen. Die weiblichen Jndividuen bilden bei den Thieren Eier, bei den Pflanzen den Eiern entſprechende Zellen (Embryo- blaͤschen bei den Phanerogamen, Archegoniumcentralzellen bei den hoͤheren Kryptogamen). Die maͤnnlichen Jndividuen ſondern bei den Thieren den befruchtenden Samen (Sperma) ab, bei den Pflanzen dem Sperma entſprechende Koͤrperchen (Pollenkoͤrner oder Bluͤthen- ſtaub bei den Phanerogamen, bei den Kryptogamen ein Sperma, welches gleich demjenigen der meiſten Thiere aus lebhaft beweglichen, in einer Fluͤſſigkeit ſchwimmenden Faͤden beſteht). Eine intereſſante Uebergangsform von der geſchlechtlichen Zeu- gung zu der (dieſer naͤchſtſtehenden) ungeſchlechtlichen Keimzellenbil- dung bietet die ſogenannte jungfraͤuliche Zeugung (Partheno- genesis) dar, welche bei den Jnſecten in neuerer Zeit vielfach beob- achtet worden iſt. Hier werden Keimzellen, die ſonſt den Eizellen ganz aͤhnlich erſcheinen und ebenſo gebildet werden, faͤhig, zu neuen Jndividuen ſich zu entwickeln, ohne des befruchtenden Samens zu beduͤrfen. Die merkwuͤrdigſten und lehrreichſten von den verſchie- denen parthenogenetiſchen Erſcheinungen bieten uns diejenigen Faͤlle, in denen dieſelben Keimzellen, je nachdem ſie befruchtet werden oder nicht, verſchiedene Jndividuen erzeugen. Bei unſeren gewoͤhnlichen Honigbienen entſteht aus den Eiern der Koͤnigin ein maͤnnliches Jn- dividuum, wenn das Ei nicht befruchtet wird, ein weibliches, wenn das Ei befruchtet wird, eine Erſcheinung, die ſchon dem Ariſtoteles bekannt geweſen zu ſein ſcheint, die aber neuerdings erſt wieder voll- kommen feſtgeſtellt wurde. Es zeigt ſich hier deutlich, daß in der That eine tiefe Kluft zwiſchen geſchlechtlicher und geſchlechtsloſer Zeu- gung nicht exiſtirt, daß beide Formen vielmehr unmittelbar zuſammen- haͤngen. Offenbar iſt die geſchlechtliche Zeugung, die als ein ſo wun- derbarer, raͤthſelhafter Vorgang erſcheint, erſt in ſehr ſpaͤter Zeit aus gewiſſen Formen der ungeſchlechtlichen Zeugung hervorgegangen. Wenn wir aber bei der letzteren die Vererbung als eine nothwendige

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/174>, abgerufen am 17.05.2024.