mehreren Seiten mit Glück in Angriff genommen worden, so insbe- sondere von Wilhelm Bleek35), welcher seit 13 Jahren in Süd- afrika mit dem Studium der Sprachen der niedersten Menschenrassen beschäftigt und dadurch besonders zur Lösung dieser Frage befähigt ist. Wie sich die verschiedenen Sprachformen, gleich allen anderen organischen Formen und Functionen, durch den Proceß der natürlichen Züchtung entwickelt, und in viele Arten und Abarten zersplittert haben, hat namentlich August Schleicher der Selectionstheorie entsprechend erörtert 6).
Den Prozeß der Sprachbildung selbst hier weiter zu verfolgen, haben wir keinen Raum, und ich verweise Sie in dieser Beziehung na- mentlich auf die wichtige, eben erwähnte Schrift von Wilhelm Bleek "über den Ursprung der Sprache" 35). Dagegen müssen wir noch eines der wichtigsten hierauf bezüglichen Resultate der vergleichen- den Sprachforschung hervorheben, welches für den Stammbaum der Menschenarten von höchster Bedeutung ist, daß nämlich die mensch- liche Sprache wahrscheinlich einen vielheitlichen oder polyphyletischen Ursprung hat. Die menschliche Sprache als solche entwickelte sich wahrscheinlich erst, nachdem die Gattung des sprachlosen Urmenschen oder Affenmenschen in mehrere Arten oder Spe- cies auseinander gegangen war. Bei jeder von diesen Menschen- arten, und vielleicht selbst bei verschiedenen Unterarten und Abarten dieser Species, entwickelte sich die Sprache selbstständig und unabhän- gig von einander. Wenigstens giebt Schleicher, eine der ersten Autoritäten auf diesem Gebiete, an, daß "schon die ersten Anfänge der Sprache, im Laute sowohl als nach den Begriffen und Anschauun- gen, welche lautlich reflectirt wurden, und ferner nach ihrer Entwicke- lungsfähigkeit, verschieden gewesen sein müssen. Denn es ist positiv unmöglich, alle Sprachen auf eine und dieselbe Ursprache zurückzu- führen. Vielmehr ergeben sich der vorurtheilsfreien Forschung so viele Ursprachen, als sich Sprachstämme unterscheiden lassen" 34). Bekannt- lich entsprechen aber die Grenzen dieser Sprachstämme und ihrer Ver- zweigungen keineswegs den Grenzen der verschiedenen Menschenarten
Vielheitlicher Urſprung der menſchlichen Sprache.
mehreren Seiten mit Gluͤck in Angriff genommen worden, ſo insbe- ſondere von Wilhelm Bleek35), welcher ſeit 13 Jahren in Suͤd- afrika mit dem Studium der Sprachen der niederſten Menſchenraſſen beſchaͤftigt und dadurch beſonders zur Loͤſung dieſer Frage befaͤhigt iſt. Wie ſich die verſchiedenen Sprachformen, gleich allen anderen organiſchen Formen und Functionen, durch den Proceß der natuͤrlichen Zuͤchtung entwickelt, und in viele Arten und Abarten zerſplittert haben, hat namentlich Auguſt Schleicher der Selectionstheorie entſprechend eroͤrtert 6).
Den Prozeß der Sprachbildung ſelbſt hier weiter zu verfolgen, haben wir keinen Raum, und ich verweiſe Sie in dieſer Beziehung na- mentlich auf die wichtige, eben erwaͤhnte Schrift von Wilhelm Bleek „uͤber den Urſprung der Sprache“ 35). Dagegen muͤſſen wir noch eines der wichtigſten hierauf bezuͤglichen Reſultate der vergleichen- den Sprachforſchung hervorheben, welches fuͤr den Stammbaum der Menſchenarten von hoͤchſter Bedeutung iſt, daß naͤmlich die menſch- liche Sprache wahrſcheinlich einen vielheitlichen oder polyphyletiſchen Urſprung hat. Die menſchliche Sprache als ſolche entwickelte ſich wahrſcheinlich erſt, nachdem die Gattung des ſprachloſen Urmenſchen oder Affenmenſchen in mehrere Arten oder Spe- cies auseinander gegangen war. Bei jeder von dieſen Menſchen- arten, und vielleicht ſelbſt bei verſchiedenen Unterarten und Abarten dieſer Species, entwickelte ſich die Sprache ſelbſtſtaͤndig und unabhaͤn- gig von einander. Wenigſtens giebt Schleicher, eine der erſten Autoritaͤten auf dieſem Gebiete, an, daß „ſchon die erſten Anfaͤnge der Sprache, im Laute ſowohl als nach den Begriffen und Anſchauun- gen, welche lautlich reflectirt wurden, und ferner nach ihrer Entwicke- lungsfaͤhigkeit, verſchieden geweſen ſein muͤſſen. Denn es iſt poſitiv unmoͤglich, alle Sprachen auf eine und dieſelbe Urſprache zuruͤckzu- fuͤhren. Vielmehr ergeben ſich der vorurtheilsfreien Forſchung ſo viele Urſprachen, als ſich Sprachſtaͤmme unterſcheiden laſſen“ 34). Bekannt- lich entſprechen aber die Grenzen dieſer Sprachſtaͤmme und ihrer Ver- zweigungen keineswegs den Grenzen der verſchiedenen Menſchenarten
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0535"n="510"/><fwplace="top"type="header">Vielheitlicher Urſprung der menſchlichen Sprache.</fw><lb/>
mehreren Seiten mit Gluͤck in Angriff genommen worden, ſo insbe-<lb/>ſondere von <hirendition="#g">Wilhelm Bleek</hi><hirendition="#sup">35</hi>), welcher ſeit 13 Jahren in Suͤd-<lb/>
afrika mit dem Studium der Sprachen der niederſten Menſchenraſſen<lb/>
beſchaͤftigt und dadurch beſonders zur Loͤſung dieſer Frage befaͤhigt<lb/>
iſt. Wie ſich die verſchiedenen Sprachformen, gleich allen anderen<lb/>
organiſchen Formen und Functionen, durch den Proceß der natuͤrlichen<lb/>
Zuͤchtung entwickelt, und in viele Arten und Abarten zerſplittert<lb/>
haben, hat namentlich <hirendition="#g">Auguſt Schleicher</hi> der Selectionstheorie<lb/>
entſprechend eroͤrtert <hirendition="#sup">6</hi>).</p><lb/><p>Den Prozeß der Sprachbildung ſelbſt hier weiter zu verfolgen,<lb/>
haben wir keinen Raum, und ich verweiſe Sie in dieſer Beziehung na-<lb/>
mentlich auf die wichtige, eben erwaͤhnte Schrift von <hirendition="#g">Wilhelm<lb/>
Bleek</hi>„uͤber den Urſprung der Sprache“<hirendition="#sup">35</hi>). Dagegen muͤſſen wir<lb/>
noch eines der wichtigſten hierauf bezuͤglichen Reſultate der vergleichen-<lb/>
den Sprachforſchung hervorheben, welches fuͤr den Stammbaum der<lb/>
Menſchenarten von hoͤchſter Bedeutung iſt, daß naͤmlich <hirendition="#g">die menſch-<lb/>
liche Sprache wahrſcheinlich einen vielheitlichen oder<lb/>
polyphyletiſchen Urſprung</hi> hat. Die menſchliche Sprache als<lb/>ſolche entwickelte ſich wahrſcheinlich erſt, nachdem die Gattung des<lb/>ſprachloſen Urmenſchen oder Affenmenſchen in mehrere Arten oder Spe-<lb/>
cies auseinander gegangen war. Bei jeder von dieſen Menſchen-<lb/>
arten, und vielleicht ſelbſt bei verſchiedenen Unterarten und Abarten<lb/>
dieſer Species, entwickelte ſich die Sprache ſelbſtſtaͤndig und unabhaͤn-<lb/>
gig von einander. Wenigſtens giebt <hirendition="#g">Schleicher,</hi> eine der erſten<lb/>
Autoritaͤten auf dieſem Gebiete, an, daß „ſchon die erſten Anfaͤnge<lb/>
der Sprache, im Laute ſowohl als nach den Begriffen und Anſchauun-<lb/>
gen, welche lautlich reflectirt wurden, und ferner nach ihrer Entwicke-<lb/>
lungsfaͤhigkeit, verſchieden geweſen ſein muͤſſen. Denn es iſt poſitiv<lb/>
unmoͤglich, alle Sprachen auf eine und dieſelbe Urſprache zuruͤckzu-<lb/>
fuͤhren. Vielmehr ergeben ſich der vorurtheilsfreien Forſchung ſo viele<lb/>
Urſprachen, als ſich Sprachſtaͤmme unterſcheiden laſſen“<hirendition="#sup">34</hi>). Bekannt-<lb/>
lich entſprechen aber die Grenzen dieſer Sprachſtaͤmme und ihrer Ver-<lb/>
zweigungen keineswegs den Grenzen der verſchiedenen Menſchenarten<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[510/0535]
Vielheitlicher Urſprung der menſchlichen Sprache.
mehreren Seiten mit Gluͤck in Angriff genommen worden, ſo insbe-
ſondere von Wilhelm Bleek 35), welcher ſeit 13 Jahren in Suͤd-
afrika mit dem Studium der Sprachen der niederſten Menſchenraſſen
beſchaͤftigt und dadurch beſonders zur Loͤſung dieſer Frage befaͤhigt
iſt. Wie ſich die verſchiedenen Sprachformen, gleich allen anderen
organiſchen Formen und Functionen, durch den Proceß der natuͤrlichen
Zuͤchtung entwickelt, und in viele Arten und Abarten zerſplittert
haben, hat namentlich Auguſt Schleicher der Selectionstheorie
entſprechend eroͤrtert 6).
Den Prozeß der Sprachbildung ſelbſt hier weiter zu verfolgen,
haben wir keinen Raum, und ich verweiſe Sie in dieſer Beziehung na-
mentlich auf die wichtige, eben erwaͤhnte Schrift von Wilhelm
Bleek „uͤber den Urſprung der Sprache“ 35). Dagegen muͤſſen wir
noch eines der wichtigſten hierauf bezuͤglichen Reſultate der vergleichen-
den Sprachforſchung hervorheben, welches fuͤr den Stammbaum der
Menſchenarten von hoͤchſter Bedeutung iſt, daß naͤmlich die menſch-
liche Sprache wahrſcheinlich einen vielheitlichen oder
polyphyletiſchen Urſprung hat. Die menſchliche Sprache als
ſolche entwickelte ſich wahrſcheinlich erſt, nachdem die Gattung des
ſprachloſen Urmenſchen oder Affenmenſchen in mehrere Arten oder Spe-
cies auseinander gegangen war. Bei jeder von dieſen Menſchen-
arten, und vielleicht ſelbſt bei verſchiedenen Unterarten und Abarten
dieſer Species, entwickelte ſich die Sprache ſelbſtſtaͤndig und unabhaͤn-
gig von einander. Wenigſtens giebt Schleicher, eine der erſten
Autoritaͤten auf dieſem Gebiete, an, daß „ſchon die erſten Anfaͤnge
der Sprache, im Laute ſowohl als nach den Begriffen und Anſchauun-
gen, welche lautlich reflectirt wurden, und ferner nach ihrer Entwicke-
lungsfaͤhigkeit, verſchieden geweſen ſein muͤſſen. Denn es iſt poſitiv
unmoͤglich, alle Sprachen auf eine und dieſelbe Urſprache zuruͤckzu-
fuͤhren. Vielmehr ergeben ſich der vorurtheilsfreien Forſchung ſo viele
Urſprachen, als ſich Sprachſtaͤmme unterſcheiden laſſen“ 34). Bekannt-
lich entſprechen aber die Grenzen dieſer Sprachſtaͤmme und ihrer Ver-
zweigungen keineswegs den Grenzen der verſchiedenen Menſchenarten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 510. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/535>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.