Die Kräfte, welche das Lachen, und Weinen her- vorbringen, sind folglich eben dieselben, und wenn das Weinen stärker wird, wie es zuweilen an Kindern wahr- genommen wird, so erfolgt eine ähnliche Beklemmung davon (n). Jndessen geschicht doch alles im Weinen mit mehr Mäßigung, und es nüzzt, überhaupt betrachtet, mehr, als daß es schaden sollte. Jn der Betrübnis selbst, fühlt man das Gewichte, welches den Atem beschwert, durch das Weinen erleichtert, und an Kindern macht das Schreien und Weinen die Kräfte des Atemholens, und den Umlauf des Blutes leichter, ja ich weis nicht, daß das Weinen, wie das Lachen wohl zu thun pflegt, plözzlich Schaden gethan hätte (o).
Das Weinen hat schwerlich wohl etwas anders zum Grunde, als die Betrübnis (p), oder wenigstens eine, mit zärtlichen Empfindungen vergesellschaftete Freude. Die neugebohrnen Kinder, scheinen mehr vor Schmer- zen, und wegen des beschwerlichen Durchganges durch die Mutterscheide, oder wegen der Ungemälichkeiten des neuen Elements, zu weinen, als daß ein Fehler im Atem- holen zum Grunde läge, indem dieses gut beschaffen seyn mus, weil sie in eine Stimme, und ins Weinen aus- brechen. Von körperlichen Krankheiten entsteht niemals ein Weinen, und es ist das Weinen im hysterischen Uebel nicht ohne traurige Vorstellungen. Aengstlichkeiten, und ein träger Blutumlauf, erwekken niemals ein Weinen, ob dieses gleich verschiedne versichern wollen. So bemerkt man auch weder in der Lungenentzündung, noch in der Engbrüstigkeit, oder im Sterben, daß man weinen sollte.
Es sollen einige Thiere, und besonders die Hirschen, Thränen vergiessen.
Das
(n)[Spaltenumbruch]SCHREIBER. n. 91. NI- COLAI n. 121.
(o)lancis. de corde et aneur. [Spaltenumbruch]
S. 113.
(p)NICOLAI n. 64.
Das Atemholen. VIII. Buch.
Die Kraͤfte, welche das Lachen, und Weinen her- vorbringen, ſind folglich eben dieſelben, und wenn das Weinen ſtaͤrker wird, wie es zuweilen an Kindern wahr- genommen wird, ſo erfolgt eine aͤhnliche Beklemmung davon (n). Jndeſſen geſchicht doch alles im Weinen mit mehr Maͤßigung, und es nuͤzzt, uͤberhaupt betrachtet, mehr, als daß es ſchaden ſollte. Jn der Betruͤbnis ſelbſt, fuͤhlt man das Gewichte, welches den Atem beſchwert, durch das Weinen erleichtert, und an Kindern macht das Schreien und Weinen die Kraͤfte des Atemholens, und den Umlauf des Blutes leichter, ja ich weis nicht, daß das Weinen, wie das Lachen wohl zu thun pflegt, ploͤzzlich Schaden gethan haͤtte (o).
Das Weinen hat ſchwerlich wohl etwas anders zum Grunde, als die Betruͤbnis (p), oder wenigſtens eine, mit zaͤrtlichen Empfindungen vergeſellſchaftete Freude. Die neugebohrnen Kinder, ſcheinen mehr vor Schmer- zen, und wegen des beſchwerlichen Durchganges durch die Mutterſcheide, oder wegen der Ungemaͤlichkeiten des neuen Elements, zu weinen, als daß ein Fehler im Atem- holen zum Grunde laͤge, indem dieſes gut beſchaffen ſeyn mus, weil ſie in eine Stimme, und ins Weinen aus- brechen. Von koͤrperlichen Krankheiten entſteht niemals ein Weinen, und es iſt das Weinen im hyſteriſchen Uebel nicht ohne traurige Vorſtellungen. Aengſtlichkeiten, und ein traͤger Blutumlauf, erwekken niemals ein Weinen, ob dieſes gleich verſchiedne verſichern wollen. So bemerkt man auch weder in der Lungenentzuͤndung, noch in der Engbruͤſtigkeit, oder im Sterben, daß man weinen ſollte.
Es ſollen einige Thiere, und beſonders die Hirſchen, Thraͤnen vergieſſen.
Das
(n)[Spaltenumbruch]SCHREIBER. n. 91. NI- COLAI n. 121.
(o)lanciſ. de corde et aneur. [Spaltenumbruch]
S. 113.
(p)NICOLAI n. 64.
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Das Atemholen. VIII. Buch.
Die Kraͤfte, welche das Lachen, und Weinen her-
vorbringen, ſind folglich eben dieſelben, und wenn das
Weinen ſtaͤrker wird, wie es zuweilen an Kindern wahr-
genommen wird, ſo erfolgt eine aͤhnliche Beklemmung
davon (n). Jndeſſen geſchicht doch alles im Weinen mit
mehr Maͤßigung, und es nuͤzzt, uͤberhaupt betrachtet,
mehr, als daß es ſchaden ſollte. Jn der Betruͤbnis ſelbſt,
fuͤhlt man das Gewichte, welches den Atem beſchwert,
durch das Weinen erleichtert, und an Kindern macht das
Schreien und Weinen die Kraͤfte des Atemholens, und
den Umlauf des Blutes leichter, ja ich weis nicht, daß das
Weinen, wie das Lachen wohl zu thun pflegt, ploͤzzlich
Schaden gethan haͤtte (o).
Das Weinen hat ſchwerlich wohl etwas anders zum
Grunde, als die Betruͤbnis (p), oder wenigſtens eine,
mit zaͤrtlichen Empfindungen vergeſellſchaftete Freude.
Die neugebohrnen Kinder, ſcheinen mehr vor Schmer-
zen, und wegen des beſchwerlichen Durchganges durch
die Mutterſcheide, oder wegen der Ungemaͤlichkeiten des
neuen Elements, zu weinen, als daß ein Fehler im Atem-
holen zum Grunde laͤge, indem dieſes gut beſchaffen ſeyn
mus, weil ſie in eine Stimme, und ins Weinen aus-
brechen. Von koͤrperlichen Krankheiten entſteht niemals
ein Weinen, und es iſt das Weinen im hyſteriſchen Uebel
nicht ohne traurige Vorſtellungen. Aengſtlichkeiten, und
ein traͤger Blutumlauf, erwekken niemals ein Weinen,
ob dieſes gleich verſchiedne verſichern wollen. So bemerkt
man auch weder in der Lungenentzuͤndung, noch in der
Engbruͤſtigkeit, oder im Sterben, daß man weinen
ſollte.
Es ſollen einige Thiere, und beſonders die Hirſchen,
Thraͤnen vergieſſen.
Das
(n)
SCHREIBER. n. 91. NI-
COLAI n. 121.
(o) lanciſ. de corde et aneur.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 3. Berlin, 1766, S. 484. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende03_1766/490>, abgerufen am 22.11.2024.
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