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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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XX. Schlußbetrachtung.
reinen Kultus des "Wahren, Guten und Schönen", welcher den
Kern unserer neuen monistischen Religion bildet, finden
wir reichen Ersatz für die verlorenen anthropistischen Ideale von
"Gott, Freiheit und Unsterblichkeit".

In der vorliegenden Behandlung der Welträthsel habe ich
meinen konsequenten monistischen Standpunkt scharf betont und
den Gegensatz zu der dualistischen, heute noch herrschenden Welt-
anschauung klar hervorgehoben. Ich stütze mich dabei auf die
Zustimmung fast aller modernen Naturforscher, welche überhaupt
Neigung und Muth zum Bekenntniß einer abgerundeten philo-
sophischen Ueberzeugung besitzen. Ich möchte aber von meinen
Lesern nicht Abschied nehmen, ohne versöhnlich darauf hinzu-
weisen, daß dieser schroffe Gegensatz bei konsequentem und klarem
Denken sich bis zu einem gewissen Grade mildert, ja selbst bis
zu einer erfreulichen Harmonie gelöst werden kann. Bei völlig
folgerichtigem Denken, bei gleichmäßiger Anwendung der höchsten
Principien auf das Gesammtgebiet des Kosmos -- der
organischen und anorganischen Natur --, nähern sich die Gegen-
sätze des Theismus und Pantheismus, des Vitalismus und
Mechanismus bis zur Berührung. Aber freilich, konsequentes
Denken bleibt eine seltene Natur-Erscheinung! Die große Mehr-
zahl aller Philosophen möchte mit der rechten Hand das reine,
auf Erfahrung begründete Wissen ergreifen, kann aber gleich-
zeitig nicht den mystischen, auf Offenbarung gestützten Glauben
entbehren, den sie mit der linken Hand festhält. Charakteristisch
für diesen widerspruchsvollen Dualismus bleibt der Konflikt
zwischen der reinen und der praktischen Vernunft in der kritischen
Philosophie des höchstgestellten neueren Denkers, des großen
Immanuel Kant.

Dagegen ist immer die Zahl derjenigen Denker klein gewesen,
welche diesen Dualismus tapfer überwanden und sich dem reinen
Monismus zuwendeten. Das gilt ebensowohl für die konsequenten

XX. Schlußbetrachtung.
reinen Kultus des „Wahren, Guten und Schönen“, welcher den
Kern unſerer neuen moniſtiſchen Religion bildet, finden
wir reichen Erſatz für die verlorenen anthropiſtiſchen Ideale von
„Gott, Freiheit und Unſterblichkeit“.

In der vorliegenden Behandlung der Welträthſel habe ich
meinen konſequenten moniſtiſchen Standpunkt ſcharf betont und
den Gegenſatz zu der dualiſtiſchen, heute noch herrſchenden Welt-
anſchauung klar hervorgehoben. Ich ſtütze mich dabei auf die
Zuſtimmung faſt aller modernen Naturforſcher, welche überhaupt
Neigung und Muth zum Bekenntniß einer abgerundeten philo-
ſophiſchen Ueberzeugung beſitzen. Ich möchte aber von meinen
Leſern nicht Abſchied nehmen, ohne verſöhnlich darauf hinzu-
weiſen, daß dieſer ſchroffe Gegenſatz bei konſequentem und klarem
Denken ſich bis zu einem gewiſſen Grade mildert, ja ſelbſt bis
zu einer erfreulichen Harmonie gelöſt werden kann. Bei völlig
folgerichtigem Denken, bei gleichmäßiger Anwendung der höchſten
Principien auf das Geſammtgebiet des Kosmos — der
organiſchen und anorganiſchen Natur —, nähern ſich die Gegen-
ſätze des Theismus und Pantheismus, des Vitalismus und
Mechanismus bis zur Berührung. Aber freilich, konſequentes
Denken bleibt eine ſeltene Natur-Erſcheinung! Die große Mehr-
zahl aller Philoſophen möchte mit der rechten Hand das reine,
auf Erfahrung begründete Wiſſen ergreifen, kann aber gleich-
zeitig nicht den myſtiſchen, auf Offenbarung geſtützten Glauben
entbehren, den ſie mit der linken Hand feſthält. Charakteriſtiſch
für dieſen widerſpruchsvollen Dualismus bleibt der Konflikt
zwiſchen der reinen und der praktiſchen Vernunft in der kritiſchen
Philoſophie des höchſtgeſtellten neueren Denkers, des großen
Immanuel Kant.

Dagegen iſt immer die Zahl derjenigen Denker klein geweſen,
welche dieſen Dualismus tapfer überwanden und ſich dem reinen
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[439/0455] XX. Schlußbetrachtung. reinen Kultus des „Wahren, Guten und Schönen“, welcher den Kern unſerer neuen moniſtiſchen Religion bildet, finden wir reichen Erſatz für die verlorenen anthropiſtiſchen Ideale von „Gott, Freiheit und Unſterblichkeit“. In der vorliegenden Behandlung der Welträthſel habe ich meinen konſequenten moniſtiſchen Standpunkt ſcharf betont und den Gegenſatz zu der dualiſtiſchen, heute noch herrſchenden Welt- anſchauung klar hervorgehoben. Ich ſtütze mich dabei auf die Zuſtimmung faſt aller modernen Naturforſcher, welche überhaupt Neigung und Muth zum Bekenntniß einer abgerundeten philo- ſophiſchen Ueberzeugung beſitzen. Ich möchte aber von meinen Leſern nicht Abſchied nehmen, ohne verſöhnlich darauf hinzu- weiſen, daß dieſer ſchroffe Gegenſatz bei konſequentem und klarem Denken ſich bis zu einem gewiſſen Grade mildert, ja ſelbſt bis zu einer erfreulichen Harmonie gelöſt werden kann. Bei völlig folgerichtigem Denken, bei gleichmäßiger Anwendung der höchſten Principien auf das Geſammtgebiet des Kosmos — der organiſchen und anorganiſchen Natur —, nähern ſich die Gegen- ſätze des Theismus und Pantheismus, des Vitalismus und Mechanismus bis zur Berührung. Aber freilich, konſequentes Denken bleibt eine ſeltene Natur-Erſcheinung! Die große Mehr- zahl aller Philoſophen möchte mit der rechten Hand das reine, auf Erfahrung begründete Wiſſen ergreifen, kann aber gleich- zeitig nicht den myſtiſchen, auf Offenbarung geſtützten Glauben entbehren, den ſie mit der linken Hand feſthält. Charakteriſtiſch für dieſen widerſpruchsvollen Dualismus bleibt der Konflikt zwiſchen der reinen und der praktiſchen Vernunft in der kritiſchen Philoſophie des höchſtgeſtellten neueren Denkers, des großen Immanuel Kant. Dagegen iſt immer die Zahl derjenigen Denker klein geweſen, welche dieſen Dualismus tapfer überwanden und ſich dem reinen Monismus zuwendeten. Das gilt ebenſowohl für die konſequenten

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/455>, abgerufen am 24.11.2024.