Gemischte oder amphigone Vererbung. Bastardzeugung.
jedes organische Jndividuum, welches auf geschlechtlichem Wege er- zeugt wird, von beiden Eltern Eigenthümlichkeiten annimmt, sowohl vom Vater als von der Mutter. Diese Thatsache, daß von jedem der beiden Geschlechter persönliche Eigenschaften auf alle, sowohl männliche als weibliche Kinder übergehen, ist sehr wichtig. Goethe drückt sie von sich selbst in dem hübschen Verse aus:
"Vom Vater hab ich die Statur, des Lebens ernstes Führen, "Vom Mütterchen die Frohnatur und Lust zu fabuliren."
Diese Erscheinung wird Jhnen allen so bekannt sein, daß ich hier darauf nicht weiter einzugehen brauche. Durch den verschiedenen Antheil ihres Charakters, welchen Vater und Mutter auf ihre Kinder vererben, werden vorzüglich die individuellen Verschiedenheiten der Geschwister bedingt.
Unter dieses Gesetz der gemischten oder amphigonen Vererbung ge- hört auch die sehr wichtige und interessante Erscheinung der Ba- stardzeugung(Hybridismus). Richtig gewürdigt, genügt sie allein schon vollständig, um das herrschende Dogma von der Constanz der Arten zu widerlegen. Pflanzen sowohl als Thiere, welche zwei ganz verschiedenen Species angehören, können sich mit einander geschlecht- lich vermischen und eine Nachkommenschaft erzeugen, die in vielen Fällen sich selbst wieder fortpflanzen kann, und zwar entweder (häufi- ger) durch Vermischung mit einem der beiden Stammeltern, oder aber (seltener) durch reine Jnzucht, indem Bastard sich mit Bastard ver- mischt. Das letztere ist z. B. bei den Bastarden von Hasen und Ka- ninchen festgestellt. Allbekannt sind die Bastarde zwischen Pferd und Esel, zwei ganz verschiedenen Arten einer Gattung (Equus). Diese Bastarde sind verschieden, je nachdem der Vater oder die Mutter zu der einen oder zu der andern Art, zum Pferd oder zum Esel gehört. Das Maulthier(Mulus), welches von einer Pferdestute und einem Eselhengst erzeugt ist, hat ganz andere Eigenschaften als der Maul- esel(Hinnus), der Bastard vom Pferdehengst und der Eselsstute. Jn jedem Fall ist der Bastard(Hybrida), der aus der Kreuzung zweier verschiedener Arten erzeugte Organismus, eine Mischform,
Gemiſchte oder amphigone Vererbung. Baſtardzeugung.
jedes organiſche Jndividuum, welches auf geſchlechtlichem Wege er- zeugt wird, von beiden Eltern Eigenthuͤmlichkeiten annimmt, ſowohl vom Vater als von der Mutter. Dieſe Thatſache, daß von jedem der beiden Geſchlechter perſoͤnliche Eigenſchaften auf alle, ſowohl maͤnnliche als weibliche Kinder uͤbergehen, iſt ſehr wichtig. Goethe druͤckt ſie von ſich ſelbſt in dem huͤbſchen Verſe aus:
„Vom Vater hab ich die Statur, des Lebens ernſtes Fuͤhren, „Vom Muͤtterchen die Frohnatur und Luſt zu fabuliren.“
Dieſe Erſcheinung wird Jhnen allen ſo bekannt ſein, daß ich hier darauf nicht weiter einzugehen brauche. Durch den verſchiedenen Antheil ihres Charakters, welchen Vater und Mutter auf ihre Kinder vererben, werden vorzuͤglich die individuellen Verſchiedenheiten der Geſchwiſter bedingt.
Unter dieſes Geſetz der gemiſchten oder amphigonen Vererbung ge- hoͤrt auch die ſehr wichtige und intereſſante Erſcheinung der Ba- ſtardzeugung(Hybridismus). Richtig gewuͤrdigt, genuͤgt ſie allein ſchon vollſtaͤndig, um das herrſchende Dogma von der Conſtanz der Arten zu widerlegen. Pflanzen ſowohl als Thiere, welche zwei ganz verſchiedenen Species angehoͤren, koͤnnen ſich mit einander geſchlecht- lich vermiſchen und eine Nachkommenſchaft erzeugen, die in vielen Faͤllen ſich ſelbſt wieder fortpflanzen kann, und zwar entweder (haͤufi- ger) durch Vermiſchung mit einem der beiden Stammeltern, oder aber (ſeltener) durch reine Jnzucht, indem Baſtard ſich mit Baſtard ver- miſcht. Das letztere iſt z. B. bei den Baſtarden von Haſen und Ka- ninchen feſtgeſtellt. Allbekannt ſind die Baſtarde zwiſchen Pferd und Eſel, zwei ganz verſchiedenen Arten einer Gattung (Equus). Dieſe Baſtarde ſind verſchieden, je nachdem der Vater oder die Mutter zu der einen oder zu der andern Art, zum Pferd oder zum Eſel gehoͤrt. Das Maulthier(Mulus), welches von einer Pferdeſtute und einem Eſelhengſt erzeugt iſt, hat ganz andere Eigenſchaften als der Maul- eſel(Hinnus), der Baſtard vom Pferdehengſt und der Eſelsſtute. Jn jedem Fall iſt der Baſtard(Hybrida), der aus der Kreuzung zweier verſchiedener Arten erzeugte Organismus, eine Miſchform,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0186"n="165"/><fwplace="top"type="header">Gemiſchte oder amphigone Vererbung. Baſtardzeugung.</fw><lb/>
jedes organiſche Jndividuum, welches auf geſchlechtlichem Wege er-<lb/>
zeugt wird, von beiden Eltern Eigenthuͤmlichkeiten annimmt, ſowohl<lb/>
vom Vater als von der Mutter. Dieſe Thatſache, daß von jedem<lb/>
der beiden Geſchlechter perſoͤnliche Eigenſchaften auf alle, ſowohl<lb/>
maͤnnliche als weibliche Kinder uͤbergehen, iſt ſehr wichtig. <hirendition="#g">Goethe</hi><lb/>
druͤckt ſie von ſich ſelbſt in dem huͤbſchen Verſe aus:</p><lb/><lgtype="poem"><l>„Vom Vater hab ich die Statur, des Lebens ernſtes Fuͤhren,</l><lb/><l>„Vom Muͤtterchen die Frohnatur und Luſt zu fabuliren.“</l></lg><lb/><p>Dieſe Erſcheinung wird Jhnen allen ſo bekannt ſein, daß ich<lb/>
hier darauf nicht weiter einzugehen brauche. Durch den verſchiedenen<lb/>
Antheil ihres Charakters, welchen Vater und Mutter auf ihre Kinder<lb/>
vererben, werden vorzuͤglich die individuellen Verſchiedenheiten der<lb/>
Geſchwiſter bedingt.</p><lb/><p>Unter dieſes Geſetz der gemiſchten oder amphigonen Vererbung ge-<lb/>
hoͤrt auch die ſehr wichtige und intereſſante Erſcheinung der <hirendition="#g">Ba-<lb/>ſtardzeugung</hi><hirendition="#aq">(Hybridismus).</hi> Richtig gewuͤrdigt, genuͤgt ſie allein<lb/>ſchon vollſtaͤndig, um das herrſchende Dogma von der Conſtanz der<lb/>
Arten zu widerlegen. Pflanzen ſowohl als Thiere, welche zwei ganz<lb/>
verſchiedenen Species angehoͤren, koͤnnen ſich mit einander geſchlecht-<lb/>
lich vermiſchen und eine Nachkommenſchaft erzeugen, die in vielen<lb/>
Faͤllen ſich ſelbſt wieder fortpflanzen kann, und zwar entweder (haͤufi-<lb/>
ger) durch Vermiſchung mit einem der beiden Stammeltern, oder aber<lb/>
(ſeltener) durch reine Jnzucht, indem Baſtard ſich mit Baſtard ver-<lb/>
miſcht. Das letztere iſt z. B. bei den Baſtarden von Haſen und Ka-<lb/>
ninchen feſtgeſtellt. Allbekannt ſind die Baſtarde zwiſchen Pferd und<lb/>
Eſel, zwei ganz verſchiedenen Arten einer Gattung <hirendition="#aq">(Equus).</hi> Dieſe<lb/>
Baſtarde ſind verſchieden, je nachdem der Vater oder die Mutter zu<lb/>
der einen oder zu der andern Art, zum Pferd oder zum Eſel gehoͤrt.<lb/>
Das <hirendition="#g">Maulthier</hi><hirendition="#aq">(Mulus),</hi> welches von einer Pferdeſtute und einem<lb/>
Eſelhengſt erzeugt iſt, hat ganz andere Eigenſchaften als der <hirendition="#g">Maul-<lb/>
eſel</hi><hirendition="#aq">(Hinnus),</hi> der Baſtard vom Pferdehengſt und der Eſelsſtute.<lb/>
Jn jedem Fall iſt der <hirendition="#g">Baſtard</hi><hirendition="#aq">(Hybrida),</hi> der aus der Kreuzung<lb/>
zweier verſchiedener Arten erzeugte Organismus, eine Miſchform,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[165/0186]
Gemiſchte oder amphigone Vererbung. Baſtardzeugung.
jedes organiſche Jndividuum, welches auf geſchlechtlichem Wege er-
zeugt wird, von beiden Eltern Eigenthuͤmlichkeiten annimmt, ſowohl
vom Vater als von der Mutter. Dieſe Thatſache, daß von jedem
der beiden Geſchlechter perſoͤnliche Eigenſchaften auf alle, ſowohl
maͤnnliche als weibliche Kinder uͤbergehen, iſt ſehr wichtig. Goethe
druͤckt ſie von ſich ſelbſt in dem huͤbſchen Verſe aus:
„Vom Vater hab ich die Statur, des Lebens ernſtes Fuͤhren,
„Vom Muͤtterchen die Frohnatur und Luſt zu fabuliren.“
Dieſe Erſcheinung wird Jhnen allen ſo bekannt ſein, daß ich
hier darauf nicht weiter einzugehen brauche. Durch den verſchiedenen
Antheil ihres Charakters, welchen Vater und Mutter auf ihre Kinder
vererben, werden vorzuͤglich die individuellen Verſchiedenheiten der
Geſchwiſter bedingt.
Unter dieſes Geſetz der gemiſchten oder amphigonen Vererbung ge-
hoͤrt auch die ſehr wichtige und intereſſante Erſcheinung der Ba-
ſtardzeugung (Hybridismus). Richtig gewuͤrdigt, genuͤgt ſie allein
ſchon vollſtaͤndig, um das herrſchende Dogma von der Conſtanz der
Arten zu widerlegen. Pflanzen ſowohl als Thiere, welche zwei ganz
verſchiedenen Species angehoͤren, koͤnnen ſich mit einander geſchlecht-
lich vermiſchen und eine Nachkommenſchaft erzeugen, die in vielen
Faͤllen ſich ſelbſt wieder fortpflanzen kann, und zwar entweder (haͤufi-
ger) durch Vermiſchung mit einem der beiden Stammeltern, oder aber
(ſeltener) durch reine Jnzucht, indem Baſtard ſich mit Baſtard ver-
miſcht. Das letztere iſt z. B. bei den Baſtarden von Haſen und Ka-
ninchen feſtgeſtellt. Allbekannt ſind die Baſtarde zwiſchen Pferd und
Eſel, zwei ganz verſchiedenen Arten einer Gattung (Equus). Dieſe
Baſtarde ſind verſchieden, je nachdem der Vater oder die Mutter zu
der einen oder zu der andern Art, zum Pferd oder zum Eſel gehoͤrt.
Das Maulthier (Mulus), welches von einer Pferdeſtute und einem
Eſelhengſt erzeugt iſt, hat ganz andere Eigenſchaften als der Maul-
eſel (Hinnus), der Baſtard vom Pferdehengſt und der Eſelsſtute.
Jn jedem Fall iſt der Baſtard (Hybrida), der aus der Kreuzung
zweier verſchiedener Arten erzeugte Organismus, eine Miſchform,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/186>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.