durchschnittliche Mächtigkeit aller vier übrigen Terrains, des primären, secundären, tertiären und quartären zusammengenommen, mag da- gegen etwa höchstens 60,000 Fuß betragen, und schon hieraus, ab- gesehen von vielen anderen Gründen, ergiebt sich, daß die Dauer der Primordialzeit wahrscheinlich viel länger war, als die Dauer der fol- genden Zeitalter bis zur Gegenwart zusammengenommen. Viele Millionen von Jahrtausenden müssen zur Ablagerung solcher Schichten- massen erforderlich gewesen sein. Leider befindet sich der bei weitem größte Theil der primordialen Schichtengruppen in dem sogleich zu erörternden metamorphischen Zustande, und dadurch sind die in ihnen enthaltenen Versteinerungen, die ältesten und wichtigsten von allen, größtentheils zerstört und unkenntlich geworden. Nur aus einem Theile der cambrischen und silurischen Schichten sind Petrefacten in größerer Menge und in kenntlichem Zustande erhalten worden. Die älteste von allen deutlich erhaltenen Versteinerungen, das später noch zu be- schreibende "kanadische Morgenwesen" (Eozoon canadense) ist in den untersten laurentischen Schichten (in der Ottawaformation) ge- funden worden.
Trotzdem die primordialen oder archolithischen Versteinerungen uns nur zum bei weitem kleinsten Theile in kenntlichem Zustande er- halten sind, besitzen dieselben dennoch den Werth unschätzbarer Docu- mente für diese älteste und dunkelste Zeit der organischen Erdgeschichte. Zunächst scheint daraus hervorzugehen, daß während dieses ganzen ungeheuren Zeitraums nur Wasserbewohner existirten. Wenigstens ist bis jetzt unter allen archolithischen Petrefacten noch kein einziges gefunden worden, welches man mit Sicherheit auf einen landbewohnen- den Organismus beziehen könnte. Alle Pflanzenreste, die wir aus der Primordialzeit besitzen, gehören zu der niedrigsten von allen Pflanzengruppen, zu der im Wasser lebenden Klasse der Tange oder Algen. Diese bildeten in dem warmen Urmeere der Primordialzeit mächtige Wälder, von deren Formenreichthum und Dichtigkeit uns noch heutigen Tages ihre Epigonen, die Tangwälder des atlantischen Sargassomeeres eine ungefähre Vorstellung geben mögen. Die co-
Primordialzeit oder Zeitalter der Tangwaͤlder.
durchſchnittliche Maͤchtigkeit aller vier uͤbrigen Terrains, des primaͤren, ſecundaͤren, tertiaͤren und quartaͤren zuſammengenommen, mag da- gegen etwa hoͤchſtens 60,000 Fuß betragen, und ſchon hieraus, ab- geſehen von vielen anderen Gruͤnden, ergiebt ſich, daß die Dauer der Primordialzeit wahrſcheinlich viel laͤnger war, als die Dauer der fol- genden Zeitalter bis zur Gegenwart zuſammengenommen. Viele Millionen von Jahrtauſenden muͤſſen zur Ablagerung ſolcher Schichten- maſſen erforderlich geweſen ſein. Leider befindet ſich der bei weitem groͤßte Theil der primordialen Schichtengruppen in dem ſogleich zu eroͤrternden metamorphiſchen Zuſtande, und dadurch ſind die in ihnen enthaltenen Verſteinerungen, die aͤlteſten und wichtigſten von allen, groͤßtentheils zerſtoͤrt und unkenntlich geworden. Nur aus einem Theile der cambriſchen und ſiluriſchen Schichten ſind Petrefacten in groͤßerer Menge und in kenntlichem Zuſtande erhalten worden. Die aͤlteſte von allen deutlich erhaltenen Verſteinerungen, das ſpaͤter noch zu be- ſchreibende „kanadiſche Morgenweſen“ (Eozoon canadense) iſt in den unterſten laurentiſchen Schichten (in der Ottawaformation) ge- funden worden.
Trotzdem die primordialen oder archolithiſchen Verſteinerungen uns nur zum bei weitem kleinſten Theile in kenntlichem Zuſtande er- halten ſind, beſitzen dieſelben dennoch den Werth unſchaͤtzbarer Docu- mente fuͤr dieſe aͤlteſte und dunkelſte Zeit der organiſchen Erdgeſchichte. Zunaͤchſt ſcheint daraus hervorzugehen, daß waͤhrend dieſes ganzen ungeheuren Zeitraums nur Waſſerbewohner exiſtirten. Wenigſtens iſt bis jetzt unter allen archolithiſchen Petrefacten noch kein einziges gefunden worden, welches man mit Sicherheit auf einen landbewohnen- den Organismus beziehen koͤnnte. Alle Pflanzenreſte, die wir aus der Primordialzeit beſitzen, gehoͤren zu der niedrigſten von allen Pflanzengruppen, zu der im Waſſer lebenden Klaſſe der Tange oder Algen. Dieſe bildeten in dem warmen Urmeere der Primordialzeit maͤchtige Waͤlder, von deren Formenreichthum und Dichtigkeit uns noch heutigen Tages ihre Epigonen, die Tangwaͤlder des atlantiſchen Sargaſſomeeres eine ungefaͤhre Vorſtellung geben moͤgen. Die co-
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Primordialzeit oder Zeitalter der Tangwaͤlder.
durchſchnittliche Maͤchtigkeit aller vier uͤbrigen Terrains, des primaͤren,
ſecundaͤren, tertiaͤren und quartaͤren zuſammengenommen, mag da-
gegen etwa hoͤchſtens 60,000 Fuß betragen, und ſchon hieraus, ab-
geſehen von vielen anderen Gruͤnden, ergiebt ſich, daß die Dauer der
Primordialzeit wahrſcheinlich viel laͤnger war, als die Dauer der fol-
genden Zeitalter bis zur Gegenwart zuſammengenommen. Viele
Millionen von Jahrtauſenden muͤſſen zur Ablagerung ſolcher Schichten-
maſſen erforderlich geweſen ſein. Leider befindet ſich der bei weitem
groͤßte Theil der primordialen Schichtengruppen in dem ſogleich zu
eroͤrternden metamorphiſchen Zuſtande, und dadurch ſind die in ihnen
enthaltenen Verſteinerungen, die aͤlteſten und wichtigſten von allen,
groͤßtentheils zerſtoͤrt und unkenntlich geworden. Nur aus einem Theile
der cambriſchen und ſiluriſchen Schichten ſind Petrefacten in groͤßerer
Menge und in kenntlichem Zuſtande erhalten worden. Die aͤlteſte
von allen deutlich erhaltenen Verſteinerungen, das ſpaͤter noch zu be-
ſchreibende „kanadiſche Morgenweſen“ (Eozoon canadense) iſt in
den unterſten laurentiſchen Schichten (in der Ottawaformation) ge-
funden worden.
Trotzdem die primordialen oder archolithiſchen Verſteinerungen
uns nur zum bei weitem kleinſten Theile in kenntlichem Zuſtande er-
halten ſind, beſitzen dieſelben dennoch den Werth unſchaͤtzbarer Docu-
mente fuͤr dieſe aͤlteſte und dunkelſte Zeit der organiſchen Erdgeſchichte.
Zunaͤchſt ſcheint daraus hervorzugehen, daß waͤhrend dieſes ganzen
ungeheuren Zeitraums nur Waſſerbewohner exiſtirten. Wenigſtens
iſt bis jetzt unter allen archolithiſchen Petrefacten noch kein einziges
gefunden worden, welches man mit Sicherheit auf einen landbewohnen-
den Organismus beziehen koͤnnte. Alle Pflanzenreſte, die wir aus
der Primordialzeit beſitzen, gehoͤren zu der niedrigſten von allen
Pflanzengruppen, zu der im Waſſer lebenden Klaſſe der Tange oder
Algen. Dieſe bildeten in dem warmen Urmeere der Primordialzeit
maͤchtige Waͤlder, von deren Formenreichthum und Dichtigkeit uns
noch heutigen Tages ihre Epigonen, die Tangwaͤlder des atlantiſchen
Sargaſſomeeres eine ungefaͤhre Vorſtellung geben moͤgen. Die co-
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/321>, abgerufen am 15.06.2024.
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