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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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XVII. Encyklika und Syllabus.
schaft zu retten und zu befestigen suchte, ist für uns am
interessantesten die Verkündigung der Encyklika und des
Syllabus im Dezember 1864; denn in diesen denkwürdigen
Aktenstücken wird der Vernunft und Wissenschaft überhaupt jede
selbständige Thätigkeit abgesprochen und ihre absolute Unter-
werfung unter den "alleinseligmachenden Glauben", d. h. unter
die Dekrete des "unfehlbaren Papstes", gefordert. Die unge-
heure Erregung, welche diese maßlose Frechheit in allen ge-
bildeten und unabhängig denkenden Kreisen hervorrief, entsprach
dem ungeheuerlichen Inhalte der Encyklika; eine vortreffliche
Erörterung ihrer kulturellen und politischen Bedeutung hat u. A.
Draper in seiner Geschichte der Konflikte zwischen Religion
und Wissenschaft gegeben (1875). 16

Unbefleckte Empfängniß der Jungfrau Maria. Weniger
einschneidend und bedeutungsvoll als die Encyklika und als das
Dogma der Infallibilität des Papstes erscheint vielleicht das
Dogma von der unbefleckten Empfängniß. Indessen legt nicht
nur die römische Hierarchie auf diesen Glaubenssatz das höchste
Gewicht, sondern auch ein Theil der orthodoxen Protestanten (z. B.
die Evangelische Allianz). Der sogenannte "Immakulat-Eid",
d. h. die eidliche Versicherung des Glaubens an die unbefleckte
Empfängniß Mariä, gilt noch heute Millionen von Christen als
heilige Pflicht. Viele Gläubige verbinden damit einen doppelten
Begriff; sie behaupten, daß die Mutter der Jungfrau Maria
ebenso durch den "Heiligen Geist" befruchtet worden sei wie
diese selbst. Demnach würde dieser seltsame Gott sowohl zur
Mutter als zur Tochter in den intimsten Beziehungen gestanden
haben; er müßte mithin sein eigener Schwiegervater sein (Saladin).
Die vergleichende und kritische Theologie hat neuerdings nach-
gewiesen, daß auch dieser Mythus, gleich den meisten anderen
Legenden der christlichen Mythologie, keineswegs originell, sondern
aus älteren Religionen, besonders dem Buddhismus, über-

XVII. Encyklika und Syllabus.
ſchaft zu retten und zu befeſtigen ſuchte, iſt für uns am
intereſſanteſten die Verkündigung der Encyklika und des
Syllabus im Dezember 1864; denn in dieſen denkwürdigen
Aktenſtücken wird der Vernunft und Wiſſenſchaft überhaupt jede
ſelbſtändige Thätigkeit abgeſprochen und ihre abſolute Unter-
werfung unter den „alleinſeligmachenden Glauben“, d. h. unter
die Dekrete des „unfehlbaren Papſtes“, gefordert. Die unge-
heure Erregung, welche dieſe maßloſe Frechheit in allen ge-
bildeten und unabhängig denkenden Kreiſen hervorrief, entſprach
dem ungeheuerlichen Inhalte der Encyklika; eine vortreffliche
Erörterung ihrer kulturellen und politiſchen Bedeutung hat u. A.
Draper in ſeiner Geſchichte der Konflikte zwiſchen Religion
und Wiſſenſchaft gegeben (1875). 16

Unbefleckte Empfängniß der Jungfrau Maria. Weniger
einſchneidend und bedeutungsvoll als die Encyklika und als das
Dogma der Infallibilität des Papſtes erſcheint vielleicht das
Dogma von der unbefleckten Empfängniß. Indeſſen legt nicht
nur die römiſche Hierarchie auf dieſen Glaubensſatz das höchſte
Gewicht, ſondern auch ein Theil der orthodoxen Proteſtanten (z. B.
die Evangeliſche Allianz). Der ſogenannte „Immakulat-Eid“,
d. h. die eidliche Verſicherung des Glaubens an die unbefleckte
Empfängniß Mariä, gilt noch heute Millionen von Chriſten als
heilige Pflicht. Viele Gläubige verbinden damit einen doppelten
Begriff; ſie behaupten, daß die Mutter der Jungfrau Maria
ebenſo durch den „Heiligen Geiſt“ befruchtet worden ſei wie
dieſe ſelbſt. Demnach würde dieſer ſeltſame Gott ſowohl zur
Mutter als zur Tochter in den intimſten Beziehungen geſtanden
haben; er müßte mithin ſein eigener Schwiegervater ſein (Saladin).
Die vergleichende und kritiſche Theologie hat neuerdings nach-
gewieſen, daß auch dieſer Mythus, gleich den meiſten anderen
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[375/0391] XVII. Encyklika und Syllabus. ſchaft zu retten und zu befeſtigen ſuchte, iſt für uns am intereſſanteſten die Verkündigung der Encyklika und des Syllabus im Dezember 1864; denn in dieſen denkwürdigen Aktenſtücken wird der Vernunft und Wiſſenſchaft überhaupt jede ſelbſtändige Thätigkeit abgeſprochen und ihre abſolute Unter- werfung unter den „alleinſeligmachenden Glauben“, d. h. unter die Dekrete des „unfehlbaren Papſtes“, gefordert. Die unge- heure Erregung, welche dieſe maßloſe Frechheit in allen ge- bildeten und unabhängig denkenden Kreiſen hervorrief, entſprach dem ungeheuerlichen Inhalte der Encyklika; eine vortreffliche Erörterung ihrer kulturellen und politiſchen Bedeutung hat u. A. Draper in ſeiner Geſchichte der Konflikte zwiſchen Religion und Wiſſenſchaft gegeben (1875). ¹⁶ Unbefleckte Empfängniß der Jungfrau Maria. Weniger einſchneidend und bedeutungsvoll als die Encyklika und als das Dogma der Infallibilität des Papſtes erſcheint vielleicht das Dogma von der unbefleckten Empfängniß. Indeſſen legt nicht nur die römiſche Hierarchie auf dieſen Glaubensſatz das höchſte Gewicht, ſondern auch ein Theil der orthodoxen Proteſtanten (z. B. die Evangeliſche Allianz). Der ſogenannte „Immakulat-Eid“, d. h. die eidliche Verſicherung des Glaubens an die unbefleckte Empfängniß Mariä, gilt noch heute Millionen von Chriſten als heilige Pflicht. Viele Gläubige verbinden damit einen doppelten Begriff; ſie behaupten, daß die Mutter der Jungfrau Maria ebenſo durch den „Heiligen Geiſt“ befruchtet worden ſei wie dieſe ſelbſt. Demnach würde dieſer ſeltſame Gott ſowohl zur Mutter als zur Tochter in den intimſten Beziehungen geſtanden haben; er müßte mithin ſein eigener Schwiegervater ſein (Saladin). Die vergleichende und kritiſche Theologie hat neuerdings nach- gewieſen, daß auch dieſer Mythus, gleich den meiſten anderen Legenden der chriſtlichen Mythologie, keineswegs originell, ſondern aus älteren Religionen, beſonders dem Buddhismus, über-

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/391>, abgerufen am 28.11.2024.