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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Reformation und Wissenschaft. XVII.
Erdreich". Für die großen politischen Umwälzungen seiner Zeit,
besonders die großartige und vollberechtigte Bauernbewegung,
hatte er kein Verständniß. Schlimmer noch war der fanatische
Reformator Calvin in Genf, welcher (1553) den geistreichen
spanischen Arzt Serveto lebendig verbrennen ließ, weil er den
unsinnigen Glauben an die Dreieinigkeit bekämpfte. Ueberhaupt
traten die fanatischen "Rechtgläubigen" der reformirten Kirche
leider nur zu oft in die blutbefleckten Fußstapfen ihrer papistischen
Todfeinde, wie sie es auch heute noch thun. Leider folgten auch
ungeheure Greuelthaten der Reformation auf dem Fuße: die
Bartholomäus-Nacht und die Hugenotten-Verfolgung in Frank-
reich, blutige Ketzer-Jagden in Italien, lange Bürgerkriege in
England, der Dreißigjährige Krieg in Deutschland. Aber trotz
alledem bleibt dem sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert
der Ruhm, dem denkenden Menschengeiste zuerst wieder freie
Bahn geschaffen und die Vernunft von dem erstickenden Drucke
der papistischen Herrschaft befreit zu haben. Erst dadurch wurde
die mächtige Entfaltung verschiedener Richtungen der kritischen
Philosophie und neuer Bahnen der Naturforschung möglich,
welche dann dem folgenden achtzehnten Jahrhundert den Ehren-
titel des "Jahrhunderts der Aufklärung" erwarb.

IV. Das Scheinchristenthum des neunzehnten Jahr-
hunderts.
Als vierten und letzten Hauptabschnitt in der Ge-
schichte des Christenthums stellen wir unser 19. Jahrhundert
seinen Vorgängern gegenüber. Wenn in diesen letzteren bereits
die "Aufklärung" nach allen Richtungen hin die kritische
Philosophie gefördert und wenn das Aufblühen der Natur-
wissenschaften derselben die stärksten empirischen Waffen in die
Hände gegeben hatte, so erscheint uns doch der Fortschritt nach
beiden Richtungen hin in unserem 19. Jahrhundert ganz ge-
waltig; es beginnt damit wiederum eine ganz neue Periode in
der Geschichte des Menschengeistes, charakterisirt durch die Ent-

Reformation und Wiſſenſchaft. XVII.
Erdreich“. Für die großen politiſchen Umwälzungen ſeiner Zeit,
beſonders die großartige und vollberechtigte Bauernbewegung,
hatte er kein Verſtändniß. Schlimmer noch war der fanatiſche
Reformator Calvin in Genf, welcher (1553) den geiſtreichen
ſpaniſchen Arzt Serveto lebendig verbrennen ließ, weil er den
unſinnigen Glauben an die Dreieinigkeit bekämpfte. Ueberhaupt
traten die fanatiſchen „Rechtgläubigen“ der reformirten Kirche
leider nur zu oft in die blutbefleckten Fußſtapfen ihrer papiſtiſchen
Todfeinde, wie ſie es auch heute noch thun. Leider folgten auch
ungeheure Greuelthaten der Reformation auf dem Fuße: die
Bartholomäus-Nacht und die Hugenotten-Verfolgung in Frank-
reich, blutige Ketzer-Jagden in Italien, lange Bürgerkriege in
England, der Dreißigjährige Krieg in Deutſchland. Aber trotz
alledem bleibt dem ſechzehnten und ſiebzehnten Jahrhundert
der Ruhm, dem denkenden Menſchengeiſte zuerſt wieder freie
Bahn geſchaffen und die Vernunft von dem erſtickenden Drucke
der papiſtiſchen Herrſchaft befreit zu haben. Erſt dadurch wurde
die mächtige Entfaltung verſchiedener Richtungen der kritiſchen
Philoſophie und neuer Bahnen der Naturforſchung möglich,
welche dann dem folgenden achtzehnten Jahrhundert den Ehren-
titel des „Jahrhunderts der Aufklärung“ erwarb.

IV. Das Scheinchriſtenthum des neunzehnten Jahr-
hunderts.
Als vierten und letzten Hauptabſchnitt in der Ge-
ſchichte des Chriſtenthums ſtellen wir unſer 19. Jahrhundert
ſeinen Vorgängern gegenüber. Wenn in dieſen letzteren bereits
die „Aufklärung“ nach allen Richtungen hin die kritiſche
Philoſophie gefördert und wenn das Aufblühen der Natur-
wiſſenſchaften derſelben die ſtärkſten empiriſchen Waffen in die
Hände gegeben hatte, ſo erſcheint uns doch der Fortſchritt nach
beiden Richtungen hin in unſerem 19. Jahrhundert ganz ge-
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[370/0386] Reformation und Wiſſenſchaft. XVII. Erdreich“. Für die großen politiſchen Umwälzungen ſeiner Zeit, beſonders die großartige und vollberechtigte Bauernbewegung, hatte er kein Verſtändniß. Schlimmer noch war der fanatiſche Reformator Calvin in Genf, welcher (1553) den geiſtreichen ſpaniſchen Arzt Serveto lebendig verbrennen ließ, weil er den unſinnigen Glauben an die Dreieinigkeit bekämpfte. Ueberhaupt traten die fanatiſchen „Rechtgläubigen“ der reformirten Kirche leider nur zu oft in die blutbefleckten Fußſtapfen ihrer papiſtiſchen Todfeinde, wie ſie es auch heute noch thun. Leider folgten auch ungeheure Greuelthaten der Reformation auf dem Fuße: die Bartholomäus-Nacht und die Hugenotten-Verfolgung in Frank- reich, blutige Ketzer-Jagden in Italien, lange Bürgerkriege in England, der Dreißigjährige Krieg in Deutſchland. Aber trotz alledem bleibt dem ſechzehnten und ſiebzehnten Jahrhundert der Ruhm, dem denkenden Menſchengeiſte zuerſt wieder freie Bahn geſchaffen und die Vernunft von dem erſtickenden Drucke der papiſtiſchen Herrſchaft befreit zu haben. Erſt dadurch wurde die mächtige Entfaltung verſchiedener Richtungen der kritiſchen Philoſophie und neuer Bahnen der Naturforſchung möglich, welche dann dem folgenden achtzehnten Jahrhundert den Ehren- titel des „Jahrhunderts der Aufklärung“ erwarb. IV. Das Scheinchriſtenthum des neunzehnten Jahr- hunderts. Als vierten und letzten Hauptabſchnitt in der Ge- ſchichte des Chriſtenthums ſtellen wir unſer 19. Jahrhundert ſeinen Vorgängern gegenüber. Wenn in dieſen letzteren bereits die „Aufklärung“ nach allen Richtungen hin die kritiſche Philoſophie gefördert und wenn das Aufblühen der Natur- wiſſenſchaften derſelben die ſtärkſten empiriſchen Waffen in die Hände gegeben hatte, ſo erſcheint uns doch der Fortſchritt nach beiden Richtungen hin in unſerem 19. Jahrhundert ganz ge- waltig; es beginnt damit wiederum eine ganz neue Periode in der Geſchichte des Menſchengeiſtes, charakteriſirt durch die Ent-

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/386>, abgerufen am 28.11.2024.