Aesthetische und psychische Zuchtwahl im Kampf um die Fortpflanzung.
Zierde des männlichen Geschlechts. Ebenso zeichnen sich bei sehr vielen anderen Vögeln und bei sehr vielen Jnsecten, namentlich Schmetterlingen, die Männchen durch besondere Farben oder andere Zierden vor den Weibchen aus. Offenbar sind dieselben Producte der sexuellen Züchtung. Da den Weibchen diese Reize und Verzie- rungen fehlen, so müssen wir schließen, daß dieselben von den Männ- chen im Wettkampf um die Weibchen erst mühsam erworben worden sind, wobei die Weibchen auslesend wirkten.
Die Anwendung dieses interessanten Schlusses auf die menschliche Gesellschaft können Sie sich selbst leicht im Einzelnen ausmalen. Of- fenbar sind auch hier dieselben Ursachen bei der Ausbildung der secun- dären Sexualcharaktere wirksam gewesen. Ebensowohl die Vorzüge, welche den Mann, als diejenigen, welche das Weib auszeichnen, ver- danken ihren Ursprung ganz gewiß größtentheils der sexuellen Auslese des anderen Geschlechts. Jm Alterthum und im Mittelalter, besonders in der romantischen Ritterzeit, waren es die unmittelbaren Vernich- tungskämpfe, die Turniere und Duelle, welche die Brautwahl ver- mittelten; der Stärkere führte die Braut heim. Jn neuerer Zeit da- gegen sind die mittelbaren Wettkämpfe der Nebenbuhler beliebter, welche mittelst musikalischer Leistungen, Spiel und Gesang, oder mit- telst körperlicher Reize, natürlicher Schönheit oder künstlichen Putzes, in unseren sogenannten "feinen" und "hochcivilisirten" Gesellschaften ausgekämpft werden. Bei weitem am Wichtigsten aber von diesen ver- schiedenen Formen der Geschlechtswahl des Menschen ist die am mei- sten veredelte Form derselben, nämlich die psychische Auslese, bei welcher die geistigen Vorzüge des einen Geschlechts bestimmend auf die Wahl des anderen einwirken. Jndem der am höchsten ver- edelte Culturmensch sich bei der Wahl der Lebensgefährtin Generatio- nen hindurch von den Seelenvorzügen derselben leiten ließ, und diese auf die Nachkommenschaft vererbte, half er mehr, als durch vieles Andere, die tiefe Kluft schaffen, welche ihn gegenwärtig von den ro- hesten Naturvölkern und von unseren gemeinsamen thierischen Vor- eltern trennt (Gen. Morph. II, 247).
Aeſthetiſche und pſychiſche Zuchtwahl im Kampf um die Fortpflanzung.
Zierde des maͤnnlichen Geſchlechts. Ebenſo zeichnen ſich bei ſehr vielen anderen Voͤgeln und bei ſehr vielen Jnſecten, namentlich Schmetterlingen, die Maͤnnchen durch beſondere Farben oder andere Zierden vor den Weibchen aus. Offenbar ſind dieſelben Producte der ſexuellen Zuͤchtung. Da den Weibchen dieſe Reize und Verzie- rungen fehlen, ſo muͤſſen wir ſchließen, daß dieſelben von den Maͤnn- chen im Wettkampf um die Weibchen erſt muͤhſam erworben worden ſind, wobei die Weibchen ausleſend wirkten.
Die Anwendung dieſes intereſſanten Schluſſes auf die menſchliche Geſellſchaft koͤnnen Sie ſich ſelbſt leicht im Einzelnen ausmalen. Of- fenbar ſind auch hier dieſelben Urſachen bei der Ausbildung der ſecun- daͤren Sexualcharaktere wirkſam geweſen. Ebenſowohl die Vorzuͤge, welche den Mann, als diejenigen, welche das Weib auszeichnen, ver- danken ihren Urſprung ganz gewiß groͤßtentheils der ſexuellen Ausleſe des anderen Geſchlechts. Jm Alterthum und im Mittelalter, beſonders in der romantiſchen Ritterzeit, waren es die unmittelbaren Vernich- tungskaͤmpfe, die Turniere und Duelle, welche die Brautwahl ver- mittelten; der Staͤrkere fuͤhrte die Braut heim. Jn neuerer Zeit da- gegen ſind die mittelbaren Wettkaͤmpfe der Nebenbuhler beliebter, welche mittelſt muſikaliſcher Leiſtungen, Spiel und Geſang, oder mit- telſt koͤrperlicher Reize, natuͤrlicher Schoͤnheit oder kuͤnſtlichen Putzes, in unſeren ſogenannten „feinen“ und „hochciviliſirten“ Geſellſchaften ausgekaͤmpft werden. Bei weitem am Wichtigſten aber von dieſen ver- ſchiedenen Formen der Geſchlechtswahl des Menſchen iſt die am mei- ſten veredelte Form derſelben, naͤmlich die pſychiſche Ausleſe, bei welcher die geiſtigen Vorzuͤge des einen Geſchlechts beſtimmend auf die Wahl des anderen einwirken. Jndem der am hoͤchſten ver- edelte Culturmenſch ſich bei der Wahl der Lebensgefaͤhrtin Generatio- nen hindurch von den Seelenvorzuͤgen derſelben leiten ließ, und dieſe auf die Nachkommenſchaft vererbte, half er mehr, als durch vieles Andere, die tiefe Kluft ſchaffen, welche ihn gegenwaͤrtig von den ro- heſten Naturvoͤlkern und von unſeren gemeinſamen thieriſchen Vor- eltern trennt (Gen. Morph. II, 247).
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Aeſthetiſche und pſychiſche Zuchtwahl im Kampf um die Fortpflanzung.
Zierde des maͤnnlichen Geſchlechts. Ebenſo zeichnen ſich bei ſehr
vielen anderen Voͤgeln und bei ſehr vielen Jnſecten, namentlich
Schmetterlingen, die Maͤnnchen durch beſondere Farben oder andere
Zierden vor den Weibchen aus. Offenbar ſind dieſelben Producte
der ſexuellen Zuͤchtung. Da den Weibchen dieſe Reize und Verzie-
rungen fehlen, ſo muͤſſen wir ſchließen, daß dieſelben von den Maͤnn-
chen im Wettkampf um die Weibchen erſt muͤhſam erworben worden
ſind, wobei die Weibchen ausleſend wirkten.
Die Anwendung dieſes intereſſanten Schluſſes auf die menſchliche
Geſellſchaft koͤnnen Sie ſich ſelbſt leicht im Einzelnen ausmalen. Of-
fenbar ſind auch hier dieſelben Urſachen bei der Ausbildung der ſecun-
daͤren Sexualcharaktere wirkſam geweſen. Ebenſowohl die Vorzuͤge,
welche den Mann, als diejenigen, welche das Weib auszeichnen, ver-
danken ihren Urſprung ganz gewiß groͤßtentheils der ſexuellen Ausleſe
des anderen Geſchlechts. Jm Alterthum und im Mittelalter, beſonders
in der romantiſchen Ritterzeit, waren es die unmittelbaren Vernich-
tungskaͤmpfe, die Turniere und Duelle, welche die Brautwahl ver-
mittelten; der Staͤrkere fuͤhrte die Braut heim. Jn neuerer Zeit da-
gegen ſind die mittelbaren Wettkaͤmpfe der Nebenbuhler beliebter,
welche mittelſt muſikaliſcher Leiſtungen, Spiel und Geſang, oder mit-
telſt koͤrperlicher Reize, natuͤrlicher Schoͤnheit oder kuͤnſtlichen Putzes,
in unſeren ſogenannten „feinen“ und „hochciviliſirten“ Geſellſchaften
ausgekaͤmpft werden. Bei weitem am Wichtigſten aber von dieſen ver-
ſchiedenen Formen der Geſchlechtswahl des Menſchen iſt die am mei-
ſten veredelte Form derſelben, naͤmlich die pſychiſche Ausleſe,
bei welcher die geiſtigen Vorzuͤge des einen Geſchlechts beſtimmend
auf die Wahl des anderen einwirken. Jndem der am hoͤchſten ver-
edelte Culturmenſch ſich bei der Wahl der Lebensgefaͤhrtin Generatio-
nen hindurch von den Seelenvorzuͤgen derſelben leiten ließ, und dieſe
auf die Nachkommenſchaft vererbte, half er mehr, als durch vieles
Andere, die tiefe Kluft ſchaffen, welche ihn gegenwaͤrtig von den ro-
heſten Naturvoͤlkern und von unſeren gemeinſamen thieriſchen Vor-
eltern trennt (Gen. Morph. II, 247).
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/237>, abgerufen am 25.11.2024.
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