Urzeugung. Vergleichung der Organismen und Anorgane.
können also aus diesen allgemeinen Grundzügen der anorganischen Erdgeschichte zunächst die wichtige Thatsache folgern, daß zu irgend einer bestimmten Zeit das Leben auf der Erde seinen Anfang hatte, daß die irdischen Organismen nicht von jeher existirten, sondern in irgend einem bestimmten Zeitpunkte zum ersten Mal entstanden.
Wie haben wir uns nun diese Entstehung der ersten Organismen zu denken? Hier ist derjenige Punkt, an welchem die meisten Natur- forscher noch heutzutage geneigt sind, den Versuch einer natürlichen Erklärung aufzugeben, und zu dem Wunder einer unbegreiflichen Schöpfung zu flüchten. Mit diesem Schritt treten sie, wie schon vor- her bemerkt wurde, außerhalb des Gebiets der naturwissenschaftlichen Erkenntniß und verzichten auf jede wahre Einsicht in den nothwendigen Zusammenhang der Naturgeschichte. Ehe wir muthlos diesen letzten Schritt thun, ehe wir an der Möglichkeit jeder Erkenntniß dieses wich- tigen Vorgangs verzweifeln, wollen wir wenigstens einen Versuch machen, denselben zu begreifen. Lassen Sie uns sehen, ob denn wirklich die Entstehung eines ersten Organismus aus anorganischem Stoffe, die Entstehung eines lebendigen Körpers aus lebloser Materie etwas ganz Undenkbares, außerhalb aller bekannten Erfahrung Ste- hendes sei. Lassen Sie uns mit einem Worte die Frage von der Ur- zeugung oder Archigonie untersuchen. Vor Allem ist hierbei erforderlich, sich die hauptsächlichsten Eigenschaften der beiden Haupt- gruppen von Naturkörpern, der sogenannten leblosen oder anorgani- schen und der belebten oder organischen Körper klar zu machen, und das Gemeinsame einerseits, das Unterscheidende beider Gruppen andrerseits festzustellen. Auf diese Vergleichung der Orga- nismen und Anorgane müssen wir hier um so mehr eingehen, als sie gewöhnlich sehr vernachlässigt wird, und als sie doch zu einem richtigen, einheitlichen oder monistischen Verständniß der Gesammt- natur ganz nothwendig ist. Am zweckmäßigsten wird es hierbei sein, die drei Grundeigenschaften jedes Naturkörpers, Stoff, Form und Kraft, gesondert zu betrachten. Beginnen wir zunächst mit dem Stoff. (Gen. Morph. II, 111.)
Urzeugung. Vergleichung der Organismen und Anorgane.
koͤnnen alſo aus dieſen allgemeinen Grundzuͤgen der anorganiſchen Erdgeſchichte zunaͤchſt die wichtige Thatſache folgern, daß zu irgend einer beſtimmten Zeit das Leben auf der Erde ſeinen Anfang hatte, daß die irdiſchen Organismen nicht von jeher exiſtirten, ſondern in irgend einem beſtimmten Zeitpunkte zum erſten Mal entſtanden.
Wie haben wir uns nun dieſe Entſtehung der erſten Organismen zu denken? Hier iſt derjenige Punkt, an welchem die meiſten Natur- forſcher noch heutzutage geneigt ſind, den Verſuch einer natuͤrlichen Erklaͤrung aufzugeben, und zu dem Wunder einer unbegreiflichen Schoͤpfung zu fluͤchten. Mit dieſem Schritt treten ſie, wie ſchon vor- her bemerkt wurde, außerhalb des Gebiets der naturwiſſenſchaftlichen Erkenntniß und verzichten auf jede wahre Einſicht in den nothwendigen Zuſammenhang der Naturgeſchichte. Ehe wir muthlos dieſen letzten Schritt thun, ehe wir an der Moͤglichkeit jeder Erkenntniß dieſes wich- tigen Vorgangs verzweifeln, wollen wir wenigſtens einen Verſuch machen, denſelben zu begreifen. Laſſen Sie uns ſehen, ob denn wirklich die Entſtehung eines erſten Organismus aus anorganiſchem Stoffe, die Entſtehung eines lebendigen Koͤrpers aus lebloſer Materie etwas ganz Undenkbares, außerhalb aller bekannten Erfahrung Ste- hendes ſei. Laſſen Sie uns mit einem Worte die Frage von der Ur- zeugung oder Archigonie unterſuchen. Vor Allem iſt hierbei erforderlich, ſich die hauptſaͤchlichſten Eigenſchaften der beiden Haupt- gruppen von Naturkoͤrpern, der ſogenannten lebloſen oder anorgani- ſchen und der belebten oder organiſchen Koͤrper klar zu machen, und das Gemeinſame einerſeits, das Unterſcheidende beider Gruppen andrerſeits feſtzuſtellen. Auf dieſe Vergleichung der Orga- nismen und Anorgane muͤſſen wir hier um ſo mehr eingehen, als ſie gewoͤhnlich ſehr vernachlaͤſſigt wird, und als ſie doch zu einem richtigen, einheitlichen oder moniſtiſchen Verſtaͤndniß der Geſammt- natur ganz nothwendig iſt. Am zweckmaͤßigſten wird es hierbei ſein, die drei Grundeigenſchaften jedes Naturkoͤrpers, Stoff, Form und Kraft, geſondert zu betrachten. Beginnen wir zunaͤchſt mit dem Stoff. (Gen. Morph. II, 111.)
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Urzeugung. Vergleichung der Organismen und Anorgane.
koͤnnen alſo aus dieſen allgemeinen Grundzuͤgen der anorganiſchen
Erdgeſchichte zunaͤchſt die wichtige Thatſache folgern, daß zu irgend
einer beſtimmten Zeit das Leben auf der Erde ſeinen Anfang hatte,
daß die irdiſchen Organismen nicht von jeher exiſtirten, ſondern in
irgend einem beſtimmten Zeitpunkte zum erſten Mal entſtanden.
Wie haben wir uns nun dieſe Entſtehung der erſten Organismen
zu denken? Hier iſt derjenige Punkt, an welchem die meiſten Natur-
forſcher noch heutzutage geneigt ſind, den Verſuch einer natuͤrlichen
Erklaͤrung aufzugeben, und zu dem Wunder einer unbegreiflichen
Schoͤpfung zu fluͤchten. Mit dieſem Schritt treten ſie, wie ſchon vor-
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Erkenntniß und verzichten auf jede wahre Einſicht in den nothwendigen
Zuſammenhang der Naturgeſchichte. Ehe wir muthlos dieſen letzten
Schritt thun, ehe wir an der Moͤglichkeit jeder Erkenntniß dieſes wich-
tigen Vorgangs verzweifeln, wollen wir wenigſtens einen Verſuch
machen, denſelben zu begreifen. Laſſen Sie uns ſehen, ob denn
wirklich die Entſtehung eines erſten Organismus aus anorganiſchem
Stoffe, die Entſtehung eines lebendigen Koͤrpers aus lebloſer Materie
etwas ganz Undenkbares, außerhalb aller bekannten Erfahrung Ste-
hendes ſei. Laſſen Sie uns mit einem Worte die Frage von der Ur-
zeugung oder Archigonie unterſuchen. Vor Allem iſt hierbei
erforderlich, ſich die hauptſaͤchlichſten Eigenſchaften der beiden Haupt-
gruppen von Naturkoͤrpern, der ſogenannten lebloſen oder anorgani-
ſchen und der belebten oder organiſchen Koͤrper klar zu machen, und
das Gemeinſame einerſeits, das Unterſcheidende beider Gruppen
andrerſeits feſtzuſtellen. Auf dieſe Vergleichung der Orga-
nismen und Anorgane muͤſſen wir hier um ſo mehr eingehen,
als ſie gewoͤhnlich ſehr vernachlaͤſſigt wird, und als ſie doch zu einem
richtigen, einheitlichen oder moniſtiſchen Verſtaͤndniß der Geſammt-
natur ganz nothwendig iſt. Am zweckmaͤßigſten wird es hierbei ſein,
die drei Grundeigenſchaften jedes Naturkoͤrpers, Stoff, Form und
Kraft, geſondert zu betrachten. Beginnen wir zunaͤchſt mit dem
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/294>, abgerufen am 24.11.2024.
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