zen Bildung tief unter den übrigen Blüthenpflanzen (Angiospermen) stehen, und den Uebergang von jenen farrnkrautartigen Pflanzen zu den Angiospermen vermitteln. Diese letzteren entwickelten sich wiederum viel später, und zwar waren auch hier anfangs bloß kronenlose Blü- thenpflanzen (Monocotyledonen und Monochlamydeen), später erst kronenblüthige (Dichlamydeen) vorhanden. Endlich gingen unter diesen wieder die niederen Polypetalen den höheren Gamopetalen vor- aus. Diese ganze Reihenfolge ist ein unwiderleglicher und handgreif- licher Beweis für das große Gesetz der fortschreitenden Entwickelung der Organismen, welches von denkenden Paläontologen als empiri- sche Thatsache auch längst anerkannt ist.
Fragen wir nun, wodurch diese Thatsache bedingt ist, so kommen wir wiederum, gerade so wie bei der Thatsache der Differenzirung, auf die natürliche Züchtung im Kampf um das Dasein zurück. Wenn Sie noch einmal den ganzen Vorgang der natürlichen Züchtung, wie er durch die verwickelte Wechselwirkung der verschiedenen Vererbungs- und Anpassungsgesetze sich gestaltet, sich vor Augen stellen, so wer- den Sie als die nächste nothwendige Folge nicht allein die Divergenz des Charakters, sondern auch die Vervollkommnung desselben erken- nen. Es ist eine Naturnothwendigkeit, daß die beständige Zunahme der Arbeitstheilung oder Differenzirung im Großen und Ganzen zu- gleich einen Fortschritt der Organisation, eine Vervollkommnung der organischen Formen in sich schließt. Wir sehen ganz dasselbe in der Geschichte des menschlichen Geschlechts. Auch hier ist es natürlich und nothwendig, daß die fortschreitende Arbeitstheilung beständig die Menschheit fördert, und in jedem einzelnen Zweige der menschlichen Thätigkeit zu neuen Erfindungen und Verbesserungen antreibt. Jm Großen und Ganzen beruht der Fortschritt selbst auf der Differenzi- rung und ist daher gleich dieser eine unmittelbare Folge der natürlichen Züchtung durch den Kampf um's Dasein.
Geſetz des Fortſchritts oder der Vervollkommnung.
zen Bildung tief unter den uͤbrigen Bluͤthenpflanzen (Angioſpermen) ſtehen, und den Uebergang von jenen farrnkrautartigen Pflanzen zu den Angioſpermen vermitteln. Dieſe letzteren entwickelten ſich wiederum viel ſpaͤter, und zwar waren auch hier anfangs bloß kronenloſe Bluͤ- thenpflanzen (Monocotyledonen und Monochlamydeen), ſpaͤter erſt kronenbluͤthige (Dichlamydeen) vorhanden. Endlich gingen unter dieſen wieder die niederen Polypetalen den hoͤheren Gamopetalen vor- aus. Dieſe ganze Reihenfolge iſt ein unwiderleglicher und handgreif- licher Beweis fuͤr das große Geſetz der fortſchreitenden Entwickelung der Organismen, welches von denkenden Palaͤontologen als empiri- ſche Thatſache auch laͤngſt anerkannt iſt.
Fragen wir nun, wodurch dieſe Thatſache bedingt iſt, ſo kommen wir wiederum, gerade ſo wie bei der Thatſache der Differenzirung, auf die natuͤrliche Zuͤchtung im Kampf um das Daſein zuruͤck. Wenn Sie noch einmal den ganzen Vorgang der natuͤrlichen Zuͤchtung, wie er durch die verwickelte Wechſelwirkung der verſchiedenen Vererbungs- und Anpaſſungsgeſetze ſich geſtaltet, ſich vor Augen ſtellen, ſo wer- den Sie als die naͤchſte nothwendige Folge nicht allein die Divergenz des Charakters, ſondern auch die Vervollkommnung deſſelben erken- nen. Es iſt eine Naturnothwendigkeit, daß die beſtaͤndige Zunahme der Arbeitstheilung oder Differenzirung im Großen und Ganzen zu- gleich einen Fortſchritt der Organiſation, eine Vervollkommnung der organiſchen Formen in ſich ſchließt. Wir ſehen ganz daſſelbe in der Geſchichte des menſchlichen Geſchlechts. Auch hier iſt es natuͤrlich und nothwendig, daß die fortſchreitende Arbeitstheilung beſtaͤndig die Menſchheit foͤrdert, und in jedem einzelnen Zweige der menſchlichen Thaͤtigkeit zu neuen Erfindungen und Verbeſſerungen antreibt. Jm Großen und Ganzen beruht der Fortſchritt ſelbſt auf der Differenzi- rung und iſt daher gleich dieſer eine unmittelbare Folge der natuͤrlichen Zuͤchtung durch den Kampf um’s Daſein.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0247"n="226"/><fwplace="top"type="header">Geſetz des Fortſchritts oder der Vervollkommnung.</fw><lb/>
zen Bildung tief unter den uͤbrigen Bluͤthenpflanzen (Angioſpermen)<lb/>ſtehen, und den Uebergang von jenen farrnkrautartigen Pflanzen zu<lb/>
den Angioſpermen vermitteln. Dieſe letzteren entwickelten ſich wiederum<lb/>
viel ſpaͤter, und zwar waren auch hier anfangs bloß kronenloſe Bluͤ-<lb/>
thenpflanzen (Monocotyledonen und Monochlamydeen), ſpaͤter erſt<lb/>
kronenbluͤthige (Dichlamydeen) vorhanden. Endlich gingen unter<lb/>
dieſen wieder die niederen Polypetalen den hoͤheren Gamopetalen vor-<lb/>
aus. Dieſe ganze Reihenfolge iſt ein unwiderleglicher und handgreif-<lb/>
licher Beweis fuͤr das große Geſetz der fortſchreitenden Entwickelung<lb/>
der Organismen, welches von denkenden Palaͤontologen als empiri-<lb/>ſche Thatſache auch laͤngſt anerkannt iſt.</p><lb/><p>Fragen wir nun, wodurch dieſe Thatſache bedingt iſt, ſo kommen<lb/>
wir wiederum, gerade ſo wie bei der Thatſache der Differenzirung,<lb/>
auf die natuͤrliche Zuͤchtung im Kampf um das Daſein zuruͤck. Wenn<lb/>
Sie noch einmal den ganzen Vorgang der natuͤrlichen Zuͤchtung, wie<lb/>
er durch die verwickelte Wechſelwirkung der verſchiedenen Vererbungs-<lb/>
und Anpaſſungsgeſetze ſich geſtaltet, ſich vor Augen ſtellen, ſo wer-<lb/>
den Sie als die naͤchſte nothwendige Folge nicht allein die Divergenz<lb/>
des Charakters, ſondern auch die Vervollkommnung deſſelben erken-<lb/>
nen. Es iſt eine Naturnothwendigkeit, daß die beſtaͤndige Zunahme<lb/>
der Arbeitstheilung oder Differenzirung im Großen und Ganzen zu-<lb/>
gleich einen Fortſchritt der Organiſation, eine Vervollkommnung der<lb/>
organiſchen Formen in ſich ſchließt. Wir ſehen ganz daſſelbe in der<lb/>
Geſchichte des menſchlichen Geſchlechts. Auch hier iſt es natuͤrlich und<lb/>
nothwendig, daß die fortſchreitende Arbeitstheilung beſtaͤndig die<lb/>
Menſchheit foͤrdert, und in jedem einzelnen Zweige der menſchlichen<lb/>
Thaͤtigkeit zu neuen Erfindungen und Verbeſſerungen antreibt. Jm<lb/>
Großen und Ganzen beruht der Fortſchritt ſelbſt auf der Differenzi-<lb/>
rung und iſt daher gleich dieſer eine unmittelbare Folge der natuͤrlichen<lb/>
Zuͤchtung durch den Kampf um’s Daſein.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/></body></text></TEI>
[226/0247]
Geſetz des Fortſchritts oder der Vervollkommnung.
zen Bildung tief unter den uͤbrigen Bluͤthenpflanzen (Angioſpermen)
ſtehen, und den Uebergang von jenen farrnkrautartigen Pflanzen zu
den Angioſpermen vermitteln. Dieſe letzteren entwickelten ſich wiederum
viel ſpaͤter, und zwar waren auch hier anfangs bloß kronenloſe Bluͤ-
thenpflanzen (Monocotyledonen und Monochlamydeen), ſpaͤter erſt
kronenbluͤthige (Dichlamydeen) vorhanden. Endlich gingen unter
dieſen wieder die niederen Polypetalen den hoͤheren Gamopetalen vor-
aus. Dieſe ganze Reihenfolge iſt ein unwiderleglicher und handgreif-
licher Beweis fuͤr das große Geſetz der fortſchreitenden Entwickelung
der Organismen, welches von denkenden Palaͤontologen als empiri-
ſche Thatſache auch laͤngſt anerkannt iſt.
Fragen wir nun, wodurch dieſe Thatſache bedingt iſt, ſo kommen
wir wiederum, gerade ſo wie bei der Thatſache der Differenzirung,
auf die natuͤrliche Zuͤchtung im Kampf um das Daſein zuruͤck. Wenn
Sie noch einmal den ganzen Vorgang der natuͤrlichen Zuͤchtung, wie
er durch die verwickelte Wechſelwirkung der verſchiedenen Vererbungs-
und Anpaſſungsgeſetze ſich geſtaltet, ſich vor Augen ſtellen, ſo wer-
den Sie als die naͤchſte nothwendige Folge nicht allein die Divergenz
des Charakters, ſondern auch die Vervollkommnung deſſelben erken-
nen. Es iſt eine Naturnothwendigkeit, daß die beſtaͤndige Zunahme
der Arbeitstheilung oder Differenzirung im Großen und Ganzen zu-
gleich einen Fortſchritt der Organiſation, eine Vervollkommnung der
organiſchen Formen in ſich ſchließt. Wir ſehen ganz daſſelbe in der
Geſchichte des menſchlichen Geſchlechts. Auch hier iſt es natuͤrlich und
nothwendig, daß die fortſchreitende Arbeitstheilung beſtaͤndig die
Menſchheit foͤrdert, und in jedem einzelnen Zweige der menſchlichen
Thaͤtigkeit zu neuen Erfindungen und Verbeſſerungen antreibt. Jm
Großen und Ganzen beruht der Fortſchritt ſelbſt auf der Differenzi-
rung und iſt daher gleich dieſer eine unmittelbare Folge der natuͤrlichen
Zuͤchtung durch den Kampf um’s Daſein.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/247>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.