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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Dichtigkeitszustände der Organismen und Anorgane.
in den tropfbarflüssigen oder geschmolzenen, und durch weitere Er-
hitzung in den gasförmigen oder elastischflüssigen Zustand versetzt
werden. Ebenso kann jeder gasförmige Körper durch gehörige Er-
niedrigung der Temperatur zunächst in den tropfbarflüssigen und wei-
terhin in den festen Dichtigkeitszustand gebracht werden.

Jm Gegensatze zu diesen drei Dichtigkeitszuständen der Anorgane
befindet sich der lebendige Körper aller Organismen, Thiere sowohl
als Pflanzen, in einem ganz eigenthümlichen, vierten Aggregatzu-
stande. Dieser ist weder fest, wie Gestein, noch tropfbarflüssig, wie
Wasser; vielmehr hält er zwischen diesen beiden Zuständen die Mitte,
und kann daher als der festflüssige oder gequollene Aggregatzustand
bezeichnet werden. Jn allen lebenden Körpern ohne Ausnahme ist
eine gewisse Menge Wasser mit fester Materie in ganz eigenthümlicher
Art und Weise verbunden, und eben durch diese charakteristische Ver-
bindung des Wassers mit der organischen Materie entsteht jener weiche,
weder feste noch flüssige, Aggregatzustand, welcher für die mechani-
sche Erklärung der Lebenserscheinungen von der größten Bedeutung
ist. Die Ursache desselben liegt wesentlich in den physikalischen und
chemischen Eigenschaften eines einzigen unzerlegbaren Grundstoffs,
des Kohlenstoffs.

Von allen Elementen ist der Kohlenstoff für uns bei weitem das
wichtigste und interessanteste, weil bei allen uns bekannten Thier- und
Pflanzenkörpern dieser Grundstoff die größte Rolle spielt. Er ist das-
jenige Element, welches durch seine eigenthümliche Neigung zur Bil-
dung verwickelter Verbindungen mit den andern Elementen die größte
Mannichfaltigkeit in der chemischen Zusammensetzung, und daher auch
in den Formen und Lebenseigenschaften der Thier- und Pflanzen-
körper hervorruft. Der Kohlenstoff zeichnet sich ganz besonders da-
durch aus, daß er sich mit den andern Elementen in unendlich man-
nichfaltigen Zahlen- und Gewichtsverhältnissen verbinden kann. Es
entstehen zunächst durch Verbindung des Kohlenstoffs mit drei andern
Elementen, dem Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff (zu denen sich
meist auch noch Schwefel und häufig Phosphor gesellt), jene äußerst

Dichtigkeitszuſtaͤnde der Organismen und Anorgane.
in den tropfbarfluͤſſigen oder geſchmolzenen, und durch weitere Er-
hitzung in den gasfoͤrmigen oder elaſtiſchfluͤſſigen Zuſtand verſetzt
werden. Ebenſo kann jeder gasfoͤrmige Koͤrper durch gehoͤrige Er-
niedrigung der Temperatur zunaͤchſt in den tropfbarfluͤſſigen und wei-
terhin in den feſten Dichtigkeitszuſtand gebracht werden.

Jm Gegenſatze zu dieſen drei Dichtigkeitszuſtaͤnden der Anorgane
befindet ſich der lebendige Koͤrper aller Organismen, Thiere ſowohl
als Pflanzen, in einem ganz eigenthuͤmlichen, vierten Aggregatzu-
ſtande. Dieſer iſt weder feſt, wie Geſtein, noch tropfbarfluͤſſig, wie
Waſſer; vielmehr haͤlt er zwiſchen dieſen beiden Zuſtaͤnden die Mitte,
und kann daher als der feſtfluͤſſige oder gequollene Aggregatzuſtand
bezeichnet werden. Jn allen lebenden Koͤrpern ohne Ausnahme iſt
eine gewiſſe Menge Waſſer mit feſter Materie in ganz eigenthuͤmlicher
Art und Weiſe verbunden, und eben durch dieſe charakteriſtiſche Ver-
bindung des Waſſers mit der organiſchen Materie entſteht jener weiche,
weder feſte noch fluͤſſige, Aggregatzuſtand, welcher fuͤr die mechani-
ſche Erklaͤrung der Lebenserſcheinungen von der groͤßten Bedeutung
iſt. Die Urſache deſſelben liegt weſentlich in den phyſikaliſchen und
chemiſchen Eigenſchaften eines einzigen unzerlegbaren Grundſtoffs,
des Kohlenſtoffs.

Von allen Elementen iſt der Kohlenſtoff fuͤr uns bei weitem das
wichtigſte und intereſſanteſte, weil bei allen uns bekannten Thier- und
Pflanzenkoͤrpern dieſer Grundſtoff die groͤßte Rolle ſpielt. Er iſt das-
jenige Element, welches durch ſeine eigenthuͤmliche Neigung zur Bil-
dung verwickelter Verbindungen mit den andern Elementen die groͤßte
Mannichfaltigkeit in der chemiſchen Zuſammenſetzung, und daher auch
in den Formen und Lebenseigenſchaften der Thier- und Pflanzen-
koͤrper hervorruft. Der Kohlenſtoff zeichnet ſich ganz beſonders da-
durch aus, daß er ſich mit den andern Elementen in unendlich man-
nichfaltigen Zahlen- und Gewichtsverhaͤltniſſen verbinden kann. Es
entſtehen zunaͤchſt durch Verbindung des Kohlenſtoffs mit drei andern
Elementen, dem Sauerſtoff, Waſſerſtoff und Stickſtoff (zu denen ſich
meiſt auch noch Schwefel und haͤufig Phosphor geſellt), jene aͤußerſt

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[271/0296] Dichtigkeitszuſtaͤnde der Organismen und Anorgane. in den tropfbarfluͤſſigen oder geſchmolzenen, und durch weitere Er- hitzung in den gasfoͤrmigen oder elaſtiſchfluͤſſigen Zuſtand verſetzt werden. Ebenſo kann jeder gasfoͤrmige Koͤrper durch gehoͤrige Er- niedrigung der Temperatur zunaͤchſt in den tropfbarfluͤſſigen und wei- terhin in den feſten Dichtigkeitszuſtand gebracht werden. Jm Gegenſatze zu dieſen drei Dichtigkeitszuſtaͤnden der Anorgane befindet ſich der lebendige Koͤrper aller Organismen, Thiere ſowohl als Pflanzen, in einem ganz eigenthuͤmlichen, vierten Aggregatzu- ſtande. Dieſer iſt weder feſt, wie Geſtein, noch tropfbarfluͤſſig, wie Waſſer; vielmehr haͤlt er zwiſchen dieſen beiden Zuſtaͤnden die Mitte, und kann daher als der feſtfluͤſſige oder gequollene Aggregatzuſtand bezeichnet werden. Jn allen lebenden Koͤrpern ohne Ausnahme iſt eine gewiſſe Menge Waſſer mit feſter Materie in ganz eigenthuͤmlicher Art und Weiſe verbunden, und eben durch dieſe charakteriſtiſche Ver- bindung des Waſſers mit der organiſchen Materie entſteht jener weiche, weder feſte noch fluͤſſige, Aggregatzuſtand, welcher fuͤr die mechani- ſche Erklaͤrung der Lebenserſcheinungen von der groͤßten Bedeutung iſt. Die Urſache deſſelben liegt weſentlich in den phyſikaliſchen und chemiſchen Eigenſchaften eines einzigen unzerlegbaren Grundſtoffs, des Kohlenſtoffs. Von allen Elementen iſt der Kohlenſtoff fuͤr uns bei weitem das wichtigſte und intereſſanteſte, weil bei allen uns bekannten Thier- und Pflanzenkoͤrpern dieſer Grundſtoff die groͤßte Rolle ſpielt. Er iſt das- jenige Element, welches durch ſeine eigenthuͤmliche Neigung zur Bil- dung verwickelter Verbindungen mit den andern Elementen die groͤßte Mannichfaltigkeit in der chemiſchen Zuſammenſetzung, und daher auch in den Formen und Lebenseigenſchaften der Thier- und Pflanzen- koͤrper hervorruft. Der Kohlenſtoff zeichnet ſich ganz beſonders da- durch aus, daß er ſich mit den andern Elementen in unendlich man- nichfaltigen Zahlen- und Gewichtsverhaͤltniſſen verbinden kann. Es entſtehen zunaͤchſt durch Verbindung des Kohlenſtoffs mit drei andern Elementen, dem Sauerſtoff, Waſſerſtoff und Stickſtoff (zu denen ſich meiſt auch noch Schwefel und haͤufig Phosphor geſellt), jene aͤußerſt

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/296>, abgerufen am 24.11.2024.