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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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XX. Fortschritte der Geologie.
Cuvier*). Die Paläontologie, welche der Letztere durch
sein Werk über die fossilen Knochen (1812) begründet hatte,
wurde nun bald zur wichtigsten Hilfswissenschaft der Geologie,
und schon um die Mitte unseres Jahrhunderts hatte sich dieselbe
so weit entwickelt, daß die Haupt-Perioden in der Geschichte der
Erde und ihrer Bewohner festgelegt waren. Die dünne Rinden-
schicht der Erde war nun mit Sicherheit als die Erstarrungs-
Kruste des feurig-flüssigen Planeten erkannt, dessen langsame
Abkühlung und Zusammenziehung sich ununterbrochen fortsetzt.
Die Faltung der erstarrenden Rinde, die "Reaktion des feurig-
flüssigen Erdinnern gegen die erkaltete Oberfläche", und vor
Allem die ununterbrochene geologische Thätigkeit des Wassers
sind die natürlichen wirkenden Ursachen, welche tagtäglich an der
langsamen Umbildung der Erdrinde und ihrer Gebirge arbeiten.

Drei überaus wichtige Ergebnisse von allgemeiner Bedeutung
verdanken wir den glänzenden Fortschritten der neueren Geologie.
Erstens wurden damit aus der Erdgeschichte alle Wunder aus-
geschlossen, alle übernatürlichen Ursachen beim Aufbau der Ge-
birge und der Umbildung der Kontinente. Zweitens wurde
unser Begriff von der Länge der ungeheuren Zeiträume,
die seit deren Bildung verflossen sind, erstaunlich erweitert. Wir
wissen jetzt, daß die ungeheuren Gebirgsmassen der paläozoischen,
mesozoischen und cänozoischen Formationen nicht viele Jahr-
tausende, sondern viele Jahrmillionen (weit über hundert!) zu
ihrem Aufbau brauchten. Drittens wissen wir jetzt, daß alle
die zahlreichen, in diesen Formationen eingeschlossenen Ver-
steinerungen
nicht wunderbare "Naturspiele" sind, wie man
noch vor 150 Jahren glaubte, sondern die versteinerten Ueberreste



*) Vergl. hierüber meine Natürliche Schöpfungsgeschichte, Neunte Auf-
lage 1898; den 3., 6., 15. und 16. Vortrag.
Haeckel, Welträthsel. 28

XX. Fortſchritte der Geologie.
Cuvier*). Die Paläontologie, welche der Letztere durch
ſein Werk über die foſſilen Knochen (1812) begründet hatte,
wurde nun bald zur wichtigſten Hilfswiſſenſchaft der Geologie,
und ſchon um die Mitte unſeres Jahrhunderts hatte ſich dieſelbe
ſo weit entwickelt, daß die Haupt-Perioden in der Geſchichte der
Erde und ihrer Bewohner feſtgelegt waren. Die dünne Rinden-
ſchicht der Erde war nun mit Sicherheit als die Erſtarrungs-
Kruſte des feurig-flüſſigen Planeten erkannt, deſſen langſame
Abkühlung und Zuſammenziehung ſich ununterbrochen fortſetzt.
Die Faltung der erſtarrenden Rinde, die „Reaktion des feurig-
flüſſigen Erdinnern gegen die erkaltete Oberfläche“, und vor
Allem die ununterbrochene geologiſche Thätigkeit des Waſſers
ſind die natürlichen wirkenden Urſachen, welche tagtäglich an der
langſamen Umbildung der Erdrinde und ihrer Gebirge arbeiten.

Drei überaus wichtige Ergebniſſe von allgemeiner Bedeutung
verdanken wir den glänzenden Fortſchritten der neueren Geologie.
Erſtens wurden damit aus der Erdgeſchichte alle Wunder aus-
geſchloſſen, alle übernatürlichen Urſachen beim Aufbau der Ge-
birge und der Umbildung der Kontinente. Zweitens wurde
unſer Begriff von der Länge der ungeheuren Zeiträume,
die ſeit deren Bildung verfloſſen ſind, erſtaunlich erweitert. Wir
wiſſen jetzt, daß die ungeheuren Gebirgsmaſſen der paläozoiſchen,
meſozoiſchen und cänozoiſchen Formationen nicht viele Jahr-
tauſende, ſondern viele Jahrmillionen (weit über hundert!) zu
ihrem Aufbau brauchten. Drittens wiſſen wir jetzt, daß alle
die zahlreichen, in dieſen Formationen eingeſchloſſenen Ver-
ſteinerungen
nicht wunderbare „Naturſpiele“ ſind, wie man
noch vor 150 Jahren glaubte, ſondern die verſteinerten Ueberreſte



*) Vergl. hierüber meine Natürliche Schöpfungsgeſchichte, Neunte Auf-
lage 1898; den 3., 6., 15. und 16. Vortrag.
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[433/0449] XX. Fortſchritte der Geologie. Cuvier *). Die Paläontologie, welche der Letztere durch ſein Werk über die foſſilen Knochen (1812) begründet hatte, wurde nun bald zur wichtigſten Hilfswiſſenſchaft der Geologie, und ſchon um die Mitte unſeres Jahrhunderts hatte ſich dieſelbe ſo weit entwickelt, daß die Haupt-Perioden in der Geſchichte der Erde und ihrer Bewohner feſtgelegt waren. Die dünne Rinden- ſchicht der Erde war nun mit Sicherheit als die Erſtarrungs- Kruſte des feurig-flüſſigen Planeten erkannt, deſſen langſame Abkühlung und Zuſammenziehung ſich ununterbrochen fortſetzt. Die Faltung der erſtarrenden Rinde, die „Reaktion des feurig- flüſſigen Erdinnern gegen die erkaltete Oberfläche“, und vor Allem die ununterbrochene geologiſche Thätigkeit des Waſſers ſind die natürlichen wirkenden Urſachen, welche tagtäglich an der langſamen Umbildung der Erdrinde und ihrer Gebirge arbeiten. Drei überaus wichtige Ergebniſſe von allgemeiner Bedeutung verdanken wir den glänzenden Fortſchritten der neueren Geologie. Erſtens wurden damit aus der Erdgeſchichte alle Wunder aus- geſchloſſen, alle übernatürlichen Urſachen beim Aufbau der Ge- birge und der Umbildung der Kontinente. Zweitens wurde unſer Begriff von der Länge der ungeheuren Zeiträume, die ſeit deren Bildung verfloſſen ſind, erſtaunlich erweitert. Wir wiſſen jetzt, daß die ungeheuren Gebirgsmaſſen der paläozoiſchen, meſozoiſchen und cänozoiſchen Formationen nicht viele Jahr- tauſende, ſondern viele Jahrmillionen (weit über hundert!) zu ihrem Aufbau brauchten. Drittens wiſſen wir jetzt, daß alle die zahlreichen, in dieſen Formationen eingeſchloſſenen Ver- ſteinerungen nicht wunderbare „Naturſpiele“ ſind, wie man noch vor 150 Jahren glaubte, ſondern die verſteinerten Ueberreſte *) Vergl. hierüber meine Natürliche Schöpfungsgeſchichte, Neunte Auf- lage 1898; den 3., 6., 15. und 16. Vortrag. Haeckel, Welträthſel. 28

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/449>, abgerufen am 22.11.2024.