Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.Gesetz der Sonderung oder Arbeitstheilung. dene Geschäfte betreiben. Wenn hier in Jena ebenso viel Schusterexistiren wollten, als Schuster, Schneider, Tischler, Buchbinder u. s. w. zusammengenommen da sind, so würde bald der größte Theil der- selben zu Grunde gehen. Offenbar können hier um so mehr Jndi- viduen neben einander existiren, je verschiedenartiger ihre Beschäfti- gung ist. Die Arbeitstheilung, welche sowohl der ganzen Gemeinde, als auch dem einzelnen Arbeiter den größten Nutzen bringt, ist eine unmittelbare Folge des Kampfes um's Dasein, der natürlichen Züch- tung; denn dieser Kampf ist um so leichter zu bestehen, je mehr sich die Thätigkeit und somit auch die Form der verschiedenen Jndividuen von einander entfernt. Natürlich wirkt die verschiedene Function umbildend auf die Form zurück, und die physiologische Arbeitsthei- lung bedingt nothwendig die morphologische Differenzirung. Nun bitte ich Sie wieder zu erwägen, daß alle Thier- und Pflan- Geſetz der Sonderung oder Arbeitstheilung. dene Geſchaͤfte betreiben. Wenn hier in Jena ebenſo viel Schuſterexiſtiren wollten, als Schuſter, Schneider, Tiſchler, Buchbinder u. ſ. w. zuſammengenommen da ſind, ſo wuͤrde bald der groͤßte Theil der- ſelben zu Grunde gehen. Offenbar koͤnnen hier um ſo mehr Jndi- viduen neben einander exiſtiren, je verſchiedenartiger ihre Beſchaͤfti- gung iſt. Die Arbeitstheilung, welche ſowohl der ganzen Gemeinde, als auch dem einzelnen Arbeiter den groͤßten Nutzen bringt, iſt eine unmittelbare Folge des Kampfes um’s Daſein, der natuͤrlichen Zuͤch- tung; denn dieſer Kampf iſt um ſo leichter zu beſtehen, je mehr ſich die Thaͤtigkeit und ſomit auch die Form der verſchiedenen Jndividuen von einander entfernt. Natuͤrlich wirkt die verſchiedene Function umbildend auf die Form zuruͤck, und die phyſiologiſche Arbeitsthei- lung bedingt nothwendig die morphologiſche Differenzirung. Nun bitte ich Sie wieder zu erwaͤgen, daß alle Thier- und Pflan- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0240" n="219"/><fw place="top" type="header">Geſetz der Sonderung oder Arbeitstheilung.</fw><lb/> dene Geſchaͤfte betreiben. Wenn hier in Jena ebenſo viel Schuſter<lb/> exiſtiren wollten, als Schuſter, Schneider, Tiſchler, Buchbinder u. ſ.<lb/> w. zuſammengenommen da ſind, ſo wuͤrde bald der groͤßte Theil der-<lb/> ſelben zu Grunde gehen. Offenbar koͤnnen hier um ſo mehr Jndi-<lb/> viduen neben einander exiſtiren, je verſchiedenartiger ihre Beſchaͤfti-<lb/> gung iſt. Die Arbeitstheilung, welche ſowohl der ganzen Gemeinde,<lb/> als auch dem einzelnen Arbeiter den groͤßten Nutzen bringt, iſt eine<lb/> unmittelbare Folge des Kampfes um’s Daſein, der natuͤrlichen Zuͤch-<lb/> tung; denn dieſer Kampf iſt um ſo leichter zu beſtehen, je mehr ſich<lb/> die Thaͤtigkeit und ſomit auch die Form der verſchiedenen Jndividuen<lb/> von einander entfernt. Natuͤrlich wirkt die verſchiedene Function<lb/> umbildend auf die Form zuruͤck, und die phyſiologiſche Arbeitsthei-<lb/> lung bedingt nothwendig die morphologiſche Differenzirung.</p><lb/> <p>Nun bitte ich Sie wieder zu erwaͤgen, daß alle Thier- und Pflan-<lb/> zenarten veraͤnderlich ſind, und die Faͤhigkeit beſitzen, ſich an verſchie-<lb/> denen Orten den localen Verhaͤltniſſen anzupaſſen. Die Spielarten,<lb/> Varietaͤten oder Raſſen einer jeden Species werden ſich den Anpaſ-<lb/> ſungsgeſetzen gemaͤß um ſo mehr von der urſpruͤnglichen Stammart<lb/> entfernen, je verſchiedenartiger die neuen Verhaͤltniſſe ſind, denen ſie<lb/> ſich anpaſſen. Wenn wir nun dieſe von einer gemeinſamen Grund-<lb/> form ausgehenden Varietaͤten uns in Form eines verzweigten Strah-<lb/> lenbuͤſchels vorſtellen, ſo werden diejenigen Spielarten am beſten ne-<lb/> ben einander exiſtiren und ſich fortpflanzen koͤnnen, welche am wei-<lb/> teſten von einander entfernt ſind, welche an den Enden der Reihe<lb/> oder auf entgegengeſetzten Seiten des Buͤſchels ſtehen. Die in der<lb/> Mitte ſtehenden Uebergangsformen dagegen haben den ſchwierigſten<lb/> Stand im Kampfe um’s Daſein. Die nothwendigen Lebensbeduͤrf-<lb/> niſſe ſind bei den extremen, am weiteſten aus einandergehenden Spiel-<lb/> arten am meiſten verſchieden, und daher werden dieſe in dem allgemei-<lb/> nen Kampfe um’s Daſein am wenigſten in ernſtlichen Conflict ge-<lb/> rathen. Die vermittelnden Zwiſchenformen dagegen, welche ſich am<lb/> wenigſten von der urſpruͤnglichen Stammform entfernt haben, theilen<lb/> mehr oder minder dieſelben Lebensbeduͤrfniſſe, und daher werden ſie<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [219/0240]
Geſetz der Sonderung oder Arbeitstheilung.
dene Geſchaͤfte betreiben. Wenn hier in Jena ebenſo viel Schuſter
exiſtiren wollten, als Schuſter, Schneider, Tiſchler, Buchbinder u. ſ.
w. zuſammengenommen da ſind, ſo wuͤrde bald der groͤßte Theil der-
ſelben zu Grunde gehen. Offenbar koͤnnen hier um ſo mehr Jndi-
viduen neben einander exiſtiren, je verſchiedenartiger ihre Beſchaͤfti-
gung iſt. Die Arbeitstheilung, welche ſowohl der ganzen Gemeinde,
als auch dem einzelnen Arbeiter den groͤßten Nutzen bringt, iſt eine
unmittelbare Folge des Kampfes um’s Daſein, der natuͤrlichen Zuͤch-
tung; denn dieſer Kampf iſt um ſo leichter zu beſtehen, je mehr ſich
die Thaͤtigkeit und ſomit auch die Form der verſchiedenen Jndividuen
von einander entfernt. Natuͤrlich wirkt die verſchiedene Function
umbildend auf die Form zuruͤck, und die phyſiologiſche Arbeitsthei-
lung bedingt nothwendig die morphologiſche Differenzirung.
Nun bitte ich Sie wieder zu erwaͤgen, daß alle Thier- und Pflan-
zenarten veraͤnderlich ſind, und die Faͤhigkeit beſitzen, ſich an verſchie-
denen Orten den localen Verhaͤltniſſen anzupaſſen. Die Spielarten,
Varietaͤten oder Raſſen einer jeden Species werden ſich den Anpaſ-
ſungsgeſetzen gemaͤß um ſo mehr von der urſpruͤnglichen Stammart
entfernen, je verſchiedenartiger die neuen Verhaͤltniſſe ſind, denen ſie
ſich anpaſſen. Wenn wir nun dieſe von einer gemeinſamen Grund-
form ausgehenden Varietaͤten uns in Form eines verzweigten Strah-
lenbuͤſchels vorſtellen, ſo werden diejenigen Spielarten am beſten ne-
ben einander exiſtiren und ſich fortpflanzen koͤnnen, welche am wei-
teſten von einander entfernt ſind, welche an den Enden der Reihe
oder auf entgegengeſetzten Seiten des Buͤſchels ſtehen. Die in der
Mitte ſtehenden Uebergangsformen dagegen haben den ſchwierigſten
Stand im Kampfe um’s Daſein. Die nothwendigen Lebensbeduͤrf-
niſſe ſind bei den extremen, am weiteſten aus einandergehenden Spiel-
arten am meiſten verſchieden, und daher werden dieſe in dem allgemei-
nen Kampfe um’s Daſein am wenigſten in ernſtlichen Conflict ge-
rathen. Die vermittelnden Zwiſchenformen dagegen, welche ſich am
wenigſten von der urſpruͤnglichen Stammform entfernt haben, theilen
mehr oder minder dieſelben Lebensbeduͤrfniſſe, und daher werden ſie
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