Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 3. Berlin, 1766.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Atemholen. VIII. Buch.
daß in diesem Zustande des angegriffnen Gehirns, bei
dem gelinden Reize des tauben, die Zwischenzeit zwischen
zween Atemzügen länger sei, um sich bis 7 oder 10 Mi-
nuten, und zu 40 Pulsschlägen verweile, weil die Seele,
wegen des gesperrten Gehirns, ihr Uebel nicht ehe em-
pfindet, als bis dieses aufs höchste gestiegen ist. Wenn
wir aber gesund sind, so kommen wir der Unbequemlich-
keit, die auf ein verlängertes Einatmen folgt, zuvor, weil
wir aus der Erfahrung gelernt haben, daß uns ein un-
vermeidliches Uebel hinrichten werde, so bald wir saum-
selig sind, der Natur diese Schuld zu entrichten. Es
hat mich oft im Studiren, unverhoft eine Bangigkeit
überfallen, wenn ich den neuen Reiz aus der Acht lies.
Denn es läst sich eine mittelmäßige Bangigkeit verstel-
len. Doch alsdann drang eine peinliche Gewalt der
Nothwendigkeit in mich, der Reiz des beschwerenden
Uebels wuchs, und es ist dieses eine Gewalt, welcher kein
Mensch, ohne nur ein sterbender wiederstehen kann (r).
So werden also die gewechselten Spiele des Ausatmens
zu Gesezzen, und so wird bei einem andern Exempel, die
oft wiederholte Erfahrung des Schadens zum Gesezze,
indem das Nikken der Augenlieder, bei einem stärkern
Lichte, von freien Stükken, und ohne vorgängige Ueber-
legung, seinen Fortgang behält, da es doch blos eine
Sache des Willkührs ist.

So lange ich also nicht bessere Gründe vor mir
sehe, so erkläre ich mit dem Fanton (s), Stahl,
Franz de Sauvages
(t), Robert Whytt (u), und
andern neuern Aerzten überhaupt, die Nothwendigkeit
der Atmungswechsel, durch die vom verhaltnen Blute
entstandne Aengstlichkeit, und daß die Seele ihre Kräfte
anwendet, um dieser Beschwerlichkeit los zu werden.

§. 19.
(r) [Spaltenumbruch] Ebendas. S. 200. 201.
(s) Anat. S. 338.
(t) Respir. difficult. S. 10. daov-
[Spaltenumbruch] steng.
u. f.
(u) Angef. Ort. S. 192. 178. 179.

Das Atemholen. VIII. Buch.
daß in dieſem Zuſtande des angegriffnen Gehirns, bei
dem gelinden Reize des tauben, die Zwiſchenzeit zwiſchen
zween Atemzuͤgen laͤnger ſei, um ſich bis 7 oder 10 Mi-
nuten, und zu 40 Pulsſchlaͤgen verweile, weil die Seele,
wegen des geſperrten Gehirns, ihr Uebel nicht ehe em-
pfindet, als bis dieſes aufs hoͤchſte geſtiegen iſt. Wenn
wir aber geſund ſind, ſo kommen wir der Unbequemlich-
keit, die auf ein verlaͤngertes Einatmen folgt, zuvor, weil
wir aus der Erfahrung gelernt haben, daß uns ein un-
vermeidliches Uebel hinrichten werde, ſo bald wir ſaum-
ſelig ſind, der Natur dieſe Schuld zu entrichten. Es
hat mich oft im Studiren, unverhoft eine Bangigkeit
uͤberfallen, wenn ich den neuen Reiz aus der Acht lies.
Denn es laͤſt ſich eine mittelmaͤßige Bangigkeit verſtel-
len. Doch alsdann drang eine peinliche Gewalt der
Nothwendigkeit in mich, der Reiz des beſchwerenden
Uebels wuchs, und es iſt dieſes eine Gewalt, welcher kein
Menſch, ohne nur ein ſterbender wiederſtehen kann (r).
So werden alſo die gewechſelten Spiele des Ausatmens
zu Geſezzen, und ſo wird bei einem andern Exempel, die
oft wiederholte Erfahrung des Schadens zum Geſezze,
indem das Nikken der Augenlieder, bei einem ſtaͤrkern
Lichte, von freien Stuͤkken, und ohne vorgaͤngige Ueber-
legung, ſeinen Fortgang behaͤlt, da es doch blos eine
Sache des Willkuͤhrs iſt.

So lange ich alſo nicht beſſere Gruͤnde vor mir
ſehe, ſo erklaͤre ich mit dem Fanton (s), Stahl,
Franz de Sauvages
(t), Robert Whytt (u), und
andern neuern Aerzten uͤberhaupt, die Nothwendigkeit
der Atmungswechſel, durch die vom verhaltnen Blute
entſtandne Aengſtlichkeit, und daß die Seele ihre Kraͤfte
anwendet, um dieſer Beſchwerlichkeit los zu werden.

§. 19.
(r) [Spaltenumbruch] Ebendaſ. S. 200. 201.
(s) Anat. S. 338.
(t) Reſpir. difficult. S. 10. daov-
[Spaltenumbruch] ſteng.
u. f.
(u) Angef. Ort. S. 192. 178. 179.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0422" n="416"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das Atemholen. <hi rendition="#aq">VIII.</hi> Buch.</hi></fw><lb/>
daß in die&#x017F;em Zu&#x017F;tande des angegriffnen Gehirns, bei<lb/>
dem gelinden Reize des tauben, die Zwi&#x017F;chenzeit zwi&#x017F;chen<lb/>
zween Atemzu&#x0364;gen la&#x0364;nger &#x017F;ei, um &#x017F;ich bis 7 oder 10 Mi-<lb/>
nuten, und zu 40 Puls&#x017F;chla&#x0364;gen verweile, weil die Seele,<lb/>
wegen des ge&#x017F;perrten Gehirns, ihr Uebel nicht ehe em-<lb/>
pfindet, als bis die&#x017F;es aufs ho&#x0364;ch&#x017F;te ge&#x017F;tiegen i&#x017F;t. Wenn<lb/>
wir aber ge&#x017F;und &#x017F;ind, &#x017F;o kommen wir der Unbequemlich-<lb/>
keit, die auf ein verla&#x0364;ngertes Einatmen folgt, zuvor, weil<lb/>
wir aus der Erfahrung gelernt haben, daß uns ein un-<lb/>
vermeidliches Uebel hinrichten werde, &#x017F;o bald wir &#x017F;aum-<lb/>
&#x017F;elig &#x017F;ind, der Natur die&#x017F;e Schuld zu entrichten. Es<lb/>
hat mich oft im Studiren, unverhoft eine Bangigkeit<lb/>
u&#x0364;berfallen, wenn ich den neuen Reiz aus der Acht lies.<lb/>
Denn es la&#x0364;&#x017F;t &#x017F;ich eine mittelma&#x0364;ßige Bangigkeit ver&#x017F;tel-<lb/>
len. Doch alsdann drang eine peinliche Gewalt der<lb/>
Nothwendigkeit in mich, der Reiz des be&#x017F;chwerenden<lb/>
Uebels wuchs, und es i&#x017F;t die&#x017F;es eine Gewalt, welcher kein<lb/>
Men&#x017F;ch, ohne nur ein &#x017F;terbender wieder&#x017F;tehen kann <note place="foot" n="(r)"><cb/>
Ebenda&#x017F;. S. 200. 201.</note>.<lb/>
So werden al&#x017F;o die gewech&#x017F;elten Spiele des Ausatmens<lb/>
zu Ge&#x017F;ezzen, und &#x017F;o wird bei einem andern Exempel, die<lb/>
oft wiederholte Erfahrung des Schadens zum Ge&#x017F;ezze,<lb/>
indem das Nikken der Augenlieder, bei einem &#x017F;ta&#x0364;rkern<lb/>
Lichte, von freien Stu&#x0364;kken, und ohne vorga&#x0364;ngige Ueber-<lb/>
legung, &#x017F;einen Fortgang beha&#x0364;lt, da es doch blos eine<lb/>
Sache des Willku&#x0364;hrs i&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>So lange ich al&#x017F;o nicht be&#x017F;&#x017F;ere Gru&#x0364;nde vor mir<lb/>
&#x017F;ehe, &#x017F;o erkla&#x0364;re ich mit dem <hi rendition="#fr">Fanton</hi> <note place="foot" n="(s)"><hi rendition="#aq">Anat.</hi> S. 338.</note>, <hi rendition="#fr">Stahl,<lb/>
Franz de Sauvages</hi> <note place="foot" n="(t)"><hi rendition="#aq">Re&#x017F;pir. difficult.</hi> S. 10. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g"><hi rendition="#k">daov-<lb/><cb/>
&#x017F;teng.</hi></hi></hi> u. f.</note>, <hi rendition="#fr">Robert Whytt</hi> <note place="foot" n="(u)">Angef. Ort. S. 192. 178. 179.</note>, und<lb/>
andern neuern Aerzten u&#x0364;berhaupt, die Nothwendigkeit<lb/>
der Atmungswech&#x017F;el, durch die vom verhaltnen Blute<lb/>
ent&#x017F;tandne Aeng&#x017F;tlichkeit, und daß die Seele ihre Kra&#x0364;fte<lb/>
anwendet, um die&#x017F;er Be&#x017F;chwerlichkeit los zu werden.</p>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">§. 19.</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[416/0422] Das Atemholen. VIII. Buch. daß in dieſem Zuſtande des angegriffnen Gehirns, bei dem gelinden Reize des tauben, die Zwiſchenzeit zwiſchen zween Atemzuͤgen laͤnger ſei, um ſich bis 7 oder 10 Mi- nuten, und zu 40 Pulsſchlaͤgen verweile, weil die Seele, wegen des geſperrten Gehirns, ihr Uebel nicht ehe em- pfindet, als bis dieſes aufs hoͤchſte geſtiegen iſt. Wenn wir aber geſund ſind, ſo kommen wir der Unbequemlich- keit, die auf ein verlaͤngertes Einatmen folgt, zuvor, weil wir aus der Erfahrung gelernt haben, daß uns ein un- vermeidliches Uebel hinrichten werde, ſo bald wir ſaum- ſelig ſind, der Natur dieſe Schuld zu entrichten. Es hat mich oft im Studiren, unverhoft eine Bangigkeit uͤberfallen, wenn ich den neuen Reiz aus der Acht lies. Denn es laͤſt ſich eine mittelmaͤßige Bangigkeit verſtel- len. Doch alsdann drang eine peinliche Gewalt der Nothwendigkeit in mich, der Reiz des beſchwerenden Uebels wuchs, und es iſt dieſes eine Gewalt, welcher kein Menſch, ohne nur ein ſterbender wiederſtehen kann (r). So werden alſo die gewechſelten Spiele des Ausatmens zu Geſezzen, und ſo wird bei einem andern Exempel, die oft wiederholte Erfahrung des Schadens zum Geſezze, indem das Nikken der Augenlieder, bei einem ſtaͤrkern Lichte, von freien Stuͤkken, und ohne vorgaͤngige Ueber- legung, ſeinen Fortgang behaͤlt, da es doch blos eine Sache des Willkuͤhrs iſt. So lange ich alſo nicht beſſere Gruͤnde vor mir ſehe, ſo erklaͤre ich mit dem Fanton (s), Stahl, Franz de Sauvages (t), Robert Whytt (u), und andern neuern Aerzten uͤberhaupt, die Nothwendigkeit der Atmungswechſel, durch die vom verhaltnen Blute entſtandne Aengſtlichkeit, und daß die Seele ihre Kraͤfte anwendet, um dieſer Beſchwerlichkeit los zu werden. §. 19. (r) Ebendaſ. S. 200. 201. (s) Anat. S. 338. (t) Reſpir. difficult. S. 10. daov- ſteng. u. f. (u) Angef. Ort. S. 192. 178. 179.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende03_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende03_1766/422
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 3. Berlin, 1766, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende03_1766/422>, abgerufen am 16.07.2024.