Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hagenauer, Arnold: Muspilli. Linz u. a., 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

So sehr mich Gesellschaften anwiderten, eben an diesem Tage sehnte ich mich unter die geschminkten Schatten mit ihren Marionetten, Lächeln und ihren Drahtpuppenverbeugungen, die sich Menschen nennen. Ich trat in mein Zimmer. Es war schon ganz dunkel und eisig kalt. Ich zündete die Lampe an. Ein Billet in einem Rosacouvert, das einen mir wohlbekannten Namenszug in eigenthümlich zerhackter Schrift trug, fiel in meine Hände. Rechts oben in der Ecke eine siebenzackige, protzige Krone und der Namenszug H. v. P. Eine Absage und die gewöhnlichen, lappalienhaften Entschuldigungen. Unwohlsein, Migräne, bedaure tief u. s. w. Diese gutgesinnten "Stützen der Gesellschaft" haben nicht einmal mehr den Muth, zu sagen: "Wir wollen oder wir können nicht." Die Lüge muß überall ihren officiellen Knicks machen.

Ernst hatte mir nachmittags erklärt, er werde heute abends unter allen Umständen zu Hause bleiben. Er mußte mir aber unter allen Umständen heraus. Ich war in der Einsamkeit, die mich umgab, in der psychischen Aufregung, die es mir unmöglich machte, durch geistige Arbeit meinen Gedanken eine andere Richtung zu geben, von einer qualvollen Furcht vor mir selbst, vor einem unbestimmten Etwas, überfallen worden. Aber nicht nur die Einsamkeit, auch die

So sehr mich Gesellschaften anwiderten, eben an diesem Tage sehnte ich mich unter die geschminkten Schatten mit ihren Marionetten, Lächeln und ihren Drahtpuppenverbeugungen, die sich Menschen nennen. Ich trat in mein Zimmer. Es war schon ganz dunkel und eisig kalt. Ich zündete die Lampe an. Ein Billet in einem Rosacouvert, das einen mir wohlbekannten Namenszug in eigenthümlich zerhackter Schrift trug, fiel in meine Hände. Rechts oben in der Ecke eine siebenzackige, protzige Krone und der Namenszug H. v. P. Eine Absage und die gewöhnlichen, lappalienhaften Entschuldigungen. Unwohlsein, Migräne, bedaure tief u. s. w. Diese gutgesinnten „Stützen der Gesellschaft“ haben nicht einmal mehr den Muth, zu sagen: „Wir wollen oder wir können nicht.“ Die Lüge muß überall ihren officiellen Knicks machen.

Ernst hatte mir nachmittags erklärt, er werde heute abends unter allen Umständen zu Hause bleiben. Er mußte mir aber unter allen Umständen heraus. Ich war in der Einsamkeit, die mich umgab, in der psychischen Aufregung, die es mir unmöglich machte, durch geistige Arbeit meinen Gedanken eine andere Richtung zu geben, von einer qualvollen Furcht vor mir selbst, vor einem unbestimmten Etwas, überfallen worden. Aber nicht nur die Einsamkeit, auch die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0055" n="57"/>
So sehr mich Gesellschaften anwiderten, eben an diesem Tage sehnte ich mich unter die geschminkten Schatten mit ihren Marionetten, Lächeln und ihren Drahtpuppenverbeugungen, die sich Menschen nennen. Ich trat in mein Zimmer. Es war schon ganz dunkel und eisig kalt. Ich zündete die Lampe an. Ein Billet in einem Rosacouvert, das einen mir wohlbekannten Namenszug in eigenthümlich zerhackter Schrift trug, fiel in meine Hände. Rechts oben in der Ecke eine siebenzackige, protzige Krone und der Namenszug H. v. P. Eine Absage und die gewöhnlichen, lappalienhaften Entschuldigungen. Unwohlsein, Migräne, bedaure tief u. s. w. Diese gutgesinnten &#x201E;Stützen der Gesellschaft&#x201C; haben nicht einmal mehr den Muth, zu sagen: &#x201E;Wir wollen oder wir können nicht.&#x201C; Die Lüge muß überall ihren officiellen Knicks machen.</p>
          <p>Ernst hatte mir nachmittags erklärt, er werde heute abends unter allen Umständen zu Hause bleiben. Er mußte mir aber unter allen Umständen heraus. Ich war in der Einsamkeit, die mich umgab, in der psychischen Aufregung, die es mir unmöglich machte, durch geistige Arbeit meinen Gedanken eine andere Richtung zu geben, von einer qualvollen Furcht vor mir selbst, vor einem unbestimmten Etwas, überfallen worden. Aber nicht nur die Einsamkeit, auch die
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0055] So sehr mich Gesellschaften anwiderten, eben an diesem Tage sehnte ich mich unter die geschminkten Schatten mit ihren Marionetten, Lächeln und ihren Drahtpuppenverbeugungen, die sich Menschen nennen. Ich trat in mein Zimmer. Es war schon ganz dunkel und eisig kalt. Ich zündete die Lampe an. Ein Billet in einem Rosacouvert, das einen mir wohlbekannten Namenszug in eigenthümlich zerhackter Schrift trug, fiel in meine Hände. Rechts oben in der Ecke eine siebenzackige, protzige Krone und der Namenszug H. v. P. Eine Absage und die gewöhnlichen, lappalienhaften Entschuldigungen. Unwohlsein, Migräne, bedaure tief u. s. w. Diese gutgesinnten „Stützen der Gesellschaft“ haben nicht einmal mehr den Muth, zu sagen: „Wir wollen oder wir können nicht.“ Die Lüge muß überall ihren officiellen Knicks machen. Ernst hatte mir nachmittags erklärt, er werde heute abends unter allen Umständen zu Hause bleiben. Er mußte mir aber unter allen Umständen heraus. Ich war in der Einsamkeit, die mich umgab, in der psychischen Aufregung, die es mir unmöglich machte, durch geistige Arbeit meinen Gedanken eine andere Richtung zu geben, von einer qualvollen Furcht vor mir selbst, vor einem unbestimmten Etwas, überfallen worden. Aber nicht nur die Einsamkeit, auch die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hagenauer_muspilli_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hagenauer_muspilli_1900/55
Zitationshilfe: Hagenauer, Arnold: Muspilli. Linz u. a., 1900, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hagenauer_muspilli_1900/55>, abgerufen am 21.11.2024.