Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite
XVIII. Schönheiten der Natur.

Aber nicht nur für diese ästhetische Betrachtung des Kleinen
und Kleinsten, sondern auch für diejenige des Großen und
Größten in der Natur hat uns erst unser 19. Jahrhundert die
Augen geöffnet. Noch im Beginne desselben war die Ansicht
herrschend, daß die Hochgebirgs-Natur zwar großartig, aber ab-
schreckend, das Meer zwar gewaltig, aber furchtbar sei. Jetzt, am
Ende desselben sind die meisten Gebildeten -- und besonders die
Bewohner der Großstädte -- glücklich, wenn sie jährlich auf ein paar
Wochen die Herrlichkeit der Alpen und die Krystallpracht der
Gletscherwelt genießen können, oder wenn sie sich an der Majestät des
blauen Meeres, an den reizenden Landschaftsbildern seiner Küsten
erfreuen können. Alle diese Quellen des edelsten Naturgenusses
sind uns erst neuerdings in ihrer ganzen Herrlichkeit offenbar
und verständlich geworden, und die erstaunlich gesteigerte Leichtig-
keit und Schnelligkeit des Verkehrs hat selbst den Unbemittelteren
die Gelegenheit zu ihrer Kenntniß verschafft. Alle diese Fort-
schritte im ästhetischen Naturgenusse -- und damit zugleich im
wissenschaftlichen Naturverständniß -- bedeuten ebenso viele Fort-
schritte in der höheren menschlichen Geistesbildung und damit
zugleich in unserer monistischen Religion.

Landschaftsmalerei und Illustrations-Werke. Der
Gegensatz, in welchem unser naturalistisches Jahrhundert zu
den vorhergehenden anthropistischen steht, prägt sich be-
sonders in der verschiedenen Werthschätzung und Verbreitung von
Illustrationen der mannigfaltigsten Natur-Objekte aus. Es hat
sich in unserer Zeit ein lebhaftes Interesse für bildliche Dar-
stellung derselben entwickelt, das früheren Zeiten unbekannt war;
dasselbe wird unterstützt durch die erstaunlichen Fortschritte der
Technik und des Verkehrs, welche eine allgemeine Verbreitung
derselben in weitesten Kreisen gestatten. Zahlreiche illustrirte
Zeitschriften verbreiten mit der allgemeinen Bildung zugleich den
Sinn für die unendliche Schönheit der Natur in allen Gebieten.

XVIII. Schönheiten der Natur.

Aber nicht nur für dieſe äſthetiſche Betrachtung des Kleinen
und Kleinſten, ſondern auch für diejenige des Großen und
Größten in der Natur hat uns erſt unſer 19. Jahrhundert die
Augen geöffnet. Noch im Beginne desſelben war die Anſicht
herrſchend, daß die Hochgebirgs-Natur zwar großartig, aber ab-
ſchreckend, das Meer zwar gewaltig, aber furchtbar ſei. Jetzt, am
Ende desſelben ſind die meiſten Gebildeten — und beſonders die
Bewohner der Großſtädte — glücklich, wenn ſie jährlich auf ein paar
Wochen die Herrlichkeit der Alpen und die Kryſtallpracht der
Gletſcherwelt genießen können, oder wenn ſie ſich an der Majeſtät des
blauen Meeres, an den reizenden Landſchaftsbildern ſeiner Küſten
erfreuen können. Alle dieſe Quellen des edelſten Naturgenuſſes
ſind uns erſt neuerdings in ihrer ganzen Herrlichkeit offenbar
und verſtändlich geworden, und die erſtaunlich geſteigerte Leichtig-
keit und Schnelligkeit des Verkehrs hat ſelbſt den Unbemittelteren
die Gelegenheit zu ihrer Kenntniß verſchafft. Alle dieſe Fort-
ſchritte im äſthetiſchen Naturgenuſſe — und damit zugleich im
wiſſenſchaftlichen Naturverſtändniß — bedeuten ebenſo viele Fort-
ſchritte in der höheren menſchlichen Geiſtesbildung und damit
zugleich in unſerer moniſtiſchen Religion.

Landſchaftsmalerei und Illuſtrations-Werke. Der
Gegenſatz, in welchem unſer naturaliſtiſches Jahrhundert zu
den vorhergehenden anthropiſtiſchen ſteht, prägt ſich be-
ſonders in der verſchiedenen Werthſchätzung und Verbreitung von
Illuſtrationen der mannigfaltigſten Natur-Objekte aus. Es hat
ſich in unſerer Zeit ein lebhaftes Intereſſe für bildliche Dar-
ſtellung derſelben entwickelt, das früheren Zeiten unbekannt war;
dasſelbe wird unterſtützt durch die erſtaunlichen Fortſchritte der
Technik und des Verkehrs, welche eine allgemeine Verbreitung
derſelben in weiteſten Kreiſen geſtatten. Zahlreiche illuſtrirte
Zeitſchriften verbreiten mit der allgemeinen Bildung zugleich den
Sinn für die unendliche Schönheit der Natur in allen Gebieten.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0411" n="395"/>
          <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">XVIII.</hi> Schönheiten der Natur.</fw><lb/>
          <p>Aber nicht nur für die&#x017F;e ä&#x017F;theti&#x017F;che Betrachtung des Kleinen<lb/>
und Klein&#x017F;ten, &#x017F;ondern auch für diejenige des Großen und<lb/>
Größten in der Natur hat uns er&#x017F;t un&#x017F;er 19. Jahrhundert die<lb/>
Augen geöffnet. Noch im Beginne des&#x017F;elben war die An&#x017F;icht<lb/>
herr&#x017F;chend, daß die Hochgebirgs-Natur zwar großartig, aber ab-<lb/>
&#x017F;chreckend, das Meer zwar gewaltig, aber furchtbar &#x017F;ei. Jetzt, am<lb/>
Ende des&#x017F;elben &#x017F;ind die mei&#x017F;ten Gebildeten &#x2014; und be&#x017F;onders die<lb/>
Bewohner der Groß&#x017F;tädte &#x2014; glücklich, wenn &#x017F;ie jährlich auf ein paar<lb/>
Wochen die Herrlichkeit der Alpen und die Kry&#x017F;tallpracht der<lb/>
Glet&#x017F;cherwelt genießen können, oder wenn &#x017F;ie &#x017F;ich an der Maje&#x017F;tät des<lb/>
blauen Meeres, an den reizenden Land&#x017F;chaftsbildern &#x017F;einer Kü&#x017F;ten<lb/>
erfreuen können. Alle die&#x017F;e Quellen des edel&#x017F;ten Naturgenu&#x017F;&#x017F;es<lb/>
&#x017F;ind uns er&#x017F;t neuerdings in ihrer ganzen Herrlichkeit offenbar<lb/>
und ver&#x017F;tändlich geworden, und die er&#x017F;taunlich ge&#x017F;teigerte Leichtig-<lb/>
keit und Schnelligkeit des Verkehrs hat &#x017F;elb&#x017F;t den Unbemittelteren<lb/>
die Gelegenheit zu ihrer Kenntniß ver&#x017F;chafft. Alle die&#x017F;e Fort-<lb/>
&#x017F;chritte im ä&#x017F;theti&#x017F;chen Naturgenu&#x017F;&#x017F;e &#x2014; und damit zugleich im<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Naturver&#x017F;tändniß &#x2014; bedeuten eben&#x017F;o viele Fort-<lb/>
&#x017F;chritte in der höheren men&#x017F;chlichen Gei&#x017F;tesbildung und damit<lb/>
zugleich in un&#x017F;erer moni&#x017F;ti&#x017F;chen Religion.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#b">Land&#x017F;chaftsmalerei und Illu&#x017F;trations-Werke.</hi> Der<lb/>
Gegen&#x017F;atz, in welchem un&#x017F;er <hi rendition="#g">naturali&#x017F;ti&#x017F;ches</hi> Jahrhundert zu<lb/>
den vorhergehenden <hi rendition="#g">anthropi&#x017F;ti&#x017F;chen</hi> &#x017F;teht, prägt &#x017F;ich be-<lb/>
&#x017F;onders in der ver&#x017F;chiedenen Werth&#x017F;chätzung und Verbreitung von<lb/>
Illu&#x017F;trationen der mannigfaltig&#x017F;ten Natur-Objekte aus. Es hat<lb/>
&#x017F;ich in un&#x017F;erer Zeit ein lebhaftes Intere&#x017F;&#x017F;e für bildliche Dar-<lb/>
&#x017F;tellung der&#x017F;elben entwickelt, das früheren Zeiten unbekannt war;<lb/>
das&#x017F;elbe wird unter&#x017F;tützt durch die er&#x017F;taunlichen Fort&#x017F;chritte der<lb/>
Technik und des Verkehrs, welche eine allgemeine Verbreitung<lb/>
der&#x017F;elben in weite&#x017F;ten Krei&#x017F;en ge&#x017F;tatten. Zahlreiche illu&#x017F;trirte<lb/>
Zeit&#x017F;chriften verbreiten mit der allgemeinen Bildung zugleich den<lb/>
Sinn für die unendliche Schönheit der Natur in allen Gebieten.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[395/0411] XVIII. Schönheiten der Natur. Aber nicht nur für dieſe äſthetiſche Betrachtung des Kleinen und Kleinſten, ſondern auch für diejenige des Großen und Größten in der Natur hat uns erſt unſer 19. Jahrhundert die Augen geöffnet. Noch im Beginne desſelben war die Anſicht herrſchend, daß die Hochgebirgs-Natur zwar großartig, aber ab- ſchreckend, das Meer zwar gewaltig, aber furchtbar ſei. Jetzt, am Ende desſelben ſind die meiſten Gebildeten — und beſonders die Bewohner der Großſtädte — glücklich, wenn ſie jährlich auf ein paar Wochen die Herrlichkeit der Alpen und die Kryſtallpracht der Gletſcherwelt genießen können, oder wenn ſie ſich an der Majeſtät des blauen Meeres, an den reizenden Landſchaftsbildern ſeiner Küſten erfreuen können. Alle dieſe Quellen des edelſten Naturgenuſſes ſind uns erſt neuerdings in ihrer ganzen Herrlichkeit offenbar und verſtändlich geworden, und die erſtaunlich geſteigerte Leichtig- keit und Schnelligkeit des Verkehrs hat ſelbſt den Unbemittelteren die Gelegenheit zu ihrer Kenntniß verſchafft. Alle dieſe Fort- ſchritte im äſthetiſchen Naturgenuſſe — und damit zugleich im wiſſenſchaftlichen Naturverſtändniß — bedeuten ebenſo viele Fort- ſchritte in der höheren menſchlichen Geiſtesbildung und damit zugleich in unſerer moniſtiſchen Religion. Landſchaftsmalerei und Illuſtrations-Werke. Der Gegenſatz, in welchem unſer naturaliſtiſches Jahrhundert zu den vorhergehenden anthropiſtiſchen ſteht, prägt ſich be- ſonders in der verſchiedenen Werthſchätzung und Verbreitung von Illuſtrationen der mannigfaltigſten Natur-Objekte aus. Es hat ſich in unſerer Zeit ein lebhaftes Intereſſe für bildliche Dar- ſtellung derſelben entwickelt, das früheren Zeiten unbekannt war; dasſelbe wird unterſtützt durch die erſtaunlichen Fortſchritte der Technik und des Verkehrs, welche eine allgemeine Verbreitung derſelben in weiteſten Kreiſen geſtatten. Zahlreiche illuſtrirte Zeitſchriften verbreiten mit der allgemeinen Bildung zugleich den Sinn für die unendliche Schönheit der Natur in allen Gebieten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/411
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/411>, abgerufen am 26.11.2024.