Hagenauer, Arnold: Muspilli. Linz u. a., 1900.erschien, war alles, der ganze Umgang mit mir. Uns beiden war die Entfremdung, die uns auseinander hielt, klar geworden, aber wir waren zu feige, uns dieselbe einzugestehen und uns das trennende Wort ins Gesicht zu sagen. So schleppten wir unsern Gefühlscadaver stets mit uns herum, statt ihn abseits irgendwo zu verscharren. Die letzten Tage standen wir uns feindlich gegenüber, weil wir uns quälten. Mein einstiger Freund litt, aber er verschloß sich. Er war krank, und sein Schmerz erpreßte ihm Klagen, die eine eigene, wilde Müdigkeit athmeten, ein Sehnen, ein Fürchten, ein Wünschen und doch wieder ein Kämpfen gegen den Tod. Er ließ sich sterben. Er wollte nicht mehr leben. Eine furchtbare psychische Neurose schüttelte ihn. Ein Verzweifeln am Lebenkönnen. Aber er schwieg. Ich litt auch, bald, weil ich ihn retten, ihn wieder glücklich machen wollte - atavistische Liebesreste - bald, weil ich mich verdammte, da ich noch - immer meine Abhängigkeit von ihm fühlte, die Fesseln, welche meine erstorbene Liebe zu ihm noch immer um meine Brust schnürten. Nein, kein Weib, keinen Freund! erschien, war alles, der ganze Umgang mit mir. Uns beiden war die Entfremdung, die uns auseinander hielt, klar geworden, aber wir waren zu feige, uns dieselbe einzugestehen und uns das trennende Wort ins Gesicht zu sagen. So schleppten wir unsern Gefühlscadaver stets mit uns herum, statt ihn abseits irgendwo zu verscharren. Die letzten Tage standen wir uns feindlich gegenüber, weil wir uns quälten. Mein einstiger Freund litt, aber er verschloß sich. Er war krank, und sein Schmerz erpreßte ihm Klagen, die eine eigene, wilde Müdigkeit athmeten, ein Sehnen, ein Fürchten, ein Wünschen und doch wieder ein Kämpfen gegen den Tod. Er ließ sich sterben. Er wollte nicht mehr leben. Eine furchtbare psychische Neurose schüttelte ihn. Ein Verzweifeln am Lebenkönnen. Aber er schwieg. Ich litt auch, bald, weil ich ihn retten, ihn wieder glücklich machen wollte – atavistische Liebesreste – bald, weil ich mich verdammte, da ich noch – immer meine Abhängigkeit von ihm fühlte, die Fesseln, welche meine erstorbene Liebe zu ihm noch immer um meine Brust schnürten. Nein, kein Weib, keinen Freund! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0095" n="97"/> erschien, war alles, der ganze Umgang mit mir. Uns beiden war die Entfremdung, die uns auseinander hielt, klar geworden, aber wir waren zu feige, uns dieselbe einzugestehen und uns das trennende Wort ins Gesicht zu sagen. So schleppten wir unsern Gefühlscadaver stets mit uns herum, statt ihn abseits irgendwo zu verscharren.</p> <p>Die letzten Tage standen wir uns feindlich gegenüber, weil wir uns quälten.</p> <p>Mein einstiger Freund litt, aber er verschloß sich. Er war krank, und sein Schmerz erpreßte ihm Klagen, die eine eigene, wilde Müdigkeit athmeten, ein Sehnen, ein Fürchten, ein Wünschen und doch wieder ein Kämpfen gegen den Tod. Er ließ sich sterben. Er wollte nicht mehr leben. Eine furchtbare psychische Neurose schüttelte ihn. Ein Verzweifeln am Lebenkönnen. Aber er schwieg.</p> <p>Ich litt auch, bald, weil ich ihn retten, ihn wieder glücklich machen wollte – atavistische Liebesreste – bald, weil ich mich verdammte, da ich noch – immer meine Abhängigkeit von ihm fühlte, die Fesseln, welche meine erstorbene Liebe zu ihm noch immer um meine Brust schnürten.</p> <p>Nein, kein Weib, keinen Freund!</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [97/0095]
erschien, war alles, der ganze Umgang mit mir. Uns beiden war die Entfremdung, die uns auseinander hielt, klar geworden, aber wir waren zu feige, uns dieselbe einzugestehen und uns das trennende Wort ins Gesicht zu sagen. So schleppten wir unsern Gefühlscadaver stets mit uns herum, statt ihn abseits irgendwo zu verscharren.
Die letzten Tage standen wir uns feindlich gegenüber, weil wir uns quälten.
Mein einstiger Freund litt, aber er verschloß sich. Er war krank, und sein Schmerz erpreßte ihm Klagen, die eine eigene, wilde Müdigkeit athmeten, ein Sehnen, ein Fürchten, ein Wünschen und doch wieder ein Kämpfen gegen den Tod. Er ließ sich sterben. Er wollte nicht mehr leben. Eine furchtbare psychische Neurose schüttelte ihn. Ein Verzweifeln am Lebenkönnen. Aber er schwieg.
Ich litt auch, bald, weil ich ihn retten, ihn wieder glücklich machen wollte – atavistische Liebesreste – bald, weil ich mich verdammte, da ich noch – immer meine Abhängigkeit von ihm fühlte, die Fesseln, welche meine erstorbene Liebe zu ihm noch immer um meine Brust schnürten.
Nein, kein Weib, keinen Freund!
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-10-26T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-10-26T10:30:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |