Ablagerung der versteinerungsführenden Erdschichten.
praktische Lösung würde schon sehr schwierig sein, wenn die Versteine- rungen einigermaßen vollständig erhalten wären. Das ist aber keines- wegs der Fall. Vielmehr ist die handgreifliche Schöpfungsurkunde, welche in den Versteinerungen begraben liegt, über alle Maaßen un- vollständig. Daher erscheint es jetzt vor Allem nothwendig, diese Ur- kunde kritisch zu prüfen, und den Werth, welchen die Versteinerungen für die Entwickelungsgeschichte der organischen Stämme besitzen, zu be- stimmen. Da ich Jhnen die allgemeine Bedeutung der Versteinerun- gen als "Denkmünzen der Schöpfung" bereits früher erörtert habe, als wir Cuvier's Verdienste um die Petrefactenkunde betrachteten, so können wir jetzt sogleich zur Untersuchung der Bedingungen und Verhältnisse übergehen, unter denen die organischen Körperreste verstei- nert und so für uns in mehr oder weniger kenntlicher Form erhal- ten wurden.
Jn der Regel finden wir Versteinerungen oder Petrefacten nur in denjenigen Gesteinen eingeschlossen, welche schichtenweise als Schlamm im Wasser abgelagert wurden, und welche man deshalb neptunische, geschichtete oder sedimentäre Gesteine nennt. Die Ablagerung solcher Schichten konnte natürlich erst beginnen, nachdem im Verlaufe der Erdgeschichte die Verdichtung des Wasserdampfes zu tropfbarflüssigem Wasser erfolgt war. Seit diesem Zeitpunkt, welchen wir im letzten Vor- trage bereits betrachtet hatten, begann nicht allein das Leben auf der Erde, sondern auch eine ununterbrochene und höchst wichtige Umgestal- tung der erstarrten anorganischen Erdrinde. Das Wasser begann seit- dem jene außerordentlich wichtige mechanische Wirksamkeit, durch welche die Erdoberfläche fortwährend, wenn auch langsam, umgestaltet wird. Jch darf wohl als bekannt voraussetzen, welchen außerordentlich be- deutenden Einfluß in dieser Beziehung noch jetzt das Wasser in jedem Augenblick ausübt. Jndem es als Regen niederfällt, die obersten Schichten der Erdrinde durchsickert und von den Erhöhungen in die Vertiefungen herabfließt, löst es verschiedene mineralische Bestandtheile des Bodens chemisch auf und spült mechanisch die lockerzusammen hän- genden Theilchen ab. An den Bergen herabfließend führt das Wasser
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Ablagerung der verſteinerungsfuͤhrenden Erdſchichten.
praktiſche Loͤſung wuͤrde ſchon ſehr ſchwierig ſein, wenn die Verſteine- rungen einigermaßen vollſtaͤndig erhalten waͤren. Das iſt aber keines- wegs der Fall. Vielmehr iſt die handgreifliche Schoͤpfungsurkunde, welche in den Verſteinerungen begraben liegt, uͤber alle Maaßen un- vollſtaͤndig. Daher erſcheint es jetzt vor Allem nothwendig, dieſe Ur- kunde kritiſch zu pruͤfen, und den Werth, welchen die Verſteinerungen fuͤr die Entwickelungsgeſchichte der organiſchen Staͤmme beſitzen, zu be- ſtimmen. Da ich Jhnen die allgemeine Bedeutung der Verſteinerun- gen als „Denkmuͤnzen der Schoͤpfung“ bereits fruͤher eroͤrtert habe, als wir Cuvier’s Verdienſte um die Petrefactenkunde betrachteten, ſo koͤnnen wir jetzt ſogleich zur Unterſuchung der Bedingungen und Verhaͤltniſſe uͤbergehen, unter denen die organiſchen Koͤrperreſte verſtei- nert und ſo fuͤr uns in mehr oder weniger kenntlicher Form erhal- ten wurden.
Jn der Regel finden wir Verſteinerungen oder Petrefacten nur in denjenigen Geſteinen eingeſchloſſen, welche ſchichtenweiſe als Schlamm im Waſſer abgelagert wurden, und welche man deshalb neptuniſche, geſchichtete oder ſedimentaͤre Geſteine nennt. Die Ablagerung ſolcher Schichten konnte natuͤrlich erſt beginnen, nachdem im Verlaufe der Erdgeſchichte die Verdichtung des Waſſerdampfes zu tropfbarfluͤſſigem Waſſer erfolgt war. Seit dieſem Zeitpunkt, welchen wir im letzten Vor- trage bereits betrachtet hatten, begann nicht allein das Leben auf der Erde, ſondern auch eine ununterbrochene und hoͤchſt wichtige Umgeſtal- tung der erſtarrten anorganiſchen Erdrinde. Das Waſſer begann ſeit- dem jene außerordentlich wichtige mechaniſche Wirkſamkeit, durch welche die Erdoberflaͤche fortwaͤhrend, wenn auch langſam, umgeſtaltet wird. Jch darf wohl als bekannt vorausſetzen, welchen außerordentlich be- deutenden Einfluß in dieſer Beziehung noch jetzt das Waſſer in jedem Augenblick ausuͤbt. Jndem es als Regen niederfaͤllt, die oberſten Schichten der Erdrinde durchſickert und von den Erhoͤhungen in die Vertiefungen herabfließt, loͤſt es verſchiedene mineraliſche Beſtandtheile des Bodens chemiſch auf und ſpuͤlt mechaniſch die lockerzuſammen haͤn- genden Theilchen ab. An den Bergen herabfließend fuͤhrt das Waſſer
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Ablagerung der verſteinerungsfuͤhrenden Erdſchichten.
praktiſche Loͤſung wuͤrde ſchon ſehr ſchwierig ſein, wenn die Verſteine-
rungen einigermaßen vollſtaͤndig erhalten waͤren. Das iſt aber keines-
wegs der Fall. Vielmehr iſt die handgreifliche Schoͤpfungsurkunde,
welche in den Verſteinerungen begraben liegt, uͤber alle Maaßen un-
vollſtaͤndig. Daher erſcheint es jetzt vor Allem nothwendig, dieſe Ur-
kunde kritiſch zu pruͤfen, und den Werth, welchen die Verſteinerungen
fuͤr die Entwickelungsgeſchichte der organiſchen Staͤmme beſitzen, zu be-
ſtimmen. Da ich Jhnen die allgemeine Bedeutung der Verſteinerun-
gen als „Denkmuͤnzen der Schoͤpfung“ bereits fruͤher eroͤrtert habe,
als wir Cuvier’s Verdienſte um die Petrefactenkunde betrachteten,
ſo koͤnnen wir jetzt ſogleich zur Unterſuchung der Bedingungen und
Verhaͤltniſſe uͤbergehen, unter denen die organiſchen Koͤrperreſte verſtei-
nert und ſo fuͤr uns in mehr oder weniger kenntlicher Form erhal-
ten wurden.
Jn der Regel finden wir Verſteinerungen oder Petrefacten nur in
denjenigen Geſteinen eingeſchloſſen, welche ſchichtenweiſe als Schlamm
im Waſſer abgelagert wurden, und welche man deshalb neptuniſche,
geſchichtete oder ſedimentaͤre Geſteine nennt. Die Ablagerung ſolcher
Schichten konnte natuͤrlich erſt beginnen, nachdem im Verlaufe der
Erdgeſchichte die Verdichtung des Waſſerdampfes zu tropfbarfluͤſſigem
Waſſer erfolgt war. Seit dieſem Zeitpunkt, welchen wir im letzten Vor-
trage bereits betrachtet hatten, begann nicht allein das Leben auf der
Erde, ſondern auch eine ununterbrochene und hoͤchſt wichtige Umgeſtal-
tung der erſtarrten anorganiſchen Erdrinde. Das Waſſer begann ſeit-
dem jene außerordentlich wichtige mechaniſche Wirkſamkeit, durch welche
die Erdoberflaͤche fortwaͤhrend, wenn auch langſam, umgeſtaltet wird.
Jch darf wohl als bekannt vorausſetzen, welchen außerordentlich be-
deutenden Einfluß in dieſer Beziehung noch jetzt das Waſſer in jedem
Augenblick ausuͤbt. Jndem es als Regen niederfaͤllt, die oberſten
Schichten der Erdrinde durchſickert und von den Erhoͤhungen in die
Vertiefungen herabfließt, loͤſt es verſchiedene mineraliſche Beſtandtheile
des Bodens chemiſch auf und ſpuͤlt mechaniſch die lockerzuſammen haͤn-
genden Theilchen ab. An den Bergen herabfließend fuͤhrt das Waſſer
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/316>, abgerufen am 16.06.2024.
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