Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Zahlenverhältniß der möglichen und wirklichen Jndividuen.
Samen hervorbrächte (und es gibt keine, die so wenig erzeugt), sie in
20 Jahren schon eine Million Jndividuen geliefert haben würde.
Darwin berechnete vom Elephanten, der sich am langsamsten von
allen Thieren zu vermehren scheint, daß in 500 Jahren die Nachkom-
menschaft eines einzigen Paares bereits 15 Millionen Jndividuen be-
tragen würde, vorausgesetzt, daß jeder Elephant während der Zeit
seiner Fruchtbarkeit (vom 30. bis 90. Jahre) nur 3 Paar Junge er-
zeugte. Ebenso würde die Zahl der Menschen, wenn man die mittlere
Fortpflanzungszahl zu Grunde legt, und wenn keine Hindernisse der
natürlichen Vermehrung im Wege stünden, bereits in 25 Jahren sich
verdoppelt haben. Jn jedem Jahrhundert würde die Gesammtzahl der
menschlichen Bevölkerung um das sechszehnfache gestiegen sein. Nun
wissen Sie aber, daß die Gesammtzahl der Menschen nur sehr lang-
sam wächst, und daß die Zunahme der Bevölkerung in verschiedenen
Gegenden sehr verschieden ist. Während europäische Stämme sich über
den ganzen Erdball ausbreiten, gehen andere Stämme, ja sogar ganze
Arten oder Species des Menschengeschlechts mit jedem Jahre mehr
ihrem völligen Aussterben entgegen. Dies gilt namentlich von den
Rothhäuten Amerikas und von den Alfurus, den schwarzbraunen Ein-
geborenen Australiens. Selbst wenn diese Völker sich reichlicher fort-
pflanzten, als die weiße Menschenart Europas, würden sie dennoch
früher oder später der letzteren im Kampfe um's Dasein erliegen. Von
allen Menschenarten aber, ebenso wie von allen übrigen Organismen,
geht bei weitem die überwiegende Mehrzahl in der frühesten Lebenszeit
zu Grunde. Von der ungeheuren Masse von Keimen, die jede Art
erzeugt, gelangen nur sehr wenige wirklich zur Entwickelung, und von
diesen wenigen ist es wieder nur ein ganz kleiner Bruchtheil, welcher
das Alter erreicht, in dem er sich fortpflanzen kann (Vergl. S. 127).

Aus diesem Mißverhältniß zwischen der ungeheuren Ueberzahl der
organischen Keime und der geringen Anzahl von auserwählten Jn-
dividuen, die wirklich neben und mit einander fortbestehen können,
folgt mit Nothwendigkeit jener allgemeine Kampf um's Dasein, jenes
beständige Ringen um die Existenz, jener unaufhörliche Wettkampf

Zahlenverhaͤltniß der moͤglichen und wirklichen Jndividuen.
Samen hervorbraͤchte (und es gibt keine, die ſo wenig erzeugt), ſie in
20 Jahren ſchon eine Million Jndividuen geliefert haben wuͤrde.
Darwin berechnete vom Elephanten, der ſich am langſamſten von
allen Thieren zu vermehren ſcheint, daß in 500 Jahren die Nachkom-
menſchaft eines einzigen Paares bereits 15 Millionen Jndividuen be-
tragen wuͤrde, vorausgeſetzt, daß jeder Elephant waͤhrend der Zeit
ſeiner Fruchtbarkeit (vom 30. bis 90. Jahre) nur 3 Paar Junge er-
zeugte. Ebenſo wuͤrde die Zahl der Menſchen, wenn man die mittlere
Fortpflanzungszahl zu Grunde legt, und wenn keine Hinderniſſe der
natuͤrlichen Vermehrung im Wege ſtuͤnden, bereits in 25 Jahren ſich
verdoppelt haben. Jn jedem Jahrhundert wuͤrde die Geſammtzahl der
menſchlichen Bevoͤlkerung um das ſechszehnfache geſtiegen ſein. Nun
wiſſen Sie aber, daß die Geſammtzahl der Menſchen nur ſehr lang-
ſam waͤchſt, und daß die Zunahme der Bevoͤlkerung in verſchiedenen
Gegenden ſehr verſchieden iſt. Waͤhrend europaͤiſche Staͤmme ſich uͤber
den ganzen Erdball ausbreiten, gehen andere Staͤmme, ja ſogar ganze
Arten oder Species des Menſchengeſchlechts mit jedem Jahre mehr
ihrem voͤlligen Ausſterben entgegen. Dies gilt namentlich von den
Rothhaͤuten Amerikas und von den Alfurus, den ſchwarzbraunen Ein-
geborenen Auſtraliens. Selbſt wenn dieſe Voͤlker ſich reichlicher fort-
pflanzten, als die weiße Menſchenart Europas, wuͤrden ſie dennoch
fruͤher oder ſpaͤter der letzteren im Kampfe um’s Daſein erliegen. Von
allen Menſchenarten aber, ebenſo wie von allen uͤbrigen Organismen,
geht bei weitem die uͤberwiegende Mehrzahl in der fruͤheſten Lebenszeit
zu Grunde. Von der ungeheuren Maſſe von Keimen, die jede Art
erzeugt, gelangen nur ſehr wenige wirklich zur Entwickelung, und von
dieſen wenigen iſt es wieder nur ein ganz kleiner Bruchtheil, welcher
das Alter erreicht, in dem er ſich fortpflanzen kann (Vergl. S. 127).

Aus dieſem Mißverhaͤltniß zwiſchen der ungeheuren Ueberzahl der
organiſchen Keime und der geringen Anzahl von auserwaͤhlten Jn-
dividuen, die wirklich neben und mit einander fortbeſtehen koͤnnen,
folgt mit Nothwendigkeit jener allgemeine Kampf um’s Daſein, jenes
beſtaͤndige Ringen um die Exiſtenz, jener unaufhoͤrliche Wettkampf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0227" n="206"/><fw place="top" type="header">Zahlenverha&#x0364;ltniß der mo&#x0364;glichen und wirklichen Jndividuen.</fw><lb/>
Samen hervorbra&#x0364;chte (und es gibt keine, die &#x017F;o wenig erzeugt), &#x017F;ie in<lb/>
20 Jahren &#x017F;chon eine Million Jndividuen geliefert haben wu&#x0364;rde.<lb/><hi rendition="#g">Darwin</hi> berechnete vom Elephanten, der &#x017F;ich am lang&#x017F;am&#x017F;ten von<lb/>
allen Thieren zu vermehren &#x017F;cheint, daß in 500 Jahren die Nachkom-<lb/>
men&#x017F;chaft eines einzigen Paares bereits 15 Millionen Jndividuen be-<lb/>
tragen wu&#x0364;rde, vorausge&#x017F;etzt, daß jeder Elephant wa&#x0364;hrend der Zeit<lb/>
&#x017F;einer Fruchtbarkeit (vom 30. bis 90. Jahre) nur 3 Paar Junge er-<lb/>
zeugte. Eben&#x017F;o wu&#x0364;rde die Zahl der Men&#x017F;chen, wenn man die mittlere<lb/>
Fortpflanzungszahl zu Grunde legt, und wenn keine Hinderni&#x017F;&#x017F;e der<lb/>
natu&#x0364;rlichen Vermehrung im Wege &#x017F;tu&#x0364;nden, bereits in 25 Jahren &#x017F;ich<lb/>
verdoppelt haben. Jn jedem Jahrhundert wu&#x0364;rde die Ge&#x017F;ammtzahl der<lb/>
men&#x017F;chlichen Bevo&#x0364;lkerung um das &#x017F;echszehnfache ge&#x017F;tiegen &#x017F;ein. Nun<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en Sie aber, daß die Ge&#x017F;ammtzahl der Men&#x017F;chen nur &#x017F;ehr lang-<lb/>
&#x017F;am wa&#x0364;ch&#x017F;t, und daß die Zunahme der Bevo&#x0364;lkerung in ver&#x017F;chiedenen<lb/>
Gegenden &#x017F;ehr ver&#x017F;chieden i&#x017F;t. Wa&#x0364;hrend europa&#x0364;i&#x017F;che Sta&#x0364;mme &#x017F;ich u&#x0364;ber<lb/>
den ganzen Erdball ausbreiten, gehen andere Sta&#x0364;mme, ja &#x017F;ogar ganze<lb/>
Arten oder Species des Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechts mit jedem Jahre mehr<lb/>
ihrem vo&#x0364;lligen Aus&#x017F;terben entgegen. Dies gilt namentlich von den<lb/>
Rothha&#x0364;uten Amerikas und von den Alfurus, den &#x017F;chwarzbraunen Ein-<lb/>
geborenen Au&#x017F;traliens. Selb&#x017F;t wenn die&#x017F;e Vo&#x0364;lker &#x017F;ich reichlicher fort-<lb/>
pflanzten, als die weiße Men&#x017F;chenart Europas, wu&#x0364;rden &#x017F;ie dennoch<lb/>
fru&#x0364;her oder &#x017F;pa&#x0364;ter der letzteren im Kampfe um&#x2019;s Da&#x017F;ein erliegen. Von<lb/>
allen Men&#x017F;chenarten aber, eben&#x017F;o wie von allen u&#x0364;brigen Organismen,<lb/>
geht bei weitem die u&#x0364;berwiegende Mehrzahl in der fru&#x0364;he&#x017F;ten Lebenszeit<lb/>
zu Grunde. Von der ungeheuren Ma&#x017F;&#x017F;e von Keimen, die jede Art<lb/>
erzeugt, gelangen nur &#x017F;ehr wenige wirklich zur Entwickelung, und von<lb/>
die&#x017F;en wenigen i&#x017F;t es wieder nur ein ganz kleiner Bruchtheil, welcher<lb/>
das Alter erreicht, in dem er &#x017F;ich fortpflanzen kann (Vergl. S. 127).</p><lb/>
        <p>Aus die&#x017F;em Mißverha&#x0364;ltniß zwi&#x017F;chen der ungeheuren Ueberzahl der<lb/>
organi&#x017F;chen Keime und der geringen Anzahl von auserwa&#x0364;hlten Jn-<lb/>
dividuen, die wirklich neben und mit einander fortbe&#x017F;tehen ko&#x0364;nnen,<lb/>
folgt mit Nothwendigkeit jener allgemeine Kampf um&#x2019;s Da&#x017F;ein, jenes<lb/>
be&#x017F;ta&#x0364;ndige Ringen um die Exi&#x017F;tenz, jener unaufho&#x0364;rliche Wettkampf<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[206/0227] Zahlenverhaͤltniß der moͤglichen und wirklichen Jndividuen. Samen hervorbraͤchte (und es gibt keine, die ſo wenig erzeugt), ſie in 20 Jahren ſchon eine Million Jndividuen geliefert haben wuͤrde. Darwin berechnete vom Elephanten, der ſich am langſamſten von allen Thieren zu vermehren ſcheint, daß in 500 Jahren die Nachkom- menſchaft eines einzigen Paares bereits 15 Millionen Jndividuen be- tragen wuͤrde, vorausgeſetzt, daß jeder Elephant waͤhrend der Zeit ſeiner Fruchtbarkeit (vom 30. bis 90. Jahre) nur 3 Paar Junge er- zeugte. Ebenſo wuͤrde die Zahl der Menſchen, wenn man die mittlere Fortpflanzungszahl zu Grunde legt, und wenn keine Hinderniſſe der natuͤrlichen Vermehrung im Wege ſtuͤnden, bereits in 25 Jahren ſich verdoppelt haben. Jn jedem Jahrhundert wuͤrde die Geſammtzahl der menſchlichen Bevoͤlkerung um das ſechszehnfache geſtiegen ſein. Nun wiſſen Sie aber, daß die Geſammtzahl der Menſchen nur ſehr lang- ſam waͤchſt, und daß die Zunahme der Bevoͤlkerung in verſchiedenen Gegenden ſehr verſchieden iſt. Waͤhrend europaͤiſche Staͤmme ſich uͤber den ganzen Erdball ausbreiten, gehen andere Staͤmme, ja ſogar ganze Arten oder Species des Menſchengeſchlechts mit jedem Jahre mehr ihrem voͤlligen Ausſterben entgegen. Dies gilt namentlich von den Rothhaͤuten Amerikas und von den Alfurus, den ſchwarzbraunen Ein- geborenen Auſtraliens. Selbſt wenn dieſe Voͤlker ſich reichlicher fort- pflanzten, als die weiße Menſchenart Europas, wuͤrden ſie dennoch fruͤher oder ſpaͤter der letzteren im Kampfe um’s Daſein erliegen. Von allen Menſchenarten aber, ebenſo wie von allen uͤbrigen Organismen, geht bei weitem die uͤberwiegende Mehrzahl in der fruͤheſten Lebenszeit zu Grunde. Von der ungeheuren Maſſe von Keimen, die jede Art erzeugt, gelangen nur ſehr wenige wirklich zur Entwickelung, und von dieſen wenigen iſt es wieder nur ein ganz kleiner Bruchtheil, welcher das Alter erreicht, in dem er ſich fortpflanzen kann (Vergl. S. 127). Aus dieſem Mißverhaͤltniß zwiſchen der ungeheuren Ueberzahl der organiſchen Keime und der geringen Anzahl von auserwaͤhlten Jn- dividuen, die wirklich neben und mit einander fortbeſtehen koͤnnen, folgt mit Nothwendigkeit jener allgemeine Kampf um’s Daſein, jenes beſtaͤndige Ringen um die Exiſtenz, jener unaufhoͤrliche Wettkampf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/227
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/227>, abgerufen am 11.12.2024.