Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 3. Berlin, 1766.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Stimme. IX. Buch.
deren Zunge gegen das Verhältnis der Muskeln zu schwer
ist. Es können ihn auch die mehresten Kinder schwer-
lich vor dem zehnten Jahre aussprechen, oder doch wenig-
stens vor der Zeit nicht, ehe nicht der Griffelansazz an den
Schläfenknochen völlig mit seiner Pfanne, und seinem
knochigen Fuße zusammen gewachsen ist (m). Da er mit
dem Buchstaben l. verwandt ist, welcher keine Bebungen
nöthig hat, so sprechen diejenigen gemeiniglich l. für r.
aus, denen das r. schwerer fällt.

Die übrigen Mitlauter unter den Buchstaben sind,
soviel wir wissen, aus den vorigen zusammengesezzt, man
läst solche schnell auf einander folgen, wie das x. z. und
das Ps der Griechen, das tsch welches die Russen
mit einem einzigen Zeichen ausdrükken, und das griechische
r mit einem härtern Hauche.

Nunmehr wollen wir bei einem einzigen Buchstaben
den Versuch machen, wie die Muskeln, und Werkzeuge
würken, wenn sie einen jeden hervorbringen. Es erfor-
dert also z. E. das l. den Dienst der Griffelzungenmus-
keln (n), von denen die Zunge erhoben, und an den Gau-
men gebracht wird. Zu gleicher Zeit werden ihre Seiten
von den Fasern der Kinnzungenmuskeln, die nach der
Seite aus einander fahren, und diese Seiten mit sich her-
abziehen, niedergezogen. Das Uebrige thut die Brust.

Man kann im übrigen nicht zweifeln, daß sich nicht
aus so vielen Grundtönen, die sich leicht auf sechs und
zwanzig erstrekken, eine unzälbare Menge von Wörtern
zusammensezzen lasse, ob es gleich nicht möglich ist, diese
Menge von Wörtern anzugeben (o). Es wäre nemlich
unmöglich, diejenigen Wörter aus der Rechnung zu ver-
bannen, welche zwar zu lesen möglich sind, aber wegen

der
(m) [Spaltenumbruch] SCHREIB. Almagest. S.
358. Er sagt, daß man nicht eher
deutlich reden könne.
(n) [Spaltenumbruch] B. 9. A. 2. N. 10.
(o) Dieses hat MALOET ver
richtet, ergo homini vox sua. S. 21.

Die Stimme. IX. Buch.
deren Zunge gegen das Verhaͤltnis der Muskeln zu ſchwer
iſt. Es koͤnnen ihn auch die mehreſten Kinder ſchwer-
lich vor dem zehnten Jahre ausſprechen, oder doch wenig-
ſtens vor der Zeit nicht, ehe nicht der Griffelanſazz an den
Schlaͤfenknochen voͤllig mit ſeiner Pfanne, und ſeinem
knochigen Fuße zuſammen gewachſen iſt (m). Da er mit
dem Buchſtaben l. verwandt iſt, welcher keine Bebungen
noͤthig hat, ſo ſprechen diejenigen gemeiniglich l. fuͤr r.
aus, denen das r. ſchwerer faͤllt.

Die uͤbrigen Mitlauter unter den Buchſtaben ſind,
ſoviel wir wiſſen, aus den vorigen zuſammengeſezzt, man
laͤſt ſolche ſchnell auf einander folgen, wie das x. z. und
das Ψ der Griechen, das tſch welches die Ruſſen
mit einem einzigen Zeichen ausdruͤkken, und das griechiſche
ρ mit einem haͤrtern Hauche.

Nunmehr wollen wir bei einem einzigen Buchſtaben
den Verſuch machen, wie die Muskeln, und Werkzeuge
wuͤrken, wenn ſie einen jeden hervorbringen. Es erfor-
dert alſo z. E. das l. den Dienſt der Griffelzungenmus-
keln (n), von denen die Zunge erhoben, und an den Gau-
men gebracht wird. Zu gleicher Zeit werden ihre Seiten
von den Faſern der Kinnzungenmuskeln, die nach der
Seite aus einander fahren, und dieſe Seiten mit ſich her-
abziehen, niedergezogen. Das Uebrige thut die Bruſt.

Man kann im uͤbrigen nicht zweifeln, daß ſich nicht
aus ſo vielen Grundtoͤnen, die ſich leicht auf ſechs und
zwanzig erſtrekken, eine unzaͤlbare Menge von Woͤrtern
zuſammenſezzen laſſe, ob es gleich nicht moͤglich iſt, dieſe
Menge von Woͤrtern anzugeben (o). Es waͤre nemlich
unmoͤglich, diejenigen Woͤrter aus der Rechnung zu ver-
bannen, welche zwar zu leſen moͤglich ſind, aber wegen

der
(m) [Spaltenumbruch] SCHREIB. Almageſt. S.
358. Er ſagt, daß man nicht eher
deutlich reden koͤnne.
(n) [Spaltenumbruch] B. 9. A. 2. N. 10.
(o) Dieſes hat MALOET ver
richtet, ergo homini vox ſua. S. 21.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0744" n="736[738]"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Die Stimme. <hi rendition="#aq">IX.</hi> Buch.</hi></fw><lb/>
deren Zunge gegen das Verha&#x0364;ltnis der Muskeln zu &#x017F;chwer<lb/>
i&#x017F;t. Es ko&#x0364;nnen ihn auch die mehre&#x017F;ten Kinder &#x017F;chwer-<lb/>
lich vor dem zehnten Jahre aus&#x017F;prechen, oder doch wenig-<lb/>
&#x017F;tens vor der Zeit nicht, ehe nicht der Griffelan&#x017F;azz an den<lb/>
Schla&#x0364;fenknochen vo&#x0364;llig mit &#x017F;einer Pfanne, und &#x017F;einem<lb/>
knochigen Fuße zu&#x017F;ammen gewach&#x017F;en i&#x017F;t <note place="foot" n="(m)"><cb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">SCHREIB.</hi> Almage&#x017F;t.</hi> S.<lb/>
358. Er &#x017F;agt, daß man nicht eher<lb/>
deutlich reden ko&#x0364;nne.</note>. Da er mit<lb/>
dem Buch&#x017F;taben <hi rendition="#fr">l.</hi> verwandt i&#x017F;t, welcher keine Bebungen<lb/>
no&#x0364;thig hat, &#x017F;o &#x017F;prechen diejenigen gemeiniglich <hi rendition="#fr">l.</hi> fu&#x0364;r <hi rendition="#fr">r.</hi><lb/>
aus, denen das <hi rendition="#fr">r.</hi> &#x017F;chwerer fa&#x0364;llt.</p><lb/>
            <p>Die u&#x0364;brigen Mitlauter unter den Buch&#x017F;taben &#x017F;ind,<lb/>
&#x017F;oviel wir wi&#x017F;&#x017F;en, aus den vorigen zu&#x017F;ammenge&#x017F;ezzt, man<lb/>
la&#x0364;&#x017F;t &#x017F;olche &#x017F;chnell auf einander folgen, wie das <hi rendition="#fr">x. z.</hi> und<lb/>
das &#x03A8; der Griechen, das <hi rendition="#fr">t&#x017F;ch</hi> welches die Ru&#x017F;&#x017F;en<lb/>
mit einem einzigen Zeichen ausdru&#x0364;kken, und das griechi&#x017F;che<lb/>
&#x03C1; mit einem ha&#x0364;rtern Hauche.</p><lb/>
            <p>Nunmehr wollen wir bei einem einzigen Buch&#x017F;taben<lb/>
den Ver&#x017F;uch machen, wie die Muskeln, und Werkzeuge<lb/>
wu&#x0364;rken, wenn &#x017F;ie einen jeden hervorbringen. Es erfor-<lb/>
dert al&#x017F;o z. E. das <hi rendition="#fr">l.</hi> den Dien&#x017F;t der Griffelzungenmus-<lb/>
keln <note place="foot" n="(n)"><cb/>
B. 9. A. 2. N. 10.</note>, von denen die Zunge erhoben, und an den Gau-<lb/>
men gebracht wird. Zu gleicher Zeit werden ihre Seiten<lb/>
von den Fa&#x017F;ern der Kinnzungenmuskeln, die nach der<lb/>
Seite aus einander fahren, und die&#x017F;e Seiten mit &#x017F;ich her-<lb/>
abziehen, niedergezogen. Das Uebrige thut die Bru&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Man kann im u&#x0364;brigen nicht zweifeln, daß &#x017F;ich nicht<lb/>
aus &#x017F;o vielen Grundto&#x0364;nen, die &#x017F;ich leicht auf &#x017F;echs und<lb/>
zwanzig er&#x017F;trekken, eine unza&#x0364;lbare Menge von Wo&#x0364;rtern<lb/>
zu&#x017F;ammen&#x017F;ezzen la&#x017F;&#x017F;e, ob es gleich nicht mo&#x0364;glich i&#x017F;t, die&#x017F;e<lb/>
Menge von Wo&#x0364;rtern anzugeben <note place="foot" n="(o)">Die&#x017F;es hat <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">MALOET</hi></hi> ver<lb/>
richtet, <hi rendition="#aq">ergo homini vox &#x017F;ua.</hi> S. 21.</note>. Es wa&#x0364;re nemlich<lb/>
unmo&#x0364;glich, diejenigen Wo&#x0364;rter aus der Rechnung zu ver-<lb/>
bannen, welche zwar zu le&#x017F;en mo&#x0364;glich &#x017F;ind, aber wegen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[736[738]/0744] Die Stimme. IX. Buch. deren Zunge gegen das Verhaͤltnis der Muskeln zu ſchwer iſt. Es koͤnnen ihn auch die mehreſten Kinder ſchwer- lich vor dem zehnten Jahre ausſprechen, oder doch wenig- ſtens vor der Zeit nicht, ehe nicht der Griffelanſazz an den Schlaͤfenknochen voͤllig mit ſeiner Pfanne, und ſeinem knochigen Fuße zuſammen gewachſen iſt (m). Da er mit dem Buchſtaben l. verwandt iſt, welcher keine Bebungen noͤthig hat, ſo ſprechen diejenigen gemeiniglich l. fuͤr r. aus, denen das r. ſchwerer faͤllt. Die uͤbrigen Mitlauter unter den Buchſtaben ſind, ſoviel wir wiſſen, aus den vorigen zuſammengeſezzt, man laͤſt ſolche ſchnell auf einander folgen, wie das x. z. und das Ψ der Griechen, das tſch welches die Ruſſen mit einem einzigen Zeichen ausdruͤkken, und das griechiſche ρ mit einem haͤrtern Hauche. Nunmehr wollen wir bei einem einzigen Buchſtaben den Verſuch machen, wie die Muskeln, und Werkzeuge wuͤrken, wenn ſie einen jeden hervorbringen. Es erfor- dert alſo z. E. das l. den Dienſt der Griffelzungenmus- keln (n), von denen die Zunge erhoben, und an den Gau- men gebracht wird. Zu gleicher Zeit werden ihre Seiten von den Faſern der Kinnzungenmuskeln, die nach der Seite aus einander fahren, und dieſe Seiten mit ſich her- abziehen, niedergezogen. Das Uebrige thut die Bruſt. Man kann im uͤbrigen nicht zweifeln, daß ſich nicht aus ſo vielen Grundtoͤnen, die ſich leicht auf ſechs und zwanzig erſtrekken, eine unzaͤlbare Menge von Woͤrtern zuſammenſezzen laſſe, ob es gleich nicht moͤglich iſt, dieſe Menge von Woͤrtern anzugeben (o). Es waͤre nemlich unmoͤglich, diejenigen Woͤrter aus der Rechnung zu ver- bannen, welche zwar zu leſen moͤglich ſind, aber wegen der (m) SCHREIB. Almageſt. S. 358. Er ſagt, daß man nicht eher deutlich reden koͤnne. (n) B. 9. A. 2. N. 10. (o) Dieſes hat MALOET ver richtet, ergo homini vox ſua. S. 21.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende03_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende03_1766/744
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 3. Berlin, 1766, S. 736[738]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende03_1766/744>, abgerufen am 17.06.2024.