Monotheismus (Eingötterei). Die Lehre von der Einheit Gottes kann in vieler Beziehung als die einfachste und natür- lichste Form der Gottes-Verehrung gelten; nach der herrschenden Meinung ist sie die weitestverbreitete Grundlage der Religion und beherrscht namentlich den Kirchenglauben der Kultur-Völker. Thatsächlich ist dies jedoch nicht der Fall; denn der angebliche Monotheismus erweist sich bei näherer Betrachtung meistens als eine der vorher angeführten Formen des Theismus, indem neben dem obersten "Hauptgotte" noch einer oder mehrere Neben- götter angeführt werden. Auch sind die meisten Religionen, welche einen rein monotheistischen Ausgangspunkt hatten, im Laufe der Zeit mehr oder minder polytheistisch geworden. Allerdings be- hauptet die moderne Statistik, daß unter den 1500 Millionen Menschen, welche unsere Erde bevölkern, die große Mehrzahl Monotheisten seien; angeblich sollen davon ungefähr 600 Millionen Brahma-Buddhisten sein, 500 Millionen (so- genannte!) Christen, 200 Millionen Heiden (verschiedenster Sorte), 180 Millionen Mohammedaner, 10 Millionen Israeliten und 10 Millionen ganz religionslos. Allein die große Mehrzahl der angeblichen Monotheisten hat ganz unklare Gottes-Vorstellungen oder glaubt neben dem einen Hauptgott auch noch an viele Nebengötter, als da sind: Engel, Teufel, Dämonen u. s. w. Die verschiedenen Formen, in denen sich der Monotheismus polyphyletisch entwickelt hat, können wir in zwei Haupt- gruppen bringen: naturalistische und anthropistische Eingötterei.
Naturalistischer Monotheismus. Diese alte Form der Religion erblickt die Verkörperung Gottes in einer erhabenen, Alles beherrschenden Natur-Erscheinung. Als solche imponirte schon vor vielen Jahrtausenden den Menschen vor Allem die Sonne, die leuchtende und erwärmende Gottheit, von deren Einfluß sichtlich alles organische Leben unmittelbar abhängig ist. Der Sonnen-Kultus (Solarismus oder Hekiotheismus) er-
Eingötterei (Monotheismus). XV.
Monotheismus (Eingötterei). Die Lehre von der Einheit Gottes kann in vieler Beziehung als die einfachste und natür- lichſte Form der Gottes-Verehrung gelten; nach der herrſchenden Meinung iſt ſie die weiteſtverbreitete Grundlage der Religion und beherrſcht namentlich den Kirchenglauben der Kultur-Völker. Thatſächlich iſt dies jedoch nicht der Fall; denn der angebliche Monotheismus erweiſt ſich bei näherer Betrachtung meiſtens als eine der vorher angeführten Formen des Theismus, indem neben dem oberſten „Hauptgotte“ noch einer oder mehrere Neben- götter angeführt werden. Auch ſind die meiſten Religionen, welche einen rein monotheistiſchen Ausgangspunkt hatten, im Laufe der Zeit mehr oder minder polytheiſtiſch geworden. Allerdings be- hauptet die moderne Statiſtik, daß unter den 1500 Millionen Menſchen, welche unſere Erde bevölkern, die große Mehrzahl Monotheiſten ſeien; angeblich ſollen davon ungefähr 600 Millionen Brahma-Buddhiſten ſein, 500 Millionen (ſo- genannte!) Chriſten, 200 Millionen Heiden (verſchiedenſter Sorte), 180 Millionen Mohammedaner, 10 Millionen Israeliten und 10 Millionen ganz religionslos. Allein die große Mehrzahl der angeblichen Monotheiſten hat ganz unklare Gottes-Vorſtellungen oder glaubt neben dem einen Hauptgott auch noch an viele Nebengötter, als da ſind: Engel, Teufel, Dämonen u. ſ. w. Die verſchiedenen Formen, in denen ſich der Monotheismus polyphyletiſch entwickelt hat, können wir in zwei Haupt- gruppen bringen: naturaliſtiſche und anthropiſtiſche Eingötterei.
Naturaliſtiſcher Monotheismus. Dieſe alte Form der Religion erblickt die Verkörperung Gottes in einer erhabenen, Alles beherrſchenden Natur-Erſcheinung. Als ſolche imponirte ſchon vor vielen Jahrtauſenden den Menſchen vor Allem die Sonne, die leuchtende und erwärmende Gottheit, von deren Einfluß ſichtlich alles organiſche Leben unmittelbar abhängig iſt. Der Sonnen-Kultus (Solarismus oder Hekiotheismus) er-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0340"n="324"/><fwplace="top"type="header">Eingötterei (Monotheismus). <hirendition="#aq">XV.</hi></fw><lb/><p><hirendition="#b">Monotheismus</hi> (Eingötterei). Die Lehre von der Einheit<lb/>
Gottes kann in vieler Beziehung als die einfachste und natür-<lb/>
lichſte Form der Gottes-Verehrung gelten; nach der herrſchenden<lb/>
Meinung iſt ſie die weiteſtverbreitete Grundlage der Religion<lb/>
und beherrſcht namentlich den Kirchenglauben der Kultur-Völker.<lb/>
Thatſächlich iſt dies jedoch nicht der Fall; denn der angebliche<lb/><hirendition="#g">Monotheismus</hi> erweiſt ſich bei näherer Betrachtung meiſtens<lb/>
als eine der vorher angeführten Formen des Theismus, indem<lb/>
neben dem oberſten „Hauptgotte“ noch einer oder mehrere Neben-<lb/>
götter angeführt werden. Auch ſind die meiſten Religionen, welche<lb/>
einen rein monotheistiſchen Ausgangspunkt hatten, im Laufe der<lb/>
Zeit mehr oder minder polytheiſtiſch geworden. Allerdings be-<lb/>
hauptet die moderne Statiſtik, daß unter den 1500 Millionen<lb/>
Menſchen, welche unſere Erde bevölkern, die große Mehrzahl<lb/><hirendition="#g">Monotheiſten</hi>ſeien; <hirendition="#g">angeblich</hi>ſollen davon <hirendition="#g">ungefähr</hi><lb/>
600 Millionen Brahma-Buddhiſten ſein, 500 Millionen (ſo-<lb/>
genannte!) Chriſten, 200 Millionen Heiden (verſchiedenſter Sorte),<lb/>
180 Millionen Mohammedaner, 10 Millionen Israeliten und<lb/>
10 Millionen ganz religionslos. Allein die große Mehrzahl der<lb/>
angeblichen Monotheiſten hat ganz unklare Gottes-Vorſtellungen<lb/>
oder glaubt neben dem einen Hauptgott auch noch an viele<lb/>
Nebengötter, als da ſind: Engel, Teufel, Dämonen u. ſ. w.<lb/>
Die verſchiedenen Formen, in denen ſich der <hirendition="#g">Monotheismus<lb/>
polyphyletiſch</hi> entwickelt hat, können wir in zwei Haupt-<lb/>
gruppen bringen: naturaliſtiſche und anthropiſtiſche Eingötterei.</p><lb/><p><hirendition="#b">Naturaliſtiſcher Monotheismus.</hi> Dieſe alte Form der<lb/>
Religion erblickt die Verkörperung Gottes in einer erhabenen,<lb/>
Alles beherrſchenden Natur-Erſcheinung. Als ſolche imponirte<lb/>ſchon vor vielen Jahrtauſenden den Menſchen vor Allem die<lb/><hirendition="#g">Sonne</hi>, die leuchtende und erwärmende Gottheit, von deren<lb/>
Einfluß ſichtlich alles organiſche Leben unmittelbar abhängig iſt.<lb/>
Der <hirendition="#g">Sonnen-Kultus</hi> (Solarismus oder Hekiotheismus) er-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[324/0340]
Eingötterei (Monotheismus). XV.
Monotheismus (Eingötterei). Die Lehre von der Einheit
Gottes kann in vieler Beziehung als die einfachste und natür-
lichſte Form der Gottes-Verehrung gelten; nach der herrſchenden
Meinung iſt ſie die weiteſtverbreitete Grundlage der Religion
und beherrſcht namentlich den Kirchenglauben der Kultur-Völker.
Thatſächlich iſt dies jedoch nicht der Fall; denn der angebliche
Monotheismus erweiſt ſich bei näherer Betrachtung meiſtens
als eine der vorher angeführten Formen des Theismus, indem
neben dem oberſten „Hauptgotte“ noch einer oder mehrere Neben-
götter angeführt werden. Auch ſind die meiſten Religionen, welche
einen rein monotheistiſchen Ausgangspunkt hatten, im Laufe der
Zeit mehr oder minder polytheiſtiſch geworden. Allerdings be-
hauptet die moderne Statiſtik, daß unter den 1500 Millionen
Menſchen, welche unſere Erde bevölkern, die große Mehrzahl
Monotheiſten ſeien; angeblich ſollen davon ungefähr
600 Millionen Brahma-Buddhiſten ſein, 500 Millionen (ſo-
genannte!) Chriſten, 200 Millionen Heiden (verſchiedenſter Sorte),
180 Millionen Mohammedaner, 10 Millionen Israeliten und
10 Millionen ganz religionslos. Allein die große Mehrzahl der
angeblichen Monotheiſten hat ganz unklare Gottes-Vorſtellungen
oder glaubt neben dem einen Hauptgott auch noch an viele
Nebengötter, als da ſind: Engel, Teufel, Dämonen u. ſ. w.
Die verſchiedenen Formen, in denen ſich der Monotheismus
polyphyletiſch entwickelt hat, können wir in zwei Haupt-
gruppen bringen: naturaliſtiſche und anthropiſtiſche Eingötterei.
Naturaliſtiſcher Monotheismus. Dieſe alte Form der
Religion erblickt die Verkörperung Gottes in einer erhabenen,
Alles beherrſchenden Natur-Erſcheinung. Als ſolche imponirte
ſchon vor vielen Jahrtauſenden den Menſchen vor Allem die
Sonne, die leuchtende und erwärmende Gottheit, von deren
Einfluß ſichtlich alles organiſche Leben unmittelbar abhängig iſt.
Der Sonnen-Kultus (Solarismus oder Hekiotheismus) er-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/340>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.