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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Eingötterei (Monotheismus). XV.

Monotheismus (Eingötterei). Die Lehre von der Einheit
Gottes kann in vieler Beziehung als die einfachste und natür-
lichste Form der Gottes-Verehrung gelten; nach der herrschenden
Meinung ist sie die weitestverbreitete Grundlage der Religion
und beherrscht namentlich den Kirchenglauben der Kultur-Völker.
Thatsächlich ist dies jedoch nicht der Fall; denn der angebliche
Monotheismus erweist sich bei näherer Betrachtung meistens
als eine der vorher angeführten Formen des Theismus, indem
neben dem obersten "Hauptgotte" noch einer oder mehrere Neben-
götter angeführt werden. Auch sind die meisten Religionen, welche
einen rein monotheistischen Ausgangspunkt hatten, im Laufe der
Zeit mehr oder minder polytheistisch geworden. Allerdings be-
hauptet die moderne Statistik, daß unter den 1500 Millionen
Menschen, welche unsere Erde bevölkern, die große Mehrzahl
Monotheisten seien; angeblich sollen davon ungefähr
600 Millionen Brahma-Buddhisten sein, 500 Millionen (so-
genannte!) Christen, 200 Millionen Heiden (verschiedenster Sorte),
180 Millionen Mohammedaner, 10 Millionen Israeliten und
10 Millionen ganz religionslos. Allein die große Mehrzahl der
angeblichen Monotheisten hat ganz unklare Gottes-Vorstellungen
oder glaubt neben dem einen Hauptgott auch noch an viele
Nebengötter, als da sind: Engel, Teufel, Dämonen u. s. w.
Die verschiedenen Formen, in denen sich der Monotheismus
polyphyletisch
entwickelt hat, können wir in zwei Haupt-
gruppen bringen: naturalistische und anthropistische Eingötterei.

Naturalistischer Monotheismus. Diese alte Form der
Religion erblickt die Verkörperung Gottes in einer erhabenen,
Alles beherrschenden Natur-Erscheinung. Als solche imponirte
schon vor vielen Jahrtausenden den Menschen vor Allem die
Sonne, die leuchtende und erwärmende Gottheit, von deren
Einfluß sichtlich alles organische Leben unmittelbar abhängig ist.
Der Sonnen-Kultus (Solarismus oder Hekiotheismus) er-

Eingötterei (Monotheismus). XV.

Monotheismus (Eingötterei). Die Lehre von der Einheit
Gottes kann in vieler Beziehung als die einfachste und natür-
lichſte Form der Gottes-Verehrung gelten; nach der herrſchenden
Meinung iſt ſie die weiteſtverbreitete Grundlage der Religion
und beherrſcht namentlich den Kirchenglauben der Kultur-Völker.
Thatſächlich iſt dies jedoch nicht der Fall; denn der angebliche
Monotheismus erweiſt ſich bei näherer Betrachtung meiſtens
als eine der vorher angeführten Formen des Theismus, indem
neben dem oberſten „Hauptgotte“ noch einer oder mehrere Neben-
götter angeführt werden. Auch ſind die meiſten Religionen, welche
einen rein monotheistiſchen Ausgangspunkt hatten, im Laufe der
Zeit mehr oder minder polytheiſtiſch geworden. Allerdings be-
hauptet die moderne Statiſtik, daß unter den 1500 Millionen
Menſchen, welche unſere Erde bevölkern, die große Mehrzahl
Monotheiſten ſeien; angeblich ſollen davon ungefähr
600 Millionen Brahma-Buddhiſten ſein, 500 Millionen (ſo-
genannte!) Chriſten, 200 Millionen Heiden (verſchiedenſter Sorte),
180 Millionen Mohammedaner, 10 Millionen Israeliten und
10 Millionen ganz religionslos. Allein die große Mehrzahl der
angeblichen Monotheiſten hat ganz unklare Gottes-Vorſtellungen
oder glaubt neben dem einen Hauptgott auch noch an viele
Nebengötter, als da ſind: Engel, Teufel, Dämonen u. ſ. w.
Die verſchiedenen Formen, in denen ſich der Monotheismus
polyphyletiſch
entwickelt hat, können wir in zwei Haupt-
gruppen bringen: naturaliſtiſche und anthropiſtiſche Eingötterei.

Naturaliſtiſcher Monotheismus. Dieſe alte Form der
Religion erblickt die Verkörperung Gottes in einer erhabenen,
Alles beherrſchenden Natur-Erſcheinung. Als ſolche imponirte
ſchon vor vielen Jahrtauſenden den Menſchen vor Allem die
Sonne, die leuchtende und erwärmende Gottheit, von deren
Einfluß ſichtlich alles organiſche Leben unmittelbar abhängig iſt.
Der Sonnen-Kultus (Solarismus oder Hekiotheismus) er-

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[324/0340] Eingötterei (Monotheismus). XV. Monotheismus (Eingötterei). Die Lehre von der Einheit Gottes kann in vieler Beziehung als die einfachste und natür- lichſte Form der Gottes-Verehrung gelten; nach der herrſchenden Meinung iſt ſie die weiteſtverbreitete Grundlage der Religion und beherrſcht namentlich den Kirchenglauben der Kultur-Völker. Thatſächlich iſt dies jedoch nicht der Fall; denn der angebliche Monotheismus erweiſt ſich bei näherer Betrachtung meiſtens als eine der vorher angeführten Formen des Theismus, indem neben dem oberſten „Hauptgotte“ noch einer oder mehrere Neben- götter angeführt werden. Auch ſind die meiſten Religionen, welche einen rein monotheistiſchen Ausgangspunkt hatten, im Laufe der Zeit mehr oder minder polytheiſtiſch geworden. Allerdings be- hauptet die moderne Statiſtik, daß unter den 1500 Millionen Menſchen, welche unſere Erde bevölkern, die große Mehrzahl Monotheiſten ſeien; angeblich ſollen davon ungefähr 600 Millionen Brahma-Buddhiſten ſein, 500 Millionen (ſo- genannte!) Chriſten, 200 Millionen Heiden (verſchiedenſter Sorte), 180 Millionen Mohammedaner, 10 Millionen Israeliten und 10 Millionen ganz religionslos. Allein die große Mehrzahl der angeblichen Monotheiſten hat ganz unklare Gottes-Vorſtellungen oder glaubt neben dem einen Hauptgott auch noch an viele Nebengötter, als da ſind: Engel, Teufel, Dämonen u. ſ. w. Die verſchiedenen Formen, in denen ſich der Monotheismus polyphyletiſch entwickelt hat, können wir in zwei Haupt- gruppen bringen: naturaliſtiſche und anthropiſtiſche Eingötterei. Naturaliſtiſcher Monotheismus. Dieſe alte Form der Religion erblickt die Verkörperung Gottes in einer erhabenen, Alles beherrſchenden Natur-Erſcheinung. Als ſolche imponirte ſchon vor vielen Jahrtauſenden den Menſchen vor Allem die Sonne, die leuchtende und erwärmende Gottheit, von deren Einfluß ſichtlich alles organiſche Leben unmittelbar abhängig iſt. Der Sonnen-Kultus (Solarismus oder Hekiotheismus) er-

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/340>, abgerufen am 22.11.2024.