Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hahn, Alban von: Der Verkehr in der Guten Gesellschaft. 2. Auflage. Leipzig, ca. 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

und ob auch später noch, wenn aus den Brautleuten erst Gatten geworden sind und der Ernst des Lebens an sie herangetreten ist, die Liebe, die man jetzt empfindet, stark genug sein wird, über manches beim andern hinwegzusehen, manche Eigenschaften zu ertragen, welche dem glückseligen Verlobten kaum auffallen, gewiß nicht mißfallen, den feinfühlenden Gatten, die Gattin aber vielleicht nicht nur unangenehm berühren, sondern oft geradezu unglücklich machen. In keinem Verhältnis ist der Trost: Das wird sich später schon geben! gefährlicher als hier, denn wenn diese Voraussage nicht eintritt, dann ist es zu spät. Obgleich Verlobte gegeneinander die größte Rücksicht haben wollen und nur einer im andern aufzugehen wünschen, so macht sich doch gerade bei ihnen fast ausnahmslos in ihren Zukunftsgedanken der größte Egoismus geltend. Jeder Teil wird überzeugt sein, daß der andre, schon ihm zuliebe dies oder jenes, was ihm nicht gefällt, von selbst lassen oder daß es ein Leichtes sein werde, es ihm abzugewöhnen; daß man selbst aber Pflichten gegen den andern habe und, ehe man sich jenen nach seinem Wunsch heranzieht, viel eher bestrebt sein müsse, sich seinerseits dem andern anzupassen

und ob auch später noch, wenn aus den Brautleuten erst Gatten geworden sind und der Ernst des Lebens an sie herangetreten ist, die Liebe, die man jetzt empfindet, stark genug sein wird, über manches beim andern hinwegzusehen, manche Eigenschaften zu ertragen, welche dem glückseligen Verlobten kaum auffallen, gewiß nicht mißfallen, den feinfühlenden Gatten, die Gattin aber vielleicht nicht nur unangenehm berühren, sondern oft geradezu unglücklich machen. In keinem Verhältnis ist der Trost: Das wird sich später schon geben! gefährlicher als hier, denn wenn diese Voraussage nicht eintritt, dann ist es zu spät. Obgleich Verlobte gegeneinander die größte Rücksicht haben wollen und nur einer im andern aufzugehen wünschen, so macht sich doch gerade bei ihnen fast ausnahmslos in ihren Zukunftsgedanken der größte Egoismus geltend. Jeder Teil wird überzeugt sein, daß der andre, schon ihm zuliebe dies oder jenes, was ihm nicht gefällt, von selbst lassen oder daß es ein Leichtes sein werde, es ihm abzugewöhnen; daß man selbst aber Pflichten gegen den andern habe und, ehe man sich jenen nach seinem Wunsch heranzieht, viel eher bestrebt sein müsse, sich seinerseits dem andern anzupassen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0139" n="129"/>
und ob auch später noch, wenn aus den Brautleuten erst Gatten geworden sind und der Ernst des Lebens an sie herangetreten ist, die Liebe, die man jetzt empfindet, stark genug sein wird, über manches beim andern hinwegzusehen, manche Eigenschaften zu ertragen, welche dem glückseligen Verlobten kaum auffallen, gewiß nicht mißfallen, den feinfühlenden Gatten, die Gattin aber vielleicht nicht nur unangenehm berühren, sondern oft geradezu unglücklich machen. In keinem Verhältnis ist der Trost: Das wird sich später schon geben! gefährlicher als hier, denn wenn diese Voraussage nicht eintritt, dann ist es zu spät. Obgleich Verlobte gegeneinander die größte Rücksicht haben wollen und nur einer im andern aufzugehen wünschen, so macht sich doch gerade bei ihnen fast ausnahmslos in ihren Zukunftsgedanken der größte Egoismus geltend. Jeder Teil wird überzeugt sein, daß der andre, schon ihm zuliebe dies oder jenes, was ihm nicht gefällt, von selbst lassen oder daß es ein Leichtes sein werde, es ihm abzugewöhnen; daß man <hi rendition="#g">selbst</hi> aber Pflichten gegen den andern habe und, ehe man sich jenen nach seinem Wunsch heranzieht, viel eher bestrebt sein müsse, sich seinerseits dem andern anzupassen
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[129/0139] und ob auch später noch, wenn aus den Brautleuten erst Gatten geworden sind und der Ernst des Lebens an sie herangetreten ist, die Liebe, die man jetzt empfindet, stark genug sein wird, über manches beim andern hinwegzusehen, manche Eigenschaften zu ertragen, welche dem glückseligen Verlobten kaum auffallen, gewiß nicht mißfallen, den feinfühlenden Gatten, die Gattin aber vielleicht nicht nur unangenehm berühren, sondern oft geradezu unglücklich machen. In keinem Verhältnis ist der Trost: Das wird sich später schon geben! gefährlicher als hier, denn wenn diese Voraussage nicht eintritt, dann ist es zu spät. Obgleich Verlobte gegeneinander die größte Rücksicht haben wollen und nur einer im andern aufzugehen wünschen, so macht sich doch gerade bei ihnen fast ausnahmslos in ihren Zukunftsgedanken der größte Egoismus geltend. Jeder Teil wird überzeugt sein, daß der andre, schon ihm zuliebe dies oder jenes, was ihm nicht gefällt, von selbst lassen oder daß es ein Leichtes sein werde, es ihm abzugewöhnen; daß man selbst aber Pflichten gegen den andern habe und, ehe man sich jenen nach seinem Wunsch heranzieht, viel eher bestrebt sein müsse, sich seinerseits dem andern anzupassen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-03-19T14:09:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-03-19T14:09:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-03-19T14:09:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hahn_verkehr_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hahn_verkehr_1898/139
Zitationshilfe: Hahn, Alban von: Der Verkehr in der Guten Gesellschaft. 2. Auflage. Leipzig, ca. 1898, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hahn_verkehr_1898/139>, abgerufen am 04.12.2024.