Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hagenauer, Arnold: Muspilli. Linz u. a., 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

Es kitzelte mich in den Fingerspitzen, als ob ich Frostbeulen gehabt hätte. Es kam so wie eine dichterische Stimmung über mich. Ich habe das nie im Rausch gehabt, aber nach allen Räuschen. Ich nahm mein Notizbuch heraus, ein blauplüschenes, abgegriffenes Büchelchen in Goldschnitt mit einem Visitenkartentäschchen und legte es vor mich hin auf die Brüstung der hölzernen Bank. Dann suchte ich in allen Rock- und Gilettaschen nach einem Bleistift.

Hier - das - nein, das war ein Cigarrenstummel.

Schlamperei!

Ich warf ihn weg.

Endlich ein ungespitzter Stumpf.

Kein Taschenmesser natürlich.

Ich spitzte ihn mit meinen langen, harten Nägeln und meinen starken, aber plombierten Zähnen, so gut es eben gieng.

Dann fieng ich zu "düchten" an:

Schenk mir Deine bleichen Lippen,
Kleines, armes, krankes Kind,
Ach, durch meines Stiefels Strippen
Weht ein kalter Wind!
Meine Hosen ausgebissen,
Und durchlöchert meine Schuh,
So ist auch mein Herz zerrissen
Und verschlampampt meine Ruh.

Es kitzelte mich in den Fingerspitzen, als ob ich Frostbeulen gehabt hätte. Es kam so wie eine dichterische Stimmung über mich. Ich habe das nie im Rausch gehabt, aber nach allen Räuschen. Ich nahm mein Notizbuch heraus, ein blauplüschenes, abgegriffenes Büchelchen in Goldschnitt mit einem Visitenkartentäschchen und legte es vor mich hin auf die Brüstung der hölzernen Bank. Dann suchte ich in allen Rock- und Gilettaschen nach einem Bleistift.

Hier – das – nein, das war ein Cigarrenstummel.

Schlamperei!

Ich warf ihn weg.

Endlich ein ungespitzter Stumpf.

Kein Taschenmesser natürlich.

Ich spitzte ihn mit meinen langen, harten Nägeln und meinen starken, aber plombierten Zähnen, so gut es eben gieng.

Dann fieng ich zu „düchten“ an:

Schenk mir Deine bleichen Lippen,
Kleines, armes, krankes Kind,
Ach, durch meines Stiefels Strippen
Weht ein kalter Wind!
Meine Hosen ausgebissen,
Und durchlöchert meine Schuh,
So ist auch mein Herz zerrissen
Und verschlampampt meine Ruh.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0127" n="129"/>
          <p>Es kitzelte mich in den Fingerspitzen, als ob ich Frostbeulen gehabt hätte. Es kam so wie eine dichterische Stimmung über mich. Ich habe das nie <hi rendition="#g">im</hi> Rausch gehabt, aber <hi rendition="#g">nach</hi> allen Räuschen. Ich nahm mein Notizbuch heraus, ein blauplüschenes, abgegriffenes Büchelchen in Goldschnitt mit einem Visitenkartentäschchen und legte es vor mich hin auf die Brüstung der hölzernen Bank. Dann suchte ich in allen Rock- und Gilettaschen nach einem Bleistift.</p>
          <p>Hier &#x2013; das &#x2013; nein, das war ein Cigarrenstummel.</p>
          <p>Schlamperei!</p>
          <p>Ich warf ihn weg.</p>
          <p>Endlich ein ungespitzter Stumpf.</p>
          <p>Kein Taschenmesser natürlich.</p>
          <p>Ich spitzte ihn mit meinen langen, harten Nägeln und meinen starken, aber plombierten Zähnen, so gut es eben gieng.</p>
          <p>Dann fieng ich zu &#x201E;düchten&#x201C; an:</p>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Schenk mir Deine bleichen Lippen,</l><lb/>
              <l>Kleines, armes, krankes Kind,</l><lb/>
              <l>Ach, durch meines Stiefels Strippen</l><lb/>
              <l>Weht ein kalter Wind!</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="2">
              <l>Meine Hosen ausgebissen,</l><lb/>
              <l>Und durchlöchert meine Schuh,</l><lb/>
              <l>So ist auch mein Herz zerrissen</l><lb/>
              <l>Und verschlampampt meine Ruh.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[129/0127] Es kitzelte mich in den Fingerspitzen, als ob ich Frostbeulen gehabt hätte. Es kam so wie eine dichterische Stimmung über mich. Ich habe das nie im Rausch gehabt, aber nach allen Räuschen. Ich nahm mein Notizbuch heraus, ein blauplüschenes, abgegriffenes Büchelchen in Goldschnitt mit einem Visitenkartentäschchen und legte es vor mich hin auf die Brüstung der hölzernen Bank. Dann suchte ich in allen Rock- und Gilettaschen nach einem Bleistift. Hier – das – nein, das war ein Cigarrenstummel. Schlamperei! Ich warf ihn weg. Endlich ein ungespitzter Stumpf. Kein Taschenmesser natürlich. Ich spitzte ihn mit meinen langen, harten Nägeln und meinen starken, aber plombierten Zähnen, so gut es eben gieng. Dann fieng ich zu „düchten“ an: Schenk mir Deine bleichen Lippen, Kleines, armes, krankes Kind, Ach, durch meines Stiefels Strippen Weht ein kalter Wind! Meine Hosen ausgebissen, Und durchlöchert meine Schuh, So ist auch mein Herz zerrissen Und verschlampampt meine Ruh.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hagenauer_muspilli_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hagenauer_muspilli_1900/127
Zitationshilfe: Hagenauer, Arnold: Muspilli. Linz u. a., 1900, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hagenauer_muspilli_1900/127>, abgerufen am 21.11.2024.