ihrer Wurzel entweder weiter oben oder tiefer unten wieder zusammen- hängen und also doch schließlich alle von einem gemeinsamen Urstamme abzuleiten sein.
Wie ich bereits in meinen Vorträgen "über die Entstehung und den Stammbaum des Menschengeschlechts" 36) ausführte, kann man die verschiedenen sogenannten "Rassen" des Menschengeschlechts mit eben so vielem Rechte als "gute Arten oder Species" ansehen, wie viele Thierformen und Pflanzenformen, welche allgemein als "gute Species" einer Gattung gelten. Jch habe dort zehn verschiedene Species der Gattung Homo unterschieden, über deren muthmaßliche Stamm- verwandtschaft ich Jhnen schließlich noch folgende, durch Taf. VIII er- läuterte Andeutungen geben will. Jch bemerke dabei ausdrücklich, daß ich diesen genealogischen Versuch, gleich allen anderen vorher er- läuterten Stammbäumen der Thiere und Pflanzen, eben nur als einen ersten Versuch betrachtet wissen will, und daß neben meinen genealo- gischen Hypothesen, wie ich Sie Jhnen hier gebe, noch eine ganze Menge von anderen Hypothesen, namentlich bezüglich der Verzwei- gungen des Stammbaums im Einzelnen, mehr oder minder Anspruch auf Geltung machen können.
Die Merkmale, durch welche man gewöhnlich die Menschenrassen unterscheidet, sind theils der Haarbildung, theils der Hautfarbe, theils der Schädelbildung entnommen. Jn letzterer Beziehung unterscheidet man als zwei extreme Formen Langköpfe und Kurzköpfe. Bei den Langköpfen(Dolichocephali), deren stärkste Ausbildung sich bei den Afronegern und Australnegern findet, ist der Schädel langgestreckt, schmal, von rechts nach links zusammengedrückt. Bei den Kurz- köpfen(Brachycephali) dagegen ist der Schädel umgekehrt von vorn nach hinten zusammengedrückt, kurz und breit, wie es namentlich bei den Mongolen in die Augen springt. Die zwischen beiden Extremen in der Mitte stehenden Mittelköpfe(Mesocephali) sind namentlich bei den Amerikanern vorherrschend. Jn jeder dieser drei Gruppen kommen Schiefzähnige(Prognathi) vor, bei denen die Kiefer, wie bei der thierischen Schnauze, stark vorspringen, und die Vorderzähne daher
Die Arten oder Raſſen des Menſchengeſchlechts.
ihrer Wurzel entweder weiter oben oder tiefer unten wieder zuſammen- haͤngen und alſo doch ſchließlich alle von einem gemeinſamen Urſtamme abzuleiten ſein.
Wie ich bereits in meinen Vortraͤgen „uͤber die Entſtehung und den Stammbaum des Menſchengeſchlechts“ 36) ausfuͤhrte, kann man die verſchiedenen ſogenannten „Raſſen“ des Menſchengeſchlechts mit eben ſo vielem Rechte als „gute Arten oder Species“ anſehen, wie viele Thierformen und Pflanzenformen, welche allgemein als „gute Species“ einer Gattung gelten. Jch habe dort zehn verſchiedene Species der Gattung Homo unterſchieden, uͤber deren muthmaßliche Stamm- verwandtſchaft ich Jhnen ſchließlich noch folgende, durch Taf. VIII er- laͤuterte Andeutungen geben will. Jch bemerke dabei ausdruͤcklich, daß ich dieſen genealogiſchen Verſuch, gleich allen anderen vorher er- laͤuterten Stammbaͤumen der Thiere und Pflanzen, eben nur als einen erſten Verſuch betrachtet wiſſen will, und daß neben meinen genealo- giſchen Hypotheſen, wie ich Sie Jhnen hier gebe, noch eine ganze Menge von anderen Hypotheſen, namentlich bezuͤglich der Verzwei- gungen des Stammbaums im Einzelnen, mehr oder minder Anſpruch auf Geltung machen koͤnnen.
Die Merkmale, durch welche man gewoͤhnlich die Menſchenraſſen unterſcheidet, ſind theils der Haarbildung, theils der Hautfarbe, theils der Schaͤdelbildung entnommen. Jn letzterer Beziehung unterſcheidet man als zwei extreme Formen Langkoͤpfe und Kurzkoͤpfe. Bei den Langkoͤpfen(Dolichocephali), deren ſtaͤrkſte Ausbildung ſich bei den Afronegern und Auſtralnegern findet, iſt der Schaͤdel langgeſtreckt, ſchmal, von rechts nach links zuſammengedruͤckt. Bei den Kurz- koͤpfen(Brachycephali) dagegen iſt der Schaͤdel umgekehrt von vorn nach hinten zuſammengedruͤckt, kurz und breit, wie es namentlich bei den Mongolen in die Augen ſpringt. Die zwiſchen beiden Extremen in der Mitte ſtehenden Mittelkoͤpfe(Mesocephali) ſind namentlich bei den Amerikanern vorherrſchend. Jn jeder dieſer drei Gruppen kommen Schiefzaͤhnige(Prognathi) vor, bei denen die Kiefer, wie bei der thieriſchen Schnauze, ſtark vorſpringen, und die Vorderzaͤhne daher
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Die Arten oder Raſſen des Menſchengeſchlechts.
ihrer Wurzel entweder weiter oben oder tiefer unten wieder zuſammen-
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Wie ich bereits in meinen Vortraͤgen „uͤber die Entſtehung und den
Stammbaum des Menſchengeſchlechts“ 36) ausfuͤhrte, kann man die
verſchiedenen ſogenannten „Raſſen“ des Menſchengeſchlechts mit eben
ſo vielem Rechte als „gute Arten oder Species“ anſehen, wie viele
Thierformen und Pflanzenformen, welche allgemein als „gute Species“
einer Gattung gelten. Jch habe dort zehn verſchiedene Species
der Gattung Homo unterſchieden, uͤber deren muthmaßliche Stamm-
verwandtſchaft ich Jhnen ſchließlich noch folgende, durch Taf. VIII er-
laͤuterte Andeutungen geben will. Jch bemerke dabei ausdruͤcklich,
daß ich dieſen genealogiſchen Verſuch, gleich allen anderen vorher er-
laͤuterten Stammbaͤumen der Thiere und Pflanzen, eben nur als einen
erſten Verſuch betrachtet wiſſen will, und daß neben meinen genealo-
giſchen Hypotheſen, wie ich Sie Jhnen hier gebe, noch eine ganze
Menge von anderen Hypotheſen, namentlich bezuͤglich der Verzwei-
gungen des Stammbaums im Einzelnen, mehr oder minder Anſpruch
auf Geltung machen koͤnnen.
Die Merkmale, durch welche man gewoͤhnlich die Menſchenraſſen
unterſcheidet, ſind theils der Haarbildung, theils der Hautfarbe, theils
der Schaͤdelbildung entnommen. Jn letzterer Beziehung unterſcheidet
man als zwei extreme Formen Langkoͤpfe und Kurzkoͤpfe. Bei den
Langkoͤpfen (Dolichocephali), deren ſtaͤrkſte Ausbildung ſich bei
den Afronegern und Auſtralnegern findet, iſt der Schaͤdel langgeſtreckt,
ſchmal, von rechts nach links zuſammengedruͤckt. Bei den Kurz-
koͤpfen (Brachycephali) dagegen iſt der Schaͤdel umgekehrt von vorn
nach hinten zuſammengedruͤckt, kurz und breit, wie es namentlich bei
den Mongolen in die Augen ſpringt. Die zwiſchen beiden Extremen in der
Mitte ſtehenden Mittelkoͤpfe (Mesocephali) ſind namentlich bei den
Amerikanern vorherrſchend. Jn jeder dieſer drei Gruppen kommen
Schiefzaͤhnige (Prognathi) vor, bei denen die Kiefer, wie bei der
thieriſchen Schnauze, ſtark vorſpringen, und die Vorderzaͤhne daher
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 512. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/537>, abgerufen am 22.11.2024.
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