Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.Mechanische Entstehung zweckmäßiger Organisationseinrichtungen. zweckmäßig erfunden und construirt, in der That aber durch die zweck-lose Thätigkeit der natürlichen Züchtung mechanisch entstanden sind, empfinden viele Menschen ähnliche Schwierigkeiten des naturgemäßen Verständnisses, wie die rohen Naturvölker gegenüber den verwickelten Erzeugnissen unserer neuesten Maschinenkunst. Die Wilden, welche zum erstenmal ein Linienschiff oder eine Locomotive sehen, halten diese Gegenstände für die Erzeugnisse übernatürlicher Wesen, und können nicht begreifen, daß der Mensch, ein Organismus ihres Gleichen, einen solchen Apparat hervorgebracht habe. Nicht allein die älteren Erdumsegler, welche Amerika und die Südseeinseln entdeckten, wissen davon zu erzählen, sondern noch in jüngster Zeit ist die Anlage der von den Engländern in Abessinien eingerichteten Eisenbahn die Ursache ähnlicher Bemerkungen gewesen. Die Locomotive wurde dort für den leibhaftigen Teufel gehalten. Auch die ungebildeten Men- schen unserer eigenen Rasse sind nicht im Stande, einen so verwickelten Apparat in seiner eigentlichen Wirksamkeit zu begreifen, und die rein mechanische Natur desselben zu verstehen. Die meisten Naturforscher verhalten sich aber, wie Darwin sehr richtig bemerkt, gegenüber den Formen der Organismen nicht anders, als jene Wilden dem Linienschiff oder der Locomotive gegenüber. Das naturgemäße Ver- ständniß von der rein mechanischen Entstehung der organischen Formen kann hier nur durch eine gründliche allgemeine biologische Bildung, und durch die specielle Bekanntschaft mit der vergleichenden Anatomie und Entwickelungsgeschichte gewonnen werden. Unter den übrigen gegen die Abstammungslehre erhobenen Ein- Haeckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte. 34
Mechaniſche Entſtehung zweckmaͤßiger Organiſationseinrichtungen. zweckmaͤßig erfunden und conſtruirt, in der That aber durch die zweck-loſe Thaͤtigkeit der natuͤrlichen Zuͤchtung mechaniſch entſtanden ſind, empfinden viele Menſchen aͤhnliche Schwierigkeiten des naturgemaͤßen Verſtaͤndniſſes, wie die rohen Naturvoͤlker gegenuͤber den verwickelten Erzeugniſſen unſerer neueſten Maſchinenkunſt. Die Wilden, welche zum erſtenmal ein Linienſchiff oder eine Locomotive ſehen, halten dieſe Gegenſtaͤnde fuͤr die Erzeugniſſe uͤbernatuͤrlicher Weſen, und koͤnnen nicht begreifen, daß der Menſch, ein Organismus ihres Gleichen, einen ſolchen Apparat hervorgebracht habe. Nicht allein die aͤlteren Erdumſegler, welche Amerika und die Suͤdſeeinſeln entdeckten, wiſſen davon zu erzaͤhlen, ſondern noch in juͤngſter Zeit iſt die Anlage der von den Englaͤndern in Abeſſinien eingerichteten Eiſenbahn die Urſache aͤhnlicher Bemerkungen geweſen. Die Locomotive wurde dort fuͤr den leibhaftigen Teufel gehalten. Auch die ungebildeten Men- ſchen unſerer eigenen Raſſe ſind nicht im Stande, einen ſo verwickelten Apparat in ſeiner eigentlichen Wirkſamkeit zu begreifen, und die rein mechaniſche Natur deſſelben zu verſtehen. Die meiſten Naturforſcher verhalten ſich aber, wie Darwin ſehr richtig bemerkt, gegenuͤber den Formen der Organismen nicht anders, als jene Wilden dem Linienſchiff oder der Locomotive gegenuͤber. Das naturgemaͤße Ver- ſtaͤndniß von der rein mechaniſchen Entſtehung der organiſchen Formen kann hier nur durch eine gruͤndliche allgemeine biologiſche Bildung, und durch die ſpecielle Bekanntſchaft mit der vergleichenden Anatomie und Entwickelungsgeſchichte gewonnen werden. Unter den uͤbrigen gegen die Abſtammungslehre erhobenen Ein- Haeckel, Natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte. 34
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Mechaniſche Entſtehung zweckmaͤßiger Organiſationseinrichtungen.
zweckmaͤßig erfunden und conſtruirt, in der That aber durch die zweck-
loſe Thaͤtigkeit der natuͤrlichen Zuͤchtung mechaniſch entſtanden ſind,
empfinden viele Menſchen aͤhnliche Schwierigkeiten des naturgemaͤßen
Verſtaͤndniſſes, wie die rohen Naturvoͤlker gegenuͤber den verwickelten
Erzeugniſſen unſerer neueſten Maſchinenkunſt. Die Wilden, welche
zum erſtenmal ein Linienſchiff oder eine Locomotive ſehen, halten dieſe
Gegenſtaͤnde fuͤr die Erzeugniſſe uͤbernatuͤrlicher Weſen, und koͤnnen
nicht begreifen, daß der Menſch, ein Organismus ihres Gleichen,
einen ſolchen Apparat hervorgebracht habe. Nicht allein die aͤlteren
Erdumſegler, welche Amerika und die Suͤdſeeinſeln entdeckten, wiſſen
davon zu erzaͤhlen, ſondern noch in juͤngſter Zeit iſt die Anlage
der von den Englaͤndern in Abeſſinien eingerichteten Eiſenbahn die
Urſache aͤhnlicher Bemerkungen geweſen. Die Locomotive wurde
dort fuͤr den leibhaftigen Teufel gehalten. Auch die ungebildeten Men-
ſchen unſerer eigenen Raſſe ſind nicht im Stande, einen ſo verwickelten
Apparat in ſeiner eigentlichen Wirkſamkeit zu begreifen, und die rein
mechaniſche Natur deſſelben zu verſtehen. Die meiſten Naturforſcher
verhalten ſich aber, wie Darwin ſehr richtig bemerkt, gegenuͤber
den Formen der Organismen nicht anders, als jene Wilden dem
Linienſchiff oder der Locomotive gegenuͤber. Das naturgemaͤße Ver-
ſtaͤndniß von der rein mechaniſchen Entſtehung der organiſchen Formen
kann hier nur durch eine gruͤndliche allgemeine biologiſche Bildung,
und durch die ſpecielle Bekanntſchaft mit der vergleichenden Anatomie
und Entwickelungsgeſchichte gewonnen werden.
Unter den uͤbrigen gegen die Abſtammungslehre erhobenen Ein-
wuͤrfen will ich hier endlich noch einen hervorheben und widerlegen,
der namentlich in den Augen vieler Laien ein großes Gewicht beſitzt:
Wie ſoll man ſich aus der Deſcendenztheorie die Geiſtesthaͤtig-
keiten der Thiere und namentlich die ſpecifiſchen Aeußerungen
derſelben, die ſogenannten Jnſtinkte entſtanden denken? Dieſen
ſchwierigen Gegenſtand hat Darwin in einem beſonderen Capitel
ſeines Werkes (im ſiebenten) ſo ausfuͤhrlich behandelt, daß ich Sie
hier darauf verweiſen kann. Wir muͤſſen die Jnſtinkte we-
Haeckel, Natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte. 34
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