Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Panzerwürmer (Phraktelminthen) und Seesterne (Asteriden).
metrischen Larven, welche keine Spur von der regulär-strahligen Stern-
form des erwachsenen Echinoderms besitzen, erzeugen das letztere durch
einen höchst merkwürdigen Generationswechsel, welcher in dieser Weise
nur noch bei einigen Sternwürmern (Sipunculiden) und Schnurwür-
mern (Nemertinen) vorkömmt (Gen. Morph. II, 95 -- 99).

Alle diese und viele andere Gründe legen das deutlichste Zeugniß
für die Richtigkeit meiner Hypothese ab. Jch habe diese Stammhypothese
1866 aufgestellt, ohne eine Ahnung davon zu haben, daß auch noch
versteinerte Gliedwürmer existiren, welche vollkommen jenen hy-
pothetisch vorausgesetzten Stammformen entsprechen. Solche sind aber
inzwischen wirklich bekannt geworden. Jn einer Abhandlung "über
ein Aequivalent der takonischen Schiefer Nordamerikas in Deutschland"
beschrieben 1867 Geinitz und Liebe eine Anzahl von geglieder-
ten silurischen Würmern,
welche vollkommen den von mir ge-
machten Voraussetzungen entsprechen. Diese höchst merkwürdigen
Würmer kommen in den Dachschiefern von Wurzbach im reussischen
Oberlande zahlreich in vortrefflich erhaltenem Zustande vor. Sie
haben ganz den Bau eines gegliederten Seesternarms, und müssen
offenbar einen festen Hautpanzer, ein viel härteres und festeres Haut-
skelet besessen haben, als es sonst bei den Würmern vorkommt. Die
Zahl der Körperglieder oder Metameren ist sehr beträchtlich, so daß die
Würmer bei einer Breite von 1/4 -- 1/2 Zoll eine Länge von 2 -- 3 Fuß
und mehr erreichten. Die vortrefflich erhaltenen Abdrücke, namentlich
von Phyllodocites thuringiacus und Crossopodia Henrici, gleichen
so sehr den skeletirten Armen mancher gegliederten Seesterne (Colastra),
daß ich an ihrer wirklichen Blutsverwandtschaft kaum mehr zweifle.
Jch bezeichne diese uralte Würmergruppe, zu welcher höchstwahrschein-
lich die Stammväter der Seesterne gehört haben, als Panzerwür-
mer
(Phractelminthes). Wahrscheinlich standen sie in ihrer Organi-
sation zwischen Sternwürmern (Gephyreen) und Ringelwürmern (An-
neliden) in der Mitte.

Aus der Klasse der Seesterne, welche die ursprüngliche Form des
sternförmigen Wurmstockes am getreuesten erhalten hat, haben sich die

27 *

Panzerwuͤrmer (Phraktelminthen) und Seeſterne (Aſteriden).
metriſchen Larven, welche keine Spur von der regulaͤr-ſtrahligen Stern-
form des erwachſenen Echinoderms beſitzen, erzeugen das letztere durch
einen hoͤchſt merkwuͤrdigen Generationswechſel, welcher in dieſer Weiſe
nur noch bei einigen Sternwuͤrmern (Sipunculiden) und Schnurwuͤr-
mern (Nemertinen) vorkoͤmmt (Gen. Morph. II, 95 — 99).

Alle dieſe und viele andere Gruͤnde legen das deutlichſte Zeugniß
fuͤr die Richtigkeit meiner Hypotheſe ab. Jch habe dieſe Stammhypotheſe
1866 aufgeſtellt, ohne eine Ahnung davon zu haben, daß auch noch
verſteinerte Gliedwuͤrmer exiſtiren, welche vollkommen jenen hy-
pothetiſch vorausgeſetzten Stammformen entſprechen. Solche ſind aber
inzwiſchen wirklich bekannt geworden. Jn einer Abhandlung „uͤber
ein Aequivalent der takoniſchen Schiefer Nordamerikas in Deutſchland“
beſchrieben 1867 Geinitz und Liebe eine Anzahl von geglieder-
ten ſiluriſchen Wuͤrmern,
welche vollkommen den von mir ge-
machten Vorausſetzungen entſprechen. Dieſe hoͤchſt merkwuͤrdigen
Wuͤrmer kommen in den Dachſchiefern von Wurzbach im reuſſiſchen
Oberlande zahlreich in vortrefflich erhaltenem Zuſtande vor. Sie
haben ganz den Bau eines gegliederten Seeſternarms, und muͤſſen
offenbar einen feſten Hautpanzer, ein viel haͤrteres und feſteres Haut-
ſkelet beſeſſen haben, als es ſonſt bei den Wuͤrmern vorkommt. Die
Zahl der Koͤrperglieder oder Metameren iſt ſehr betraͤchtlich, ſo daß die
Wuͤrmer bei einer Breite von ¼ — ½ Zoll eine Laͤnge von 2 — 3 Fuß
und mehr erreichten. Die vortrefflich erhaltenen Abdruͤcke, namentlich
von Phyllodocites thuringiacus und Crossopodia Henrici, gleichen
ſo ſehr den ſkeletirten Armen mancher gegliederten Seeſterne (Colastra),
daß ich an ihrer wirklichen Blutsverwandtſchaft kaum mehr zweifle.
Jch bezeichne dieſe uralte Wuͤrmergruppe, zu welcher hoͤchſtwahrſchein-
lich die Stammvaͤter der Seeſterne gehoͤrt haben, als Panzerwuͤr-
mer
(Phractelminthes). Wahrſcheinlich ſtanden ſie in ihrer Organi-
ſation zwiſchen Sternwuͤrmern (Gephyreen) und Ringelwuͤrmern (An-
neliden) in der Mitte.

Aus der Klaſſe der Seeſterne, welche die urſpruͤngliche Form des
ſternfoͤrmigen Wurmſtockes am getreueſten erhalten hat, haben ſich die

27 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0444" n="419"/><fw place="top" type="header">Panzerwu&#x0364;rmer (Phraktelminthen) und See&#x017F;terne (A&#x017F;teriden).</fw><lb/>
metri&#x017F;chen Larven, welche keine Spur von der regula&#x0364;r-&#x017F;trahligen Stern-<lb/>
form des erwach&#x017F;enen Echinoderms be&#x017F;itzen, erzeugen das letztere durch<lb/>
einen ho&#x0364;ch&#x017F;t merkwu&#x0364;rdigen Generationswech&#x017F;el, welcher in die&#x017F;er Wei&#x017F;e<lb/>
nur noch bei einigen Sternwu&#x0364;rmern (Sipunculiden) und Schnurwu&#x0364;r-<lb/>
mern (Nemertinen) vorko&#x0364;mmt (Gen. Morph. <hi rendition="#aq">II,</hi> 95 &#x2014; 99).</p><lb/>
        <p>Alle die&#x017F;e und viele andere Gru&#x0364;nde legen das deutlich&#x017F;te Zeugniß<lb/>
fu&#x0364;r die Richtigkeit meiner Hypothe&#x017F;e ab. Jch habe die&#x017F;e Stammhypothe&#x017F;e<lb/>
1866 aufge&#x017F;tellt, ohne eine Ahnung davon zu haben, daß auch noch<lb/><hi rendition="#g">ver&#x017F;teinerte Gliedwu&#x0364;rmer</hi> exi&#x017F;tiren, welche vollkommen jenen hy-<lb/>
potheti&#x017F;ch vorausge&#x017F;etzten Stammformen ent&#x017F;prechen. Solche &#x017F;ind aber<lb/>
inzwi&#x017F;chen wirklich bekannt geworden. Jn einer Abhandlung &#x201E;u&#x0364;ber<lb/>
ein Aequivalent der takoni&#x017F;chen Schiefer Nordamerikas in Deut&#x017F;chland&#x201C;<lb/>
be&#x017F;chrieben 1867 <hi rendition="#g">Geinitz</hi> und <hi rendition="#g">Liebe</hi> eine Anzahl von <hi rendition="#g">geglieder-<lb/>
ten &#x017F;iluri&#x017F;chen Wu&#x0364;rmern,</hi> welche vollkommen den von mir ge-<lb/>
machten Voraus&#x017F;etzungen ent&#x017F;prechen. Die&#x017F;e ho&#x0364;ch&#x017F;t merkwu&#x0364;rdigen<lb/>
Wu&#x0364;rmer kommen in den Dach&#x017F;chiefern von Wurzbach im reu&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Oberlande zahlreich in vortrefflich erhaltenem Zu&#x017F;tande vor. Sie<lb/>
haben ganz den Bau eines gegliederten See&#x017F;ternarms, und mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en<lb/>
offenbar einen fe&#x017F;ten Hautpanzer, ein viel ha&#x0364;rteres und fe&#x017F;teres Haut-<lb/>
&#x017F;kelet be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en haben, als es &#x017F;on&#x017F;t bei den Wu&#x0364;rmern vorkommt. Die<lb/>
Zahl der Ko&#x0364;rperglieder oder Metameren i&#x017F;t &#x017F;ehr betra&#x0364;chtlich, &#x017F;o daß die<lb/>
Wu&#x0364;rmer bei einer Breite von ¼ &#x2014; ½ Zoll eine La&#x0364;nge von 2 &#x2014; 3 Fuß<lb/>
und mehr erreichten. Die vortrefflich erhaltenen Abdru&#x0364;cke, namentlich<lb/>
von <hi rendition="#aq">Phyllodocites thuringiacus</hi> und <hi rendition="#aq">Crossopodia Henrici,</hi> gleichen<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ehr den &#x017F;keletirten Armen mancher gegliederten See&#x017F;terne <hi rendition="#aq">(Colastra),</hi><lb/>
daß ich an ihrer wirklichen Blutsverwandt&#x017F;chaft kaum mehr zweifle.<lb/>
Jch bezeichne die&#x017F;e uralte Wu&#x0364;rmergruppe, zu welcher ho&#x0364;ch&#x017F;twahr&#x017F;chein-<lb/>
lich die Stammva&#x0364;ter der See&#x017F;terne geho&#x0364;rt haben, als <hi rendition="#g">Panzerwu&#x0364;r-<lb/>
mer</hi> <hi rendition="#aq">(Phractelminthes).</hi> Wahr&#x017F;cheinlich &#x017F;tanden &#x017F;ie in ihrer Organi-<lb/>
&#x017F;ation zwi&#x017F;chen Sternwu&#x0364;rmern (Gephyreen) und Ringelwu&#x0364;rmern (An-<lb/>
neliden) in der Mitte.</p><lb/>
        <p>Aus der Kla&#x017F;&#x017F;e der See&#x017F;terne, welche die ur&#x017F;pru&#x0364;ngliche Form des<lb/>
&#x017F;ternfo&#x0364;rmigen Wurm&#x017F;tockes am getreue&#x017F;ten erhalten hat, haben &#x017F;ich die</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">27 *</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[419/0444] Panzerwuͤrmer (Phraktelminthen) und Seeſterne (Aſteriden). metriſchen Larven, welche keine Spur von der regulaͤr-ſtrahligen Stern- form des erwachſenen Echinoderms beſitzen, erzeugen das letztere durch einen hoͤchſt merkwuͤrdigen Generationswechſel, welcher in dieſer Weiſe nur noch bei einigen Sternwuͤrmern (Sipunculiden) und Schnurwuͤr- mern (Nemertinen) vorkoͤmmt (Gen. Morph. II, 95 — 99). Alle dieſe und viele andere Gruͤnde legen das deutlichſte Zeugniß fuͤr die Richtigkeit meiner Hypotheſe ab. Jch habe dieſe Stammhypotheſe 1866 aufgeſtellt, ohne eine Ahnung davon zu haben, daß auch noch verſteinerte Gliedwuͤrmer exiſtiren, welche vollkommen jenen hy- pothetiſch vorausgeſetzten Stammformen entſprechen. Solche ſind aber inzwiſchen wirklich bekannt geworden. Jn einer Abhandlung „uͤber ein Aequivalent der takoniſchen Schiefer Nordamerikas in Deutſchland“ beſchrieben 1867 Geinitz und Liebe eine Anzahl von geglieder- ten ſiluriſchen Wuͤrmern, welche vollkommen den von mir ge- machten Vorausſetzungen entſprechen. Dieſe hoͤchſt merkwuͤrdigen Wuͤrmer kommen in den Dachſchiefern von Wurzbach im reuſſiſchen Oberlande zahlreich in vortrefflich erhaltenem Zuſtande vor. Sie haben ganz den Bau eines gegliederten Seeſternarms, und muͤſſen offenbar einen feſten Hautpanzer, ein viel haͤrteres und feſteres Haut- ſkelet beſeſſen haben, als es ſonſt bei den Wuͤrmern vorkommt. Die Zahl der Koͤrperglieder oder Metameren iſt ſehr betraͤchtlich, ſo daß die Wuͤrmer bei einer Breite von ¼ — ½ Zoll eine Laͤnge von 2 — 3 Fuß und mehr erreichten. Die vortrefflich erhaltenen Abdruͤcke, namentlich von Phyllodocites thuringiacus und Crossopodia Henrici, gleichen ſo ſehr den ſkeletirten Armen mancher gegliederten Seeſterne (Colastra), daß ich an ihrer wirklichen Blutsverwandtſchaft kaum mehr zweifle. Jch bezeichne dieſe uralte Wuͤrmergruppe, zu welcher hoͤchſtwahrſchein- lich die Stammvaͤter der Seeſterne gehoͤrt haben, als Panzerwuͤr- mer (Phractelminthes). Wahrſcheinlich ſtanden ſie in ihrer Organi- ſation zwiſchen Sternwuͤrmern (Gephyreen) und Ringelwuͤrmern (An- neliden) in der Mitte. Aus der Klaſſe der Seeſterne, welche die urſpruͤngliche Form des ſternfoͤrmigen Wurmſtockes am getreueſten erhalten hat, haben ſich die 27 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/444
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/444>, abgerufen am 22.11.2024.