Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

Cellular-Physiologie. III.
seinen Schüler Schwann, diesen Nachweis auf alle thierischen
Gewebe auszudehnen. Diese schwierige Aufgabe löste der Letztere
glücklich in seinen "Mikroskopischen Untersuchungen über die
Uebereinstimmung in der Structur und dem Wachsthum der
Thiere und Pflanzen" (1839). Damit war der Grundstein für
die Zellen-Theorie gelegt, deren fundamentale Bedeutung
ebenso für die Physiologie wie für die Anatomie seitdem von
Jahr zu Jahr zugenommen und sich immer allgemeiner bewährt
hat. Daß auch die Lebensthätigkeit aller Organismen auf die-
jenige ihrer Gewebetheile, der mikroskopischen Zellen, zurückgeführt
werden müsse, führten namentlich zwei andere Schüler von
Johannes Müller aus, der scharfsinnige Physiologe Ernst
Brücke
in Wien und der berühmte Histologe Albert Kölliker
in Würzburg. Der Erstere bezeichnete die Zellen richtig als "Ele-
mentar-Organismen
" und zeigte, daß sie ebenso im Körper
des Menschen wie aller anderen Thiere die einzigen actuellen,
selbständig thätigen Factoren des Lebens sind. Kölliker
erwarb sich besondere Verdienste nicht nur um die Ausbildung
der gesammten Gewebelehre, sondern auch namentlich durch den
Nachweis, daß das Ei der Thiere, sowie die daraus entstehenden
"Furchungskugeln" einfache Zellen sind.

So allgemein aber auch die hohe Bedeutung der Zellen-
Theorie für alle biologischen Aufgaben erkannt wurde, so wurde
doch die darauf gegründete Cellular-Physiologie erst in
neuester Zeit selbständig ausgebaut. Hier hat namentlich Max
Verworn
(in Jena) sich ein doppeltes Verdienst erworben.
In seinen "Psycho-physiologischen Protisten-Studien" (1889)
hat derselbe auf Grund sinnreicher experimenteller Untersuchungen
gezeigt, daß die von mir (1866) aufgestellte "Theorie der
Zellseele
"*) durch das genaue Studium der einzelligen

*) Ernst Haeckel, Zellseelen und Seelenzellen. Gesammelte populäre
Vorträge. I. Heft. 1878.

Cellular-Phyſiologie. III.
ſeinen Schüler Schwann, dieſen Nachweis auf alle thieriſchen
Gewebe auszudehnen. Dieſe ſchwierige Aufgabe löſte der Letztere
glücklich in ſeinen „Mikroſkopiſchen Unterſuchungen über die
Uebereinſtimmung in der Structur und dem Wachsthum der
Thiere und Pflanzen“ (1839). Damit war der Grundſtein für
die Zellen-Theorie gelegt, deren fundamentale Bedeutung
ebenſo für die Phyſiologie wie für die Anatomie ſeitdem von
Jahr zu Jahr zugenommen und ſich immer allgemeiner bewährt
hat. Daß auch die Lebensthätigkeit aller Organismen auf die-
jenige ihrer Gewebetheile, der mikroſkopiſchen Zellen, zurückgeführt
werden müſſe, führten namentlich zwei andere Schüler von
Johannes Müller aus, der ſcharfſinnige Phyſiologe Ernſt
Brücke
in Wien und der berühmte Hiſtologe Albert Kölliker
in Würzburg. Der Erſtere bezeichnete die Zellen richtig als „Ele-
mentar-Organismen
“ und zeigte, daß ſie ebenſo im Körper
des Menſchen wie aller anderen Thiere die einzigen actuellen,
ſelbſtändig thätigen Factoren des Lebens ſind. Kölliker
erwarb ſich beſondere Verdienſte nicht nur um die Ausbildung
der geſammten Gewebelehre, ſondern auch namentlich durch den
Nachweis, daß das Ei der Thiere, ſowie die daraus entſtehenden
„Furchungskugeln“ einfache Zellen ſind.

So allgemein aber auch die hohe Bedeutung der Zellen-
Theorie für alle biologiſchen Aufgaben erkannt wurde, ſo wurde
doch die darauf gegründete Cellular-Phyſiologie erſt in
neueſter Zeit ſelbſtändig ausgebaut. Hier hat namentlich Max
Verworn
(in Jena) ſich ein doppeltes Verdienſt erworben.
In ſeinen „Pſycho-phyſiologiſchen Protiſten-Studien“ (1889)
hat derſelbe auf Grund ſinnreicher experimenteller Unterſuchungen
gezeigt, daß die von mir (1866) aufgeſtellte „Theorie der
Zellſeele
*) durch das genaue Studium der einzelligen

*) Ernſt Haeckel, Zellſeelen und Seelenzellen. Geſammelte populäre
Vorträge. I. Heft. 1878.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0072" n="56"/><fw place="top" type="header">Cellular-Phy&#x017F;iologie. <hi rendition="#aq">III.</hi></fw><lb/>
&#x017F;einen Schüler <hi rendition="#g">Schwann,</hi> die&#x017F;en Nachweis auf alle thieri&#x017F;chen<lb/>
Gewebe auszudehnen. Die&#x017F;e &#x017F;chwierige Aufgabe lö&#x017F;te der Letztere<lb/>
glücklich in &#x017F;einen &#x201E;Mikro&#x017F;kopi&#x017F;chen Unter&#x017F;uchungen über die<lb/>
Ueberein&#x017F;timmung in der Structur und dem Wachsthum der<lb/>
Thiere und Pflanzen&#x201C; (1839). Damit war der Grund&#x017F;tein für<lb/>
die <hi rendition="#g">Zellen-Theorie</hi> gelegt, deren fundamentale Bedeutung<lb/>
eben&#x017F;o für die Phy&#x017F;iologie wie für die Anatomie &#x017F;eitdem von<lb/>
Jahr zu Jahr zugenommen und &#x017F;ich immer allgemeiner bewährt<lb/>
hat. Daß auch die Lebensthätigkeit aller Organismen auf die-<lb/>
jenige ihrer Gewebetheile, der mikro&#x017F;kopi&#x017F;chen Zellen, zurückgeführt<lb/>
werden mü&#x017F;&#x017F;e, führten namentlich zwei andere Schüler von<lb/><hi rendition="#g">Johannes Müller</hi> aus, der &#x017F;charf&#x017F;innige Phy&#x017F;iologe <hi rendition="#g">Ern&#x017F;t<lb/>
Brücke</hi> in Wien und der berühmte Hi&#x017F;tologe <hi rendition="#g">Albert Kölliker</hi><lb/>
in Würzburg. Der Er&#x017F;tere bezeichnete die Zellen richtig als &#x201E;<hi rendition="#g">Ele-<lb/>
mentar-Organismen</hi>&#x201C; und zeigte, daß &#x017F;ie eben&#x017F;o im Körper<lb/>
des Men&#x017F;chen wie aller anderen Thiere die einzigen actuellen,<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;tändig thätigen Factoren des Lebens &#x017F;ind. <hi rendition="#g">Kölliker</hi><lb/>
erwarb &#x017F;ich be&#x017F;ondere Verdien&#x017F;te nicht nur um die Ausbildung<lb/>
der ge&#x017F;ammten Gewebelehre, &#x017F;ondern auch namentlich durch den<lb/>
Nachweis, daß das Ei der Thiere, &#x017F;owie die daraus ent&#x017F;tehenden<lb/>
&#x201E;Furchungskugeln&#x201C; einfache Zellen &#x017F;ind.</p><lb/>
          <p>So allgemein aber auch die hohe Bedeutung der Zellen-<lb/>
Theorie für alle biologi&#x017F;chen Aufgaben erkannt wurde, &#x017F;o wurde<lb/>
doch die darauf gegründete <hi rendition="#g">Cellular-Phy&#x017F;iologie</hi> er&#x017F;t in<lb/>
neue&#x017F;ter Zeit &#x017F;elb&#x017F;tändig ausgebaut. Hier hat namentlich <hi rendition="#g">Max<lb/>
Verworn</hi> (in Jena) &#x017F;ich ein doppeltes Verdien&#x017F;t erworben.<lb/>
In &#x017F;einen &#x201E;P&#x017F;ycho-phy&#x017F;iologi&#x017F;chen Proti&#x017F;ten-Studien&#x201C; (1889)<lb/>
hat der&#x017F;elbe auf Grund &#x017F;innreicher experimenteller Unter&#x017F;uchungen<lb/>
gezeigt, daß die von mir (1866) aufge&#x017F;tellte &#x201E;<hi rendition="#g">Theorie der<lb/>
Zell&#x017F;eele</hi>&#x201C;<note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Ern&#x017F;t Haeckel,</hi> Zell&#x017F;eelen und Seelenzellen. Ge&#x017F;ammelte populäre<lb/>
Vorträge. <hi rendition="#aq">I.</hi> Heft. 1878.</note> durch das genaue Studium der einzelligen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0072] Cellular-Phyſiologie. III. ſeinen Schüler Schwann, dieſen Nachweis auf alle thieriſchen Gewebe auszudehnen. Dieſe ſchwierige Aufgabe löſte der Letztere glücklich in ſeinen „Mikroſkopiſchen Unterſuchungen über die Uebereinſtimmung in der Structur und dem Wachsthum der Thiere und Pflanzen“ (1839). Damit war der Grundſtein für die Zellen-Theorie gelegt, deren fundamentale Bedeutung ebenſo für die Phyſiologie wie für die Anatomie ſeitdem von Jahr zu Jahr zugenommen und ſich immer allgemeiner bewährt hat. Daß auch die Lebensthätigkeit aller Organismen auf die- jenige ihrer Gewebetheile, der mikroſkopiſchen Zellen, zurückgeführt werden müſſe, führten namentlich zwei andere Schüler von Johannes Müller aus, der ſcharfſinnige Phyſiologe Ernſt Brücke in Wien und der berühmte Hiſtologe Albert Kölliker in Würzburg. Der Erſtere bezeichnete die Zellen richtig als „Ele- mentar-Organismen“ und zeigte, daß ſie ebenſo im Körper des Menſchen wie aller anderen Thiere die einzigen actuellen, ſelbſtändig thätigen Factoren des Lebens ſind. Kölliker erwarb ſich beſondere Verdienſte nicht nur um die Ausbildung der geſammten Gewebelehre, ſondern auch namentlich durch den Nachweis, daß das Ei der Thiere, ſowie die daraus entſtehenden „Furchungskugeln“ einfache Zellen ſind. So allgemein aber auch die hohe Bedeutung der Zellen- Theorie für alle biologiſchen Aufgaben erkannt wurde, ſo wurde doch die darauf gegründete Cellular-Phyſiologie erſt in neueſter Zeit ſelbſtändig ausgebaut. Hier hat namentlich Max Verworn (in Jena) ſich ein doppeltes Verdienſt erworben. In ſeinen „Pſycho-phyſiologiſchen Protiſten-Studien“ (1889) hat derſelbe auf Grund ſinnreicher experimenteller Unterſuchungen gezeigt, daß die von mir (1866) aufgeſtellte „Theorie der Zellſeele“ *) durch das genaue Studium der einzelligen *) Ernſt Haeckel, Zellſeelen und Seelenzellen. Geſammelte populäre Vorträge. I. Heft. 1878.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/72
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/72>, abgerufen am 29.11.2024.