Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 2. Berlin, 1762.

Bild:
<< vorherige Seite




Das siebende Buch.
Die Absonderung.


Erster Abschnitt.
Die Lebenssäfte.
§. 1.

Unter dem Worte Absonderung (secretio) versteht
man, ob der Name gleich nicht die Natur völlig
ausdrükkt, dasjenige Geschäfte eines thierischen
Körpers, da von der gemeinschaftlichen Blutmasse, aller-
lei, unter sich selbst, und vom Blute verschiedne Flüßig-
keiten dergestalt verfertigt werden, daß in einem jeden
Theile dieses Körpers jederzeit sein gewisser Saft her-
vorgebracht wird. Wie viele Gegenden sind nicht in
der Phisiologie unerhellt, und doch ist über dieses Ge-
schäfte nichts dunklers. Denn es gehet alles dieses
gleichsam in den feinsten Grundstoffen der Eingeweiden
und Drüsen vor, deren Bauart doch weder vermittelst
der Sinne, noch mit Hülfe der Scharfsinnigkeit heraus-
gebracht werden kann. Auch die Versuche, womit wir
sonst die Natur nachamen, und erhaschen, finden hier
nicht sonderlich statt: oder es haben sich wenigstens keine
Wisbegierigen zur Zeit auf diesem Wege versucht. Da
nun Menschen in Sistemen ungern Lükken vertragen
wollen, so ist es geschehn, daß die Hipotese einen Bau
angefangen, den die Anatomie sich auszufüren weigert.
Doch ich schlisse Hipotesen wenigstens in so fern nicht
völlig aus, daß sie nicht andern Personen gefallen könn-
ten, wenn sie mir gleich ein wenig unwarscheinlich vor-
kommen: und so ist oft der Saame der Warheiten,

oder
O o 3




Das ſiebende Buch.
Die Abſonderung.


Erſter Abſchnitt.
Die Lebensſaͤfte.
§. 1.

Unter dem Worte Abſonderung (ſecretio) verſteht
man, ob der Name gleich nicht die Natur voͤllig
ausdruͤkkt, dasjenige Geſchaͤfte eines thieriſchen
Koͤrpers, da von der gemeinſchaftlichen Blutmaſſe, aller-
lei, unter ſich ſelbſt, und vom Blute verſchiedne Fluͤßig-
keiten dergeſtalt verfertigt werden, daß in einem jeden
Theile dieſes Koͤrpers jederzeit ſein gewiſſer Saft her-
vorgebracht wird. Wie viele Gegenden ſind nicht in
der Phiſiologie unerhellt, und doch iſt uͤber dieſes Ge-
ſchaͤfte nichts dunklers. Denn es gehet alles dieſes
gleichſam in den feinſten Grundſtoffen der Eingeweiden
und Druͤſen vor, deren Bauart doch weder vermittelſt
der Sinne, noch mit Huͤlfe der Scharfſinnigkeit heraus-
gebracht werden kann. Auch die Verſuche, womit wir
ſonſt die Natur nachamen, und erhaſchen, finden hier
nicht ſonderlich ſtatt: oder es haben ſich wenigſtens keine
Wisbegierigen zur Zeit auf dieſem Wege verſucht. Da
nun Menſchen in Siſtemen ungern Luͤkken vertragen
wollen, ſo iſt es geſchehn, daß die Hipoteſe einen Bau
angefangen, den die Anatomie ſich auszufuͤren weigert.
Doch ich ſchliſſe Hipoteſen wenigſtens in ſo fern nicht
voͤllig aus, daß ſie nicht andern Perſonen gefallen koͤnn-
ten, wenn ſie mir gleich ein wenig unwarſcheinlich vor-
kommen: und ſo iſt oft der Saame der Warheiten,

oder
O o 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0601" n="581"/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Das &#x017F;iebende Buch.<lb/><hi rendition="#g">Die Ab&#x017F;onderung</hi>.</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Er&#x017F;ter Ab&#x017F;chnitt.<lb/><hi rendition="#g">Die Lebens&#x017F;a&#x0364;fte</hi>.</hi> </head><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 1.</head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">U</hi>nter dem Worte Ab&#x017F;onderung (<hi rendition="#aq">&#x017F;ecretio</hi>) ver&#x017F;teht<lb/>
man, ob der Name gleich nicht die Natur vo&#x0364;llig<lb/>
ausdru&#x0364;kkt, dasjenige Ge&#x017F;cha&#x0364;fte eines thieri&#x017F;chen<lb/>
Ko&#x0364;rpers, da von der gemein&#x017F;chaftlichen Blutma&#x017F;&#x017F;e, aller-<lb/>
lei, unter &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, und vom Blute ver&#x017F;chiedne Flu&#x0364;ßig-<lb/>
keiten derge&#x017F;talt verfertigt werden, daß in einem jeden<lb/>
Theile die&#x017F;es Ko&#x0364;rpers jederzeit &#x017F;ein gewi&#x017F;&#x017F;er Saft her-<lb/>
vorgebracht wird. Wie viele Gegenden &#x017F;ind nicht in<lb/>
der Phi&#x017F;iologie unerhellt, und doch i&#x017F;t u&#x0364;ber die&#x017F;es Ge-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;fte nichts dunklers. Denn es gehet alles die&#x017F;es<lb/>
gleich&#x017F;am in den fein&#x017F;ten Grund&#x017F;toffen der Eingeweiden<lb/>
und Dru&#x0364;&#x017F;en vor, deren Bauart doch weder vermittel&#x017F;t<lb/>
der Sinne, noch mit Hu&#x0364;lfe der Scharf&#x017F;innigkeit heraus-<lb/>
gebracht werden kann. Auch die Ver&#x017F;uche, womit wir<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t die Natur nachamen, und erha&#x017F;chen, finden hier<lb/>
nicht &#x017F;onderlich &#x017F;tatt: oder es haben &#x017F;ich wenig&#x017F;tens keine<lb/>
Wisbegierigen zur Zeit auf die&#x017F;em Wege ver&#x017F;ucht. Da<lb/>
nun Men&#x017F;chen in Si&#x017F;temen ungern Lu&#x0364;kken vertragen<lb/>
wollen, &#x017F;o i&#x017F;t es ge&#x017F;chehn, daß die Hipote&#x017F;e einen Bau<lb/>
angefangen, den die Anatomie &#x017F;ich auszufu&#x0364;ren weigert.<lb/>
Doch ich &#x017F;chli&#x017F;&#x017F;e Hipote&#x017F;en wenig&#x017F;tens in &#x017F;o fern nicht<lb/>
vo&#x0364;llig aus, daß &#x017F;ie nicht andern Per&#x017F;onen gefallen ko&#x0364;nn-<lb/>
ten, wenn &#x017F;ie mir gleich ein wenig unwar&#x017F;cheinlich vor-<lb/>
kommen: und &#x017F;o i&#x017F;t oft der Saame der Warheiten,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O o 3</fw><fw place="bottom" type="catch">oder</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[581/0601] Das ſiebende Buch. Die Abſonderung. Erſter Abſchnitt. Die Lebensſaͤfte. §. 1. Unter dem Worte Abſonderung (ſecretio) verſteht man, ob der Name gleich nicht die Natur voͤllig ausdruͤkkt, dasjenige Geſchaͤfte eines thieriſchen Koͤrpers, da von der gemeinſchaftlichen Blutmaſſe, aller- lei, unter ſich ſelbſt, und vom Blute verſchiedne Fluͤßig- keiten dergeſtalt verfertigt werden, daß in einem jeden Theile dieſes Koͤrpers jederzeit ſein gewiſſer Saft her- vorgebracht wird. Wie viele Gegenden ſind nicht in der Phiſiologie unerhellt, und doch iſt uͤber dieſes Ge- ſchaͤfte nichts dunklers. Denn es gehet alles dieſes gleichſam in den feinſten Grundſtoffen der Eingeweiden und Druͤſen vor, deren Bauart doch weder vermittelſt der Sinne, noch mit Huͤlfe der Scharfſinnigkeit heraus- gebracht werden kann. Auch die Verſuche, womit wir ſonſt die Natur nachamen, und erhaſchen, finden hier nicht ſonderlich ſtatt: oder es haben ſich wenigſtens keine Wisbegierigen zur Zeit auf dieſem Wege verſucht. Da nun Menſchen in Siſtemen ungern Luͤkken vertragen wollen, ſo iſt es geſchehn, daß die Hipoteſe einen Bau angefangen, den die Anatomie ſich auszufuͤren weigert. Doch ich ſchliſſe Hipoteſen wenigſtens in ſo fern nicht voͤllig aus, daß ſie nicht andern Perſonen gefallen koͤnn- ten, wenn ſie mir gleich ein wenig unwarſcheinlich vor- kommen: und ſo iſt oft der Saame der Warheiten, oder O o 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende02_1762
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende02_1762/601
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 2. Berlin, 1762, S. 581. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende02_1762/601>, abgerufen am 22.11.2024.