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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Anpassung und Veränderlichkeit.
änderung ist allbekannt, und an tausend uns umgebenden Erscheinun-
gen jeden Augenblick wahrzunehmen. Allein gerade deshalb, weil
die Erscheinungen der Abänderung durch äußere Einflüsse selbstver-
ständlich erscheinen, hat man dieselben bisher noch fast gar nicht einer
genaueren physiologischen wissenschaftlichen Untersuchung unterzogen.
Es gehören dahin alle Erscheinungen, welche wir als die Folgen der
Angewöhnung und Abgewöhnung, der Uebung und Nichtübung be-
trachten, oder als die Folgen der Dressur, der Erziehung, der Ac-
climatisation, der Gymnastik u. s. w. Auch die Veränderungen durch
krankmachende Ursachen, die Krankheiten selbst sind zum größten
Theil weiter nichts als Anpassungen des Organismus an bestimmte
Lebensbedingungen. Bei den Culturpflanzen und Hausthieren tritt
die Erscheinung der Abänderung so auffallend und mächtig hervor,
daß eben darauf der Thierzüchter und Gärtner seine ganze Thätigkeit
gründet, oder vielmehr auf die Wechselbeziehung, in welche er diese
Erscheinungen mit denen der Vererbung setzt. Ebenso ist es bei den
Pflanzen und Thieren im wilden Zustande allbekannt, daß sie abän-
dern oder variiren. Jede systematische Bearbeitung einer Thier- oder
Pflanzengruppe müßte, wenn sie ganz vollständig und erschöpfend
sein wollte, bei jeder einzelnen Art eine Menge von Abänderungen
anführen, welche mehr oder weniger von der herrschenden oder typi-
schen Hauptform der Species abweichen. Jn der That finden Sie in
jedem genauer gearbeiteten systematischen Specialwerk fast bei jeder
Art eine Anzahl von solchen Variationen oder Umbildungen angeführt,
welche bald als individuelle Abweichungen, bald als sogenannte
Spielarten, Rassen, Varietäten, Abarten oder Unterarten bezeichnet
werden, und welche oft außerordentlich weit sich von der Stammart
entfernen, lediglich durch die Anpassung des Organismus an die äu-
ßern Lebensbedingungen.

Wenn wir nun zunächst die allgemeinen Ursachen dieser Anpas-
sungserscheinungen zu ergründen suchen, so kommen wir zu dem Re-
sultat, daß dieselben in Wirklichkeit so einfach sind, als die Ursachen
der Erblichkeitserscheinungen. Wie wir für die Vererbungsthatsachen

Anpaſſung und Veraͤnderlichkeit.
aͤnderung iſt allbekannt, und an tauſend uns umgebenden Erſcheinun-
gen jeden Augenblick wahrzunehmen. Allein gerade deshalb, weil
die Erſcheinungen der Abaͤnderung durch aͤußere Einfluͤſſe ſelbſtver-
ſtaͤndlich erſcheinen, hat man dieſelben bisher noch faſt gar nicht einer
genaueren phyſiologiſchen wiſſenſchaftlichen Unterſuchung unterzogen.
Es gehoͤren dahin alle Erſcheinungen, welche wir als die Folgen der
Angewoͤhnung und Abgewoͤhnung, der Uebung und Nichtuͤbung be-
trachten, oder als die Folgen der Dreſſur, der Erziehung, der Ac-
climatiſation, der Gymnaſtik u. ſ. w. Auch die Veraͤnderungen durch
krankmachende Urſachen, die Krankheiten ſelbſt ſind zum groͤßten
Theil weiter nichts als Anpaſſungen des Organismus an beſtimmte
Lebensbedingungen. Bei den Culturpflanzen und Hausthieren tritt
die Erſcheinung der Abaͤnderung ſo auffallend und maͤchtig hervor,
daß eben darauf der Thierzuͤchter und Gaͤrtner ſeine ganze Thaͤtigkeit
gruͤndet, oder vielmehr auf die Wechſelbeziehung, in welche er dieſe
Erſcheinungen mit denen der Vererbung ſetzt. Ebenſo iſt es bei den
Pflanzen und Thieren im wilden Zuſtande allbekannt, daß ſie abaͤn-
dern oder variiren. Jede ſyſtematiſche Bearbeitung einer Thier- oder
Pflanzengruppe muͤßte, wenn ſie ganz vollſtaͤndig und erſchoͤpfend
ſein wollte, bei jeder einzelnen Art eine Menge von Abaͤnderungen
anfuͤhren, welche mehr oder weniger von der herrſchenden oder typi-
ſchen Hauptform der Species abweichen. Jn der That finden Sie in
jedem genauer gearbeiteten ſyſtematiſchen Specialwerk faſt bei jeder
Art eine Anzahl von ſolchen Variationen oder Umbildungen angefuͤhrt,
welche bald als individuelle Abweichungen, bald als ſogenannte
Spielarten, Raſſen, Varietaͤten, Abarten oder Unterarten bezeichnet
werden, und welche oft außerordentlich weit ſich von der Stammart
entfernen, lediglich durch die Anpaſſung des Organismus an die aͤu-
ßern Lebensbedingungen.

Wenn wir nun zunaͤchſt die allgemeinen Urſachen dieſer Anpaſ-
ſungserſcheinungen zu ergruͤnden ſuchen, ſo kommen wir zu dem Re-
ſultat, daß dieſelben in Wirklichkeit ſo einfach ſind, als die Urſachen
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[174/0195] Anpaſſung und Veraͤnderlichkeit. aͤnderung iſt allbekannt, und an tauſend uns umgebenden Erſcheinun- gen jeden Augenblick wahrzunehmen. Allein gerade deshalb, weil die Erſcheinungen der Abaͤnderung durch aͤußere Einfluͤſſe ſelbſtver- ſtaͤndlich erſcheinen, hat man dieſelben bisher noch faſt gar nicht einer genaueren phyſiologiſchen wiſſenſchaftlichen Unterſuchung unterzogen. Es gehoͤren dahin alle Erſcheinungen, welche wir als die Folgen der Angewoͤhnung und Abgewoͤhnung, der Uebung und Nichtuͤbung be- trachten, oder als die Folgen der Dreſſur, der Erziehung, der Ac- climatiſation, der Gymnaſtik u. ſ. w. Auch die Veraͤnderungen durch krankmachende Urſachen, die Krankheiten ſelbſt ſind zum groͤßten Theil weiter nichts als Anpaſſungen des Organismus an beſtimmte Lebensbedingungen. Bei den Culturpflanzen und Hausthieren tritt die Erſcheinung der Abaͤnderung ſo auffallend und maͤchtig hervor, daß eben darauf der Thierzuͤchter und Gaͤrtner ſeine ganze Thaͤtigkeit gruͤndet, oder vielmehr auf die Wechſelbeziehung, in welche er dieſe Erſcheinungen mit denen der Vererbung ſetzt. Ebenſo iſt es bei den Pflanzen und Thieren im wilden Zuſtande allbekannt, daß ſie abaͤn- dern oder variiren. Jede ſyſtematiſche Bearbeitung einer Thier- oder Pflanzengruppe muͤßte, wenn ſie ganz vollſtaͤndig und erſchoͤpfend ſein wollte, bei jeder einzelnen Art eine Menge von Abaͤnderungen anfuͤhren, welche mehr oder weniger von der herrſchenden oder typi- ſchen Hauptform der Species abweichen. Jn der That finden Sie in jedem genauer gearbeiteten ſyſtematiſchen Specialwerk faſt bei jeder Art eine Anzahl von ſolchen Variationen oder Umbildungen angefuͤhrt, welche bald als individuelle Abweichungen, bald als ſogenannte Spielarten, Raſſen, Varietaͤten, Abarten oder Unterarten bezeichnet werden, und welche oft außerordentlich weit ſich von der Stammart entfernen, lediglich durch die Anpaſſung des Organismus an die aͤu- ßern Lebensbedingungen. Wenn wir nun zunaͤchſt die allgemeinen Urſachen dieſer Anpaſ- ſungserſcheinungen zu ergruͤnden ſuchen, ſo kommen wir zu dem Re- ſultat, daß dieſelben in Wirklichkeit ſo einfach ſind, als die Urſachen der Erblichkeitserſcheinungen. Wie wir fuͤr die Vererbungsthatſachen

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/195>, abgerufen am 04.12.2024.