Zu dem Werke des Atemholens wird ein vielfaches Werkzeug erfordert, nämlich die ganze Brust mit ihren zugehörigen Knochen, Bändern, Muskeln, ferner das Zwerchfell, die fleischigen Theile des Bauches, und an- dre fleischige Stellen, die man zum Nakken, Halse und Oberarme gemeiniglich zu rechnen pflegt.
Den Grund zur völligen Wirbelsäule machen die sehr zalreichen kleinen Knöchigen, welche sich, vermittelst ihrer Vergliederungen, Bändern und Muskeln, in eine einzige Säule verwandeln. Es fängt sich diese Säule vom heiligen Beine an, und sie endigt sich am Haupte. Sie ist durchgängig an gesunden Menschen und in so fern gerade, daß sie sich weder auf die linke noch rechte Sei- te mehr neigt; allein die Einpressung der Kleider, oder auch die Krankheiten, pflegen bisweilen diese gerade Linie zu krümmen und ungestalt zu machen. Wir haben selbst die Beobachtung von Wirbelsäulen vor uns, die sich wech- selweise rechter Hand umbogen (a), und sich von da wie- der linker Hand hin wandten. Es ist sehr gewönlich, daß sich das dritte Wirbelbein des Rückgrades ein wenig auf die rechte Seite überbeugt (b).
Doch diese gesammte Säule von Rükkenwirbeln ist alsdenn nicht gerade zu nennen, wenn man auf die Vorder- und Hinterteile des ganzen Körpers sein Absehen richtet; in dieser Betrachtung ist sie schon in der mensch- lichen Frucht gerader, und sie krümmt sich in erwachsnen Menschen mit fo gewechselten Schlängelungen, daß ihr oberes Ende an den Rükken näher zu liegen kömmt, als ihr unteres Ende, oder mehr hinterwerts gelagert ist (c). Wir nennen das Unterende, welches sich mit dem unter- sten Lendenwirbel endigt, und unterhalb diesem Wirbel
läuft
(a)[Spaltenumbruch]Observ. patholog. XI.
(b)CHESELDEN osteo- graphii. C. III.
(c)[Spaltenumbruch]VESAL. L. I. c. XIV. fig. CHESELDEN T. 21.
Das Atemholen. VIII. Buch.
Zu dem Werke des Atemholens wird ein vielfaches Werkzeug erfordert, naͤmlich die ganze Bruſt mit ihren zugehoͤrigen Knochen, Baͤndern, Muſkeln, ferner das Zwerchfell, die fleiſchigen Theile des Bauches, und an- dre fleiſchige Stellen, die man zum Nakken, Halſe und Oberarme gemeiniglich zu rechnen pflegt.
Den Grund zur voͤlligen Wirbelſaͤule machen die ſehr zalreichen kleinen Knoͤchigen, welche ſich, vermittelſt ihrer Vergliederungen, Baͤndern und Muſkeln, in eine einzige Saͤule verwandeln. Es faͤngt ſich dieſe Saͤule vom heiligen Beine an, und ſie endigt ſich am Haupte. Sie iſt durchgaͤngig an geſunden Menſchen und in ſo fern gerade, daß ſie ſich weder auf die linke noch rechte Sei- te mehr neigt; allein die Einpreſſung der Kleider, oder auch die Krankheiten, pflegen bisweilen dieſe gerade Linie zu kruͤmmen und ungeſtalt zu machen. Wir haben ſelbſt die Beobachtung von Wirbelſaͤulen vor uns, die ſich wech- ſelweiſe rechter Hand umbogen (a), und ſich von da wie- der linker Hand hin wandten. Es iſt ſehr gewoͤnlich, daß ſich das dritte Wirbelbein des Ruͤckgrades ein wenig auf die rechte Seite uͤberbeugt (b).
Doch dieſe geſammte Saͤule von Ruͤkkenwirbeln iſt alsdenn nicht gerade zu nennen, wenn man auf die Vorder- und Hinterteile des ganzen Koͤrpers ſein Abſehen richtet; in dieſer Betrachtung iſt ſie ſchon in der menſch- lichen Frucht gerader, und ſie kruͤmmt ſich in erwachſnen Menſchen mit fo gewechſelten Schlaͤngelungen, daß ihr oberes Ende an den Ruͤkken naͤher zu liegen koͤmmt, als ihr unteres Ende, oder mehr hinterwerts gelagert iſt (c). Wir nennen das Unterende, welches ſich mit dem unter- ſten Lendenwirbel endigt, und unterhalb dieſem Wirbel
laͤuft
(a)[Spaltenumbruch]Obſerv. patholog. XI.
(b)CHESELDEN oſteo- graphii. C. III.
(c)[Spaltenumbruch]VESAL. L. I. c. XIV. fig. CHESELDEN T. 21.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0008"n="2"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Das Atemholen. <hirendition="#aq">VIII.</hi> Buch.</hi></fw><lb/><p>Zu dem Werke des Atemholens wird ein vielfaches<lb/>
Werkzeug erfordert, naͤmlich die ganze Bruſt mit ihren<lb/>
zugehoͤrigen Knochen, Baͤndern, Muſkeln, ferner das<lb/>
Zwerchfell, die fleiſchigen Theile des Bauches, und an-<lb/>
dre fleiſchige Stellen, die man zum Nakken, Halſe und<lb/>
Oberarme gemeiniglich zu rechnen pflegt.</p><lb/><p>Den Grund zur voͤlligen Wirbelſaͤule machen die<lb/>ſehr zalreichen kleinen Knoͤchigen, welche ſich, vermittelſt<lb/>
ihrer Vergliederungen, Baͤndern und Muſkeln, in eine<lb/>
einzige Saͤule verwandeln. Es faͤngt ſich dieſe Saͤule<lb/>
vom heiligen Beine an, und ſie endigt ſich am Haupte.<lb/>
Sie iſt durchgaͤngig an geſunden Menſchen und in ſo fern<lb/>
gerade, daß ſie ſich weder auf die linke noch rechte Sei-<lb/>
te mehr neigt; allein die Einpreſſung der Kleider, oder<lb/>
auch die Krankheiten, pflegen bisweilen dieſe gerade Linie<lb/>
zu kruͤmmen und ungeſtalt zu machen. Wir haben ſelbſt<lb/>
die Beobachtung von Wirbelſaͤulen vor uns, die ſich wech-<lb/>ſelweiſe rechter Hand umbogen <noteplace="foot"n="(a)"><cb/><hirendition="#aq">Obſerv. patholog. XI.</hi></note>, und ſich von da wie-<lb/>
der linker Hand hin wandten. Es iſt ſehr gewoͤnlich, daß<lb/>ſich das dritte Wirbelbein des Ruͤckgrades ein wenig auf<lb/>
die rechte Seite uͤberbeugt <noteplace="foot"n="(b)"><hirendition="#aq"><hirendition="#g">CHESELDEN</hi> oſteo-<lb/>
graphii. C. III.</hi></note>.</p><lb/><p>Doch dieſe geſammte Saͤule von Ruͤkkenwirbeln iſt<lb/>
alsdenn nicht gerade zu nennen, wenn man auf die<lb/>
Vorder- und Hinterteile des ganzen Koͤrpers ſein Abſehen<lb/>
richtet; in dieſer Betrachtung iſt ſie ſchon in der menſch-<lb/>
lichen Frucht gerader, und ſie kruͤmmt ſich in erwachſnen<lb/>
Menſchen mit fo gewechſelten Schlaͤngelungen, daß ihr<lb/>
oberes Ende an den Ruͤkken naͤher zu liegen koͤmmt, als<lb/>
ihr unteres Ende, oder mehr hinterwerts gelagert iſt <noteplace="foot"n="(c)"><cb/><hirendition="#aq"><hirendition="#g">VESAL.</hi> L. I. c. XIV. fig.<lb/><hirendition="#g">CHESELDEN</hi> T.</hi> 21.</note>.<lb/>
Wir nennen das Unterende, welches ſich mit dem unter-<lb/>ſten Lendenwirbel endigt, und unterhalb dieſem Wirbel<lb/><fwplace="bottom"type="catch">laͤuft</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[2/0008]
Das Atemholen. VIII. Buch.
Zu dem Werke des Atemholens wird ein vielfaches
Werkzeug erfordert, naͤmlich die ganze Bruſt mit ihren
zugehoͤrigen Knochen, Baͤndern, Muſkeln, ferner das
Zwerchfell, die fleiſchigen Theile des Bauches, und an-
dre fleiſchige Stellen, die man zum Nakken, Halſe und
Oberarme gemeiniglich zu rechnen pflegt.
Den Grund zur voͤlligen Wirbelſaͤule machen die
ſehr zalreichen kleinen Knoͤchigen, welche ſich, vermittelſt
ihrer Vergliederungen, Baͤndern und Muſkeln, in eine
einzige Saͤule verwandeln. Es faͤngt ſich dieſe Saͤule
vom heiligen Beine an, und ſie endigt ſich am Haupte.
Sie iſt durchgaͤngig an geſunden Menſchen und in ſo fern
gerade, daß ſie ſich weder auf die linke noch rechte Sei-
te mehr neigt; allein die Einpreſſung der Kleider, oder
auch die Krankheiten, pflegen bisweilen dieſe gerade Linie
zu kruͤmmen und ungeſtalt zu machen. Wir haben ſelbſt
die Beobachtung von Wirbelſaͤulen vor uns, die ſich wech-
ſelweiſe rechter Hand umbogen (a), und ſich von da wie-
der linker Hand hin wandten. Es iſt ſehr gewoͤnlich, daß
ſich das dritte Wirbelbein des Ruͤckgrades ein wenig auf
die rechte Seite uͤberbeugt (b).
Doch dieſe geſammte Saͤule von Ruͤkkenwirbeln iſt
alsdenn nicht gerade zu nennen, wenn man auf die
Vorder- und Hinterteile des ganzen Koͤrpers ſein Abſehen
richtet; in dieſer Betrachtung iſt ſie ſchon in der menſch-
lichen Frucht gerader, und ſie kruͤmmt ſich in erwachſnen
Menſchen mit fo gewechſelten Schlaͤngelungen, daß ihr
oberes Ende an den Ruͤkken naͤher zu liegen koͤmmt, als
ihr unteres Ende, oder mehr hinterwerts gelagert iſt (c).
Wir nennen das Unterende, welches ſich mit dem unter-
ſten Lendenwirbel endigt, und unterhalb dieſem Wirbel
laͤuft
(a)
Obſerv. patholog. XI.
(b) CHESELDEN oſteo-
graphii. C. III.
(c)
VESAL. L. I. c. XIV. fig.
CHESELDEN T. 21.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 3. Berlin, 1766, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende03_1766/8>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.