ob man gut oder schlecht gekleidet ist, als ob man gut oder schlecht ißt. In beidem aber weiteres zu sehen, als ein Mittel zum Zweck, hier zweckmäßig bekleidet, dort ernährt zu werden, ist nicht männlich.
Man kleidet sich nicht für andre, sondern wegen seiner selbst; vor sich selber aber soll man stets so viel Achtung haben, daß man immer ordentlich angezogen ist, auch wenn man die Überzeugung hat, daß man von niemand bemerkt wird. Deshalb müssen auch sämtliche Kleidungsstücke - nicht nur die, welche man von außen sieht - in größter Ordnung sein. Man soll ja nicht glauben, daß eine aufgesprungene Naht am Ärmel, ein fehlender Knopf an der Weste nicht gesehen würden, weil man vielleicht auf der Straße den Überzieher anhat; war man auch noch nie in der Verlegenheit, denselben am dritten Ort aus irgend welchem Grund auszuziehen, so wird man dazu doch sicher gezwungen werden, wenn man am wenigsten darauf eingerichtet ist. Ein Freund, der einen auffordert, ein Glas Wein mitzutrinken, ein Bekannter, der seine neu eingerichtete Wohnung zeigen will oder dergleichen, keinem von beiden kann man den Wunsch abschlagen: man muß den Paletot ausziehen, und dann ist die Verlegenheit oft viel
ob man gut oder schlecht gekleidet ist, als ob man gut oder schlecht ißt. In beidem aber weiteres zu sehen, als ein Mittel zum Zweck, hier zweckmäßig bekleidet, dort ernährt zu werden, ist nicht männlich.
Man kleidet sich nicht für andre, sondern wegen seiner selbst; vor sich selber aber soll man stets so viel Achtung haben, daß man immer ordentlich angezogen ist, auch wenn man die Überzeugung hat, daß man von niemand bemerkt wird. Deshalb müssen auch sämtliche Kleidungsstücke – nicht nur die, welche man von außen sieht – in größter Ordnung sein. Man soll ja nicht glauben, daß eine aufgesprungene Naht am Ärmel, ein fehlender Knopf an der Weste nicht gesehen würden, weil man vielleicht auf der Straße den Überzieher anhat; war man auch noch nie in der Verlegenheit, denselben am dritten Ort aus irgend welchem Grund auszuziehen, so wird man dazu doch sicher gezwungen werden, wenn man am wenigsten darauf eingerichtet ist. Ein Freund, der einen auffordert, ein Glas Wein mitzutrinken, ein Bekannter, der seine neu eingerichtete Wohnung zeigen will oder dergleichen, keinem von beiden kann man den Wunsch abschlagen: man muß den Paletot ausziehen, und dann ist die Verlegenheit oft viel
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0166"n="156"/>
ob man gut oder schlecht gekleidet ist, als ob man gut oder schlecht ißt. In beidem aber weiteres zu sehen, als ein Mittel zum Zweck, hier zweckmäßig bekleidet, dort ernährt zu werden, ist nicht männlich.</p><p><hirendition="#g">Man kleidet sich nicht für andre, sondern wegen seiner selbst</hi>; vor sich selber aber soll man stets so viel Achtung haben, daß man immer ordentlich angezogen ist, auch wenn man die Überzeugung hat, daß man von niemand bemerkt wird. Deshalb müssen auch sämtliche Kleidungsstücke – nicht nur die, welche man von außen sieht – in größter Ordnung sein. Man soll ja nicht glauben, daß eine aufgesprungene Naht am Ärmel, ein fehlender Knopf an der Weste nicht gesehen würden, weil man vielleicht auf der Straße den Überzieher anhat; war man auch noch nie in der Verlegenheit, denselben am dritten Ort aus irgend welchem Grund auszuziehen, so wird man dazu doch sicher gezwungen werden, wenn man am wenigsten darauf eingerichtet ist. Ein Freund, der einen auffordert, ein Glas Wein mitzutrinken, ein Bekannter, der seine neu eingerichtete Wohnung zeigen will oder dergleichen, keinem von beiden kann man den Wunsch abschlagen: man muß den Paletot ausziehen, und dann ist die Verlegenheit oft viel
</p></div></body></text></TEI>
[156/0166]
ob man gut oder schlecht gekleidet ist, als ob man gut oder schlecht ißt. In beidem aber weiteres zu sehen, als ein Mittel zum Zweck, hier zweckmäßig bekleidet, dort ernährt zu werden, ist nicht männlich.
Man kleidet sich nicht für andre, sondern wegen seiner selbst; vor sich selber aber soll man stets so viel Achtung haben, daß man immer ordentlich angezogen ist, auch wenn man die Überzeugung hat, daß man von niemand bemerkt wird. Deshalb müssen auch sämtliche Kleidungsstücke – nicht nur die, welche man von außen sieht – in größter Ordnung sein. Man soll ja nicht glauben, daß eine aufgesprungene Naht am Ärmel, ein fehlender Knopf an der Weste nicht gesehen würden, weil man vielleicht auf der Straße den Überzieher anhat; war man auch noch nie in der Verlegenheit, denselben am dritten Ort aus irgend welchem Grund auszuziehen, so wird man dazu doch sicher gezwungen werden, wenn man am wenigsten darauf eingerichtet ist. Ein Freund, der einen auffordert, ein Glas Wein mitzutrinken, ein Bekannter, der seine neu eingerichtete Wohnung zeigen will oder dergleichen, keinem von beiden kann man den Wunsch abschlagen: man muß den Paletot ausziehen, und dann ist die Verlegenheit oft viel
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2013-03-19T14:09:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-03-19T14:09:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2013-03-19T14:09:31Z)
Hahn, Alban von: Der Verkehr in der Guten Gesellschaft. 2. Auflage. Leipzig, ca. 1898, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hahn_verkehr_1898/166>, abgerufen am 23.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.