Goethe's Ansicht von der Blutsverwandtschaft aller Wirbelthiere.
men abstammen. Für die wichtigste von allen Thiergruppen, die Hauptabtheilung der Wirbelthiere, drückt dies Goethe in folgendem merkwürdigen Satze aus (1796!): "Dies also hätten wir gewonnen ungescheut behaupten zu dürfen, daß alle vollkommneren organischen Naturen, worunter wir Fische, Amphibien, Vögel, Säugethiere und an der Spitze der letzten den Menschen sehen, alle nach einem Urbilde ge- formt seien, das nur in seinen sehr beständigen Theilen mehr oder we- niger hin- und herweicht, und sich noch täglich durch Fortpflanzung aus- und umbildet".
Dieser Satz ist in mehrfacher Beziehung von Jnteresse. Die Theorie, daß "alle vollkommneren organischen Naturen", d. h. alle Wirbelthiere, von einem gemeinsamen Urbilde abstammen, daß sie aus diesem durch Fortpflanzung (Vererbung) und Umbildung (An- passung) entstanden sind, ist darin deutlich zu erkennen. Besonders interessant aber ist es dabei, daß Goethe auch hier für den Menschen keine Ausnahme gestattet, ihn vielmehr ausdrücklich in den Stamm der übrigen Wirbelthiere hineinzieht. Die wichtigste specielle Folge- rung der Abstammungslehre, daß der Mensch von anderen Wirbel- thieren abstammt, läßt sich hier im Keime erkennen 3).
Als der bedeutendste der deutschen Naturphilosophen gilt gewöhn- lich nicht Wolfgang Goethe sondern Lorenz Oken, welcher bei Begründung der Wirbeltheorie des Schädels als Nebenbuhler Goethe's auftrat und diesem nicht gerade freundlich gesinnt war. Bei der sehr verschiedenen Natur der beiden großen Männer, welche eine Zeit lang in nachbarschaftlicher Nähe lebten, konnten sie sich doch gegenseitig nicht wohl anziehen. Oken's Lehrbuch der Naturphilosophie, welches als das bedeutendste Erzeugniß der damaligen naturphilosophischen Schule in Deutschland bezeichnet werden kann, erschien 1809, in dem- selben Jahre, in welchem auch Lamarck's fundamentales Werk, die "Philosophie zoologique" erschien. Schon 1802 hatte Oken einen "Grundriß der Naturphilosophie" veröffentlicht. Wie schon früher an- gedeutet wurde, finden wir bei Oken, versteckt unter einer Fülle von irrigen, zum Theil sehr abenteuerlichen und phantastischen Vorstellungen,
Goethe’s Anſicht von der Blutsverwandtſchaft aller Wirbelthiere.
men abſtammen. Fuͤr die wichtigſte von allen Thiergruppen, die Hauptabtheilung der Wirbelthiere, druͤckt dies Goethe in folgendem merkwuͤrdigen Satze aus (1796!): „Dies alſo haͤtten wir gewonnen ungeſcheut behaupten zu duͤrfen, daß alle vollkommneren organiſchen Naturen, worunter wir Fiſche, Amphibien, Voͤgel, Saͤugethiere und an der Spitze der letzten den Menſchen ſehen, alle nach einem Urbilde ge- formt ſeien, das nur in ſeinen ſehr beſtaͤndigen Theilen mehr oder we- niger hin- und herweicht, und ſich noch taͤglich durch Fortpflanzung aus- und umbildet“.
Dieſer Satz iſt in mehrfacher Beziehung von Jntereſſe. Die Theorie, daß „alle vollkommneren organiſchen Naturen“, d. h. alle Wirbelthiere, von einem gemeinſamen Urbilde abſtammen, daß ſie aus dieſem durch Fortpflanzung (Vererbung) und Umbildung (An- paſſung) entſtanden ſind, iſt darin deutlich zu erkennen. Beſonders intereſſant aber iſt es dabei, daß Goethe auch hier fuͤr den Menſchen keine Ausnahme geſtattet, ihn vielmehr ausdruͤcklich in den Stamm der uͤbrigen Wirbelthiere hineinzieht. Die wichtigſte ſpecielle Folge- rung der Abſtammungslehre, daß der Menſch von anderen Wirbel- thieren abſtammt, laͤßt ſich hier im Keime erkennen 3).
Als der bedeutendſte der deutſchen Naturphiloſophen gilt gewoͤhn- lich nicht Wolfgang Goethe ſondern Lorenz Oken, welcher bei Begruͤndung der Wirbeltheorie des Schaͤdels als Nebenbuhler Goethe’s auftrat und dieſem nicht gerade freundlich geſinnt war. Bei der ſehr verſchiedenen Natur der beiden großen Maͤnner, welche eine Zeit lang in nachbarſchaftlicher Naͤhe lebten, konnten ſie ſich doch gegenſeitig nicht wohl anziehen. Oken’s Lehrbuch der Naturphiloſophie, welches als das bedeutendſte Erzeugniß der damaligen naturphiloſophiſchen Schule in Deutſchland bezeichnet werden kann, erſchien 1809, in dem- ſelben Jahre, in welchem auch Lamarck’s fundamentales Werk, die „Philosophie zoologique“ erſchien. Schon 1802 hatte Oken einen „Grundriß der Naturphiloſophie“ veroͤffentlicht. Wie ſchon fruͤher an- gedeutet wurde, finden wir bei Oken, verſteckt unter einer Fuͤlle von irrigen, zum Theil ſehr abenteuerlichen und phantaſtiſchen Vorſtellungen,
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Goethe’s Anſicht von der Blutsverwandtſchaft aller Wirbelthiere.
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merkwuͤrdigen Satze aus (1796!): „Dies alſo haͤtten wir gewonnen
ungeſcheut behaupten zu duͤrfen, daß alle vollkommneren organiſchen
Naturen, worunter wir Fiſche, Amphibien, Voͤgel, Saͤugethiere und an
der Spitze der letzten den Menſchen ſehen, alle nach einem Urbilde ge-
formt ſeien, das nur in ſeinen ſehr beſtaͤndigen Theilen mehr oder we-
niger hin- und herweicht, und ſich noch taͤglich durch Fortpflanzung
aus- und umbildet“.
Dieſer Satz iſt in mehrfacher Beziehung von Jntereſſe. Die
Theorie, daß „alle vollkommneren organiſchen Naturen“, d. h. alle
Wirbelthiere, von einem gemeinſamen Urbilde abſtammen, daß ſie
aus dieſem durch Fortpflanzung (Vererbung) und Umbildung (An-
paſſung) entſtanden ſind, iſt darin deutlich zu erkennen. Beſonders
intereſſant aber iſt es dabei, daß Goethe auch hier fuͤr den Menſchen
keine Ausnahme geſtattet, ihn vielmehr ausdruͤcklich in den Stamm
der uͤbrigen Wirbelthiere hineinzieht. Die wichtigſte ſpecielle Folge-
rung der Abſtammungslehre, daß der Menſch von anderen Wirbel-
thieren abſtammt, laͤßt ſich hier im Keime erkennen 3).
Als der bedeutendſte der deutſchen Naturphiloſophen gilt gewoͤhn-
lich nicht Wolfgang Goethe ſondern Lorenz Oken, welcher bei
Begruͤndung der Wirbeltheorie des Schaͤdels als Nebenbuhler Goethe’s
auftrat und dieſem nicht gerade freundlich geſinnt war. Bei der ſehr
verſchiedenen Natur der beiden großen Maͤnner, welche eine Zeit lang
in nachbarſchaftlicher Naͤhe lebten, konnten ſie ſich doch gegenſeitig
nicht wohl anziehen. Oken’s Lehrbuch der Naturphiloſophie, welches
als das bedeutendſte Erzeugniß der damaligen naturphiloſophiſchen
Schule in Deutſchland bezeichnet werden kann, erſchien 1809, in dem-
ſelben Jahre, in welchem auch Lamarck’s fundamentales Werk, die
„Philosophie zoologique“ erſchien. Schon 1802 hatte Oken einen
„Grundriß der Naturphiloſophie“ veroͤffentlicht. Wie ſchon fruͤher an-
gedeutet wurde, finden wir bei Oken, verſteckt unter einer Fuͤlle von
irrigen, zum Theil ſehr abenteuerlichen und phantaſtiſchen Vorſtellungen,
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/97>, abgerufen am 24.11.2024.
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