man findet das Herz klein, den Puls weich und klein, das Blutaderblut träge fliessend, folglich werden auch die zum Herzen zurükkehrende Dämfe zum Stillstehen ge- bracht; das Zellgewebe ist von wässrigen Geschwülsten erweitert; Schweis, Harn, Wasser, und die Speisen neigen sich zu der ihnen ohnedem natürlichen Verderbnis; es erfolgen Blähungen und andre Dinge mehr. Man merket von dürftigen Leuten, die von nichts, als Pflan- zenspeisen leben, an, daß ihr Blut beinahe gelbe, und ohne Röte ist (p*).
Alles dieses kann in Personen schon von ihrer Geburt her herrschend gewesen seyn, oder auch auf mancherlei Weise in ihren Körpern mit der Zeit die Oberhand be- kommen, wenn ihre Körper noch nicht das Mittelmaas in der Blutmischung überschritten haben. Die Ruhe des Leibes, der Genuß pflanzenhafter milchiger Speisen, ein zu starker Schlaf, bahnen zu dieser Blutmischung durch lange Gewonheit den Weg; schnell wird aber die- ses Temperament von einer jeden heftigen Erschöpfung der Kräfte befördert, es mag nun diese Entkräftung von einer schweren vorhergegangnen Krankheit, oder aber von einem jeglichen Verluste des roten Blutes ihren Ur- sprung her haben. Es ist aus unzälbaren Beispielen bekannt, daß sich das gehörige rechtmäßige Verhältnis der Kügelchen entweder sehr langsam, oder gar nimmer- mehr wiederherstellen lassen, wofern man dieselbe schnell und zu sehr ausgeleeret hat. Pauline, die berümte Ehefrau des Seneka, der man die Blutadern geöffnet und eine grosse Menge Bluts weggelassen hatte, bekam, als sie Nero länger zu leben zwang, in ihrem ganzen übrigen Leben ihre natürliche Wangenröte niemals wie- der, welches auch dem Achill Gasserus(q) wiederfur, welcher sich einen Zahn mit grossem Blutverluste hatte ausziehen lassen. Man weis aber auch, daß von frei-
willigen
(p*)[Spaltenumbruch]stvbbe Phlebotom. S. 117.
(q)[Spaltenumbruch]rvmler Obs. 72.
Fuͤnftes Buch. Das Blut.
man findet das Herz klein, den Puls weich und klein, das Blutaderblut traͤge flieſſend, folglich werden auch die zum Herzen zuruͤkkehrende Daͤmfe zum Stillſtehen ge- bracht; das Zellgewebe iſt von waͤſſrigen Geſchwuͤlſten erweitert; Schweis, Harn, Waſſer, und die Speiſen neigen ſich zu der ihnen ohnedem natuͤrlichen Verderbnis; es erfolgen Blaͤhungen und andre Dinge mehr. Man merket von duͤrftigen Leuten, die von nichts, als Pflan- zenſpeiſen leben, an, daß ihr Blut beinahe gelbe, und ohne Roͤte iſt (p*).
Alles dieſes kann in Perſonen ſchon von ihrer Geburt her herrſchend geweſen ſeyn, oder auch auf mancherlei Weiſe in ihren Koͤrpern mit der Zeit die Oberhand be- kommen, wenn ihre Koͤrper noch nicht das Mittelmaas in der Blutmiſchung uͤberſchritten haben. Die Ruhe des Leibes, der Genuß pflanzenhafter milchiger Speiſen, ein zu ſtarker Schlaf, bahnen zu dieſer Blutmiſchung durch lange Gewonheit den Weg; ſchnell wird aber die- ſes Temperament von einer jeden heftigen Erſchoͤpfung der Kraͤfte befoͤrdert, es mag nun dieſe Entkraͤftung von einer ſchweren vorhergegangnen Krankheit, oder aber von einem jeglichen Verluſte des roten Blutes ihren Ur- ſprung her haben. Es iſt aus unzaͤlbaren Beiſpielen bekannt, daß ſich das gehoͤrige rechtmaͤßige Verhaͤltnis der Kuͤgelchen entweder ſehr langſam, oder gar nimmer- mehr wiederherſtellen laſſen, wofern man dieſelbe ſchnell und zu ſehr ausgeleeret hat. Pauline, die beruͤmte Ehefrau des Seneka, der man die Blutadern geoͤffnet und eine groſſe Menge Bluts weggelaſſen hatte, bekam, als ſie Nero laͤnger zu leben zwang, in ihrem ganzen uͤbrigen Leben ihre natuͤrliche Wangenroͤte niemals wie- der, welches auch dem Achill Gaſſerus(q) wiederfur, welcher ſich einen Zahn mit groſſem Blutverluſte hatte ausziehen laſſen. Man weis aber auch, daß von frei-
willigen
(p*)[Spaltenumbruch]ſtvbbe Phlebotom. S. 117.
(q)[Spaltenumbruch]rvmler Obſ. 72.
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Fuͤnftes Buch. Das Blut.
man findet das Herz klein, den Puls weich und klein,
das Blutaderblut traͤge flieſſend, folglich werden auch die
zum Herzen zuruͤkkehrende Daͤmfe zum Stillſtehen ge-
bracht; das Zellgewebe iſt von waͤſſrigen Geſchwuͤlſten
erweitert; Schweis, Harn, Waſſer, und die Speiſen
neigen ſich zu der ihnen ohnedem natuͤrlichen Verderbnis;
es erfolgen Blaͤhungen und andre Dinge mehr. Man
merket von duͤrftigen Leuten, die von nichts, als Pflan-
zenſpeiſen leben, an, daß ihr Blut beinahe gelbe, und
ohne Roͤte iſt (p*).
Alles dieſes kann in Perſonen ſchon von ihrer Geburt
her herrſchend geweſen ſeyn, oder auch auf mancherlei
Weiſe in ihren Koͤrpern mit der Zeit die Oberhand be-
kommen, wenn ihre Koͤrper noch nicht das Mittelmaas
in der Blutmiſchung uͤberſchritten haben. Die Ruhe
des Leibes, der Genuß pflanzenhafter milchiger Speiſen,
ein zu ſtarker Schlaf, bahnen zu dieſer Blutmiſchung
durch lange Gewonheit den Weg; ſchnell wird aber die-
ſes Temperament von einer jeden heftigen Erſchoͤpfung
der Kraͤfte befoͤrdert, es mag nun dieſe Entkraͤftung von
einer ſchweren vorhergegangnen Krankheit, oder aber
von einem jeglichen Verluſte des roten Blutes ihren Ur-
ſprung her haben. Es iſt aus unzaͤlbaren Beiſpielen
bekannt, daß ſich das gehoͤrige rechtmaͤßige Verhaͤltnis
der Kuͤgelchen entweder ſehr langſam, oder gar nimmer-
mehr wiederherſtellen laſſen, wofern man dieſelbe ſchnell
und zu ſehr ausgeleeret hat. Pauline, die beruͤmte
Ehefrau des Seneka, der man die Blutadern geoͤffnet
und eine groſſe Menge Bluts weggelaſſen hatte, bekam,
als ſie Nero laͤnger zu leben zwang, in ihrem ganzen
uͤbrigen Leben ihre natuͤrliche Wangenroͤte niemals wie-
der, welches auch dem Achill Gaſſerus (q) wiederfur,
welcher ſich einen Zahn mit groſſem Blutverluſte hatte
ausziehen laſſen. Man weis aber auch, daß von frei-
willigen
(p*)
ſtvbbe Phlebotom. S. 117.
(q)
rvmler Obſ. 72.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 2. Berlin, 1762, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende02_1762/244>, abgerufen am 27.11.2024.
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