Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.
Existenz-Beginn der Seele. VIII. auf den wir später zurückkommen. Ferner wird dadurch der nochsehr verbreitete Aberglaube widerlegt, daß der Mensch seine individuelle Existenz der "Gnade des liebenden Gottes" verdankt. Die Ursache derselben beruht vielmehr einzig und allein auf dem "Eros" seiner beiden Eltern, auf jenem mächtigen, allen viel- zelligen Thieren und Pflanzen gemeinsamen Geschlechtstriebe, welcher zu deren Begattung führt. Das Wesentliche bei diesem physiologischen Processe ist aber nicht, wie man früher annahm, die "Umarmung" oder die damit verknüpften Liebesspiele, son- dern einzig und allein die Einführung des männlichen Sperma in die weiblichen Geschlechts-Kanäle. Nur dadurch wird es bei den landbewohnenden Thieren möglich, daß der befruchtende Samen mit der abgelösten Eizelle zusammenkommt (was beim Menschen gewöhnlich innerhalb des Uterus geschieht). Bei nie- deren, wasserbewohnenden Thieren (z. B. Fischen, Muscheln, Medusen) werden beiderlei reife Geschlechts-Produkte einfach in das Wasser entleert, und hier bleibt ihr Zusammentreffen dem Zufall überlassen; dann fehlt eine eigentliche Begattung, und damit zugleich fallen jene zusammengesetzten psychischen Funktionen des "Liebeslebens" hinweg, die bei höheren Thieren eine so große Rolle spielen. Daher fehlen auch allen niederen, nicht kopuliren- den Thieren jene interessanten Organe, die Darwin als "sekundäre Sexual-Charaktere" bezeichnet hat, die Produkte der geschlechtlichen Zuchtwahl: der Bart des Mannes, das Geweih des Hirsches, das prachtvolle Gefieder der Paradiesvögel und vieler Hühner-Vögel, sowie viele andere Auszeichnungen der Männchen, welche den Weibchen fehlen. Vererbung der Seele. Unter den angeführten Folge- Exiſtenz-Beginn der Seele. VIII. auf den wir ſpäter zurückkommen. Ferner wird dadurch der nochſehr verbreitete Aberglaube widerlegt, daß der Menſch ſeine individuelle Exiſtenz der „Gnade des liebenden Gottes“ verdankt. Die Urſache derſelben beruht vielmehr einzig und allein auf dem „Eros“ ſeiner beiden Eltern, auf jenem mächtigen, allen viel- zelligen Thieren und Pflanzen gemeinſamen Geſchlechtstriebe, welcher zu deren Begattung führt. Das Weſentliche bei dieſem phyſiologiſchen Proceſſe iſt aber nicht, wie man früher annahm, die „Umarmung“ oder die damit verknüpften Liebesſpiele, ſon- dern einzig und allein die Einführung des männlichen Sperma in die weiblichen Geſchlechts-Kanäle. Nur dadurch wird es bei den landbewohnenden Thieren möglich, daß der befruchtende Samen mit der abgelöſten Eizelle zuſammenkommt (was beim Menſchen gewöhnlich innerhalb des Uterus geſchieht). Bei nie- deren, waſſerbewohnenden Thieren (z. B. Fiſchen, Muſcheln, Meduſen) werden beiderlei reife Geſchlechts-Produkte einfach in das Waſſer entleert, und hier bleibt ihr Zuſammentreffen dem Zufall überlaſſen; dann fehlt eine eigentliche Begattung, und damit zugleich fallen jene zuſammengeſetzten pſychiſchen Funktionen des „Liebeslebens“ hinweg, die bei höheren Thieren eine ſo große Rolle ſpielen. Daher fehlen auch allen niederen, nicht kopuliren- den Thieren jene intereſſanten Organe, die Darwin als „ſekundäre Sexual-Charaktere“ bezeichnet hat, die Produkte der geſchlechtlichen Zuchtwahl: der Bart des Mannes, das Geweih des Hirſches, das prachtvolle Gefieder der Paradiesvögel und vieler Hühner-Vögel, ſowie viele andere Auszeichnungen der Männchen, welche den Weibchen fehlen. Vererbung der Seele. Unter den angeführten Folge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0178" n="162"/><fw place="top" type="header">Exiſtenz-Beginn der Seele. <hi rendition="#aq">VIII.</hi></fw><lb/> auf den wir ſpäter zurückkommen. Ferner wird dadurch der noch<lb/> ſehr verbreitete Aberglaube widerlegt, daß der Menſch ſeine<lb/> individuelle Exiſtenz der „Gnade des liebenden Gottes“ verdankt.<lb/> Die Urſache derſelben beruht vielmehr einzig und allein auf dem<lb/> „Eros“ ſeiner beiden Eltern, auf jenem mächtigen, allen viel-<lb/> zelligen Thieren und Pflanzen gemeinſamen Geſchlechtstriebe,<lb/> welcher zu deren Begattung führt. Das Weſentliche bei dieſem<lb/> phyſiologiſchen Proceſſe iſt aber nicht, wie man früher annahm,<lb/> die „Umarmung“ oder die damit verknüpften Liebesſpiele, ſon-<lb/> dern einzig und allein die Einführung des männlichen Sperma<lb/> in die weiblichen Geſchlechts-Kanäle. Nur dadurch wird es bei<lb/> den landbewohnenden Thieren möglich, daß der befruchtende<lb/> Samen mit der abgelöſten Eizelle zuſammenkommt (was beim<lb/> Menſchen gewöhnlich innerhalb des Uterus geſchieht). Bei nie-<lb/> deren, waſſerbewohnenden Thieren (z. B. Fiſchen, Muſcheln,<lb/> Meduſen) werden beiderlei reife Geſchlechts-Produkte einfach in<lb/> das Waſſer entleert, und hier bleibt ihr Zuſammentreffen dem<lb/> Zufall überlaſſen; dann fehlt eine eigentliche Begattung, und<lb/> damit zugleich fallen jene zuſammengeſetzten pſychiſchen Funktionen<lb/> des „Liebeslebens“ hinweg, die bei höheren Thieren eine ſo große<lb/> Rolle ſpielen. Daher fehlen auch allen niederen, nicht kopuliren-<lb/> den Thieren jene intereſſanten Organe, die <hi rendition="#g">Darwin</hi> als<lb/> „ſekundäre Sexual-Charaktere“ bezeichnet hat, die Produkte der<lb/> geſchlechtlichen Zuchtwahl: der Bart des Mannes, das Geweih<lb/> des Hirſches, das prachtvolle Gefieder der Paradiesvögel und<lb/> vieler Hühner-Vögel, ſowie viele andere Auszeichnungen der<lb/> Männchen, welche den Weibchen fehlen.</p><lb/> <p><hi rendition="#b">Vererbung der Seele.</hi> Unter den angeführten Folge-<lb/> ſchlüſſen der <hi rendition="#g">Konceptions-Phyſiologie</hi> iſt für die Pſycho-<lb/> logie ganz beſonders wichtig die <hi rendition="#g">Vererbung der Seelen-<lb/> Qualitäten von beiden Eltern</hi>. Daß jedes Kind beſon-<lb/> dere Eigenthümlichkeiten des Charakters, Temperament, Talent,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [162/0178]
Exiſtenz-Beginn der Seele. VIII.
auf den wir ſpäter zurückkommen. Ferner wird dadurch der noch
ſehr verbreitete Aberglaube widerlegt, daß der Menſch ſeine
individuelle Exiſtenz der „Gnade des liebenden Gottes“ verdankt.
Die Urſache derſelben beruht vielmehr einzig und allein auf dem
„Eros“ ſeiner beiden Eltern, auf jenem mächtigen, allen viel-
zelligen Thieren und Pflanzen gemeinſamen Geſchlechtstriebe,
welcher zu deren Begattung führt. Das Weſentliche bei dieſem
phyſiologiſchen Proceſſe iſt aber nicht, wie man früher annahm,
die „Umarmung“ oder die damit verknüpften Liebesſpiele, ſon-
dern einzig und allein die Einführung des männlichen Sperma
in die weiblichen Geſchlechts-Kanäle. Nur dadurch wird es bei
den landbewohnenden Thieren möglich, daß der befruchtende
Samen mit der abgelöſten Eizelle zuſammenkommt (was beim
Menſchen gewöhnlich innerhalb des Uterus geſchieht). Bei nie-
deren, waſſerbewohnenden Thieren (z. B. Fiſchen, Muſcheln,
Meduſen) werden beiderlei reife Geſchlechts-Produkte einfach in
das Waſſer entleert, und hier bleibt ihr Zuſammentreffen dem
Zufall überlaſſen; dann fehlt eine eigentliche Begattung, und
damit zugleich fallen jene zuſammengeſetzten pſychiſchen Funktionen
des „Liebeslebens“ hinweg, die bei höheren Thieren eine ſo große
Rolle ſpielen. Daher fehlen auch allen niederen, nicht kopuliren-
den Thieren jene intereſſanten Organe, die Darwin als
„ſekundäre Sexual-Charaktere“ bezeichnet hat, die Produkte der
geſchlechtlichen Zuchtwahl: der Bart des Mannes, das Geweih
des Hirſches, das prachtvolle Gefieder der Paradiesvögel und
vieler Hühner-Vögel, ſowie viele andere Auszeichnungen der
Männchen, welche den Weibchen fehlen.
Vererbung der Seele. Unter den angeführten Folge-
ſchlüſſen der Konceptions-Phyſiologie iſt für die Pſycho-
logie ganz beſonders wichtig die Vererbung der Seelen-
Qualitäten von beiden Eltern. Daß jedes Kind beſon-
dere Eigenthümlichkeiten des Charakters, Temperament, Talent,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/178 |
| Zitationshilfe: | Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/178>, abgerufen am 26.11.2024. |
