solches dadurch wieder her, daß man durch die Haut des Kranken eine Haarschnur zog [Spaltenumbruch]c. Es gieng das Ge- dächtniß nach einer geschlosfenen Wunde verloren, und es kam solches wieder, da man die Wunde zum zweiten- mal öfnete d. Man weiß, daß das Gedächtniß durch den Durchlauf wieder hergestellt worden e. Es verging das Gedächtniß von einem Falle. Der Kranke vergaß so gar die Gebete, und doch stellte man es in kurzen wie- der her [Spaltenumbruch]f. Es ist auch überhaupt nichts seltenes, daß man, sonderlich nach dem Schlagflusse, auf eine Zeitlang die Substantiva vergißt f*, und dennoch läßt sich dieser Verlust blos durchs Aderlassen, und durch wiederholte Ar- zeneien, welche den Leib offen erhalten, ohne grosse Mü- he wieder ersetzen.
Es läßt sich auch noch auf eine andere Weise zeigen, daß die Vorstellungen der Dinge im Gehirne aufbehal- ten werden. Es haben dieselbigen im Gehirne eine be- wundernswürdige Ordnung, und ich kann mich nicht enthalten, dieses wenige vor der Hand, ehe wir noch an das gehörige Buch kommen g, voran zu schicken. Es sind nämlich die Eindrücke der Sinnen nach ihren Klas- sen, Geschlechtern und Arten, verwöge ihrer Verwandt- schaften unter einander, in ihren besondern Gegenden im Gehirne vertheilt, und wenn ich öfters Dinge nach- forsche, welche mir aus dem Gedächtnisse entfallen sind, so führen mich die Reihen der Geschlechter auf die ver- langte Art zurück, welcher ich gleichsam durch diesen Leit- faden nachgespürt habe. Doch es stören auch die Krank- heiten des Gehirns diese Ordnung, wenn der Wahnwitz in Fiebern eine Entzündung der Hirnhäute, die Tollheit und Narrheit, vermöge der Fehler dieses Eingeweides,
in
cEssais of a Societ. at Edimb. T. V. n. 52.
dGiornal. de lettr. T. 18. p. 64.
eBenivenius de abdit. morb. hist. 48.
fHelwig obs. p. 320.
f* Auch Boerhaave hat es morb. nerv. p. 697.
gL. 17.
Das Gehirn und die Nerven. X. Buch.
ſolches dadurch wieder her, daß man durch die Haut des Kranken eine Haarſchnur zog [Spaltenumbruch]c. Es gieng das Ge- daͤchtniß nach einer geſchloſfenen Wunde verloren, und es kam ſolches wieder, da man die Wunde zum zweiten- mal oͤfnete d. Man weiß, daß das Gedaͤchtniß durch den Durchlauf wieder hergeſtellt worden e. Es verging das Gedaͤchtniß von einem Falle. Der Kranke vergaß ſo gar die Gebete, und doch ſtellte man es in kurzen wie- der her [Spaltenumbruch]f. Es iſt auch uͤberhaupt nichts ſeltenes, daß man, ſonderlich nach dem Schlagfluſſe, auf eine Zeitlang die Subſtantiva vergißt f*, und dennoch laͤßt ſich dieſer Verluſt blos durchs Aderlaſſen, und durch wiederholte Ar- zeneien, welche den Leib offen erhalten, ohne groſſe Muͤ- he wieder erſetzen.
Es laͤßt ſich auch noch auf eine andere Weiſe zeigen, daß die Vorſtellungen der Dinge im Gehirne aufbehal- ten werden. Es haben dieſelbigen im Gehirne eine be- wundernswuͤrdige Ordnung, und ich kann mich nicht enthalten, dieſes wenige vor der Hand, ehe wir noch an das gehoͤrige Buch kommen g, voran zu ſchicken. Es ſind naͤmlich die Eindruͤcke der Sinnen nach ihren Klaſ- ſen, Geſchlechtern und Arten, verwoͤge ihrer Verwandt- ſchaften unter einander, in ihren beſondern Gegenden im Gehirne vertheilt, und wenn ich oͤfters Dinge nach- forſche, welche mir aus dem Gedaͤchtniſſe entfallen ſind, ſo fuͤhren mich die Reihen der Geſchlechter auf die ver- langte Art zuruͤck, welcher ich gleichſam durch dieſen Leit- faden nachgeſpuͤrt habe. Doch es ſtoͤren auch die Krank- heiten des Gehirns dieſe Ordnung, wenn der Wahnwitz in Fiebern eine Entzuͤndung der Hirnhaͤute, die Tollheit und Narrheit, vermoͤge der Fehler dieſes Eingeweides,
in
cEſſais of a Societ. at Edimb. T. V. n. 52.
dGiornal. de lettr. T. 18. p. 64.
eBenivenius de abdit. morb. hiſt. 48.
fHelwig obſ. p. 320.
f* Auch Boerhaave hat es morb. nerv. p. 697.
gL. 17.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0534"n="498"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Das Gehirn und die Nerven. <hirendition="#aq">X.</hi> Buch.</hi></fw><lb/>ſolches dadurch wieder her, daß man durch die Haut des<lb/>
Kranken eine Haarſchnur zog <cb/><noteplace="foot"n="c"><hirendition="#aq">Eſſais of a Societ. at Edimb.<lb/>
T. V. n.</hi> 52.</note>. Es gieng das Ge-<lb/>
daͤchtniß nach einer geſchloſfenen Wunde verloren, und<lb/>
es kam ſolches wieder, da man die Wunde zum zweiten-<lb/>
mal oͤfnete <noteplace="foot"n="d"><hirendition="#aq">Giornal. de lettr. T. 18. p.</hi> 64.</note>. Man weiß, daß das Gedaͤchtniß durch<lb/>
den Durchlauf wieder hergeſtellt worden <noteplace="foot"n="e"><hirendition="#aq"><hirendition="#i">Benivenius</hi> de abdit. morb.<lb/>
hiſt.</hi> 48.</note>. Es verging<lb/>
das Gedaͤchtniß von einem Falle. Der Kranke vergaß<lb/>ſo gar die Gebete, und doch ſtellte man es in kurzen wie-<lb/>
der her <cb/><noteplace="foot"n="f"><hirendition="#aq"><hirendition="#i">Helwig</hi> obſ. p.</hi> 320.</note>. Es iſt auch uͤberhaupt nichts ſeltenes, daß<lb/>
man, ſonderlich nach dem Schlagfluſſe, auf eine Zeitlang<lb/>
die Subſtantiva vergißt <noteplace="foot"n="f*">Auch <hirendition="#aq"><hirendition="#i">Boerhaave</hi></hi> hat es <hirendition="#aq">morb.<lb/>
nerv. p.</hi> 697.</note>, und dennoch laͤßt ſich dieſer<lb/>
Verluſt blos durchs Aderlaſſen, und durch wiederholte Ar-<lb/>
zeneien, welche den Leib offen erhalten, ohne groſſe Muͤ-<lb/>
he wieder erſetzen.</p><lb/><p>Es laͤßt ſich auch noch auf eine andere Weiſe zeigen,<lb/>
daß die Vorſtellungen der Dinge im Gehirne aufbehal-<lb/>
ten werden. Es haben dieſelbigen im Gehirne eine be-<lb/>
wundernswuͤrdige Ordnung, und ich kann mich nicht<lb/>
enthalten, dieſes wenige vor der Hand, ehe wir noch an<lb/>
das gehoͤrige Buch kommen <noteplace="foot"n="g"><hirendition="#aq">L.</hi> 17.</note>, voran zu ſchicken. Es<lb/>ſind naͤmlich die Eindruͤcke der Sinnen nach ihren Klaſ-<lb/>ſen, Geſchlechtern und Arten, verwoͤge ihrer Verwandt-<lb/>ſchaften unter einander, in ihren beſondern Gegenden<lb/>
im Gehirne vertheilt, und wenn ich oͤfters Dinge nach-<lb/>
forſche, welche mir aus dem Gedaͤchtniſſe entfallen ſind,<lb/>ſo fuͤhren mich die Reihen der Geſchlechter auf die ver-<lb/>
langte Art zuruͤck, welcher ich gleichſam durch dieſen Leit-<lb/>
faden nachgeſpuͤrt habe. Doch es ſtoͤren auch die Krank-<lb/>
heiten des Gehirns dieſe Ordnung, wenn der Wahnwitz<lb/>
in Fiebern eine Entzuͤndung der Hirnhaͤute, die Tollheit<lb/>
und Narrheit, vermoͤge der Fehler dieſes Eingeweides,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">in</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[498/0534]
Das Gehirn und die Nerven. X. Buch.
ſolches dadurch wieder her, daß man durch die Haut des
Kranken eine Haarſchnur zog
c. Es gieng das Ge-
daͤchtniß nach einer geſchloſfenen Wunde verloren, und
es kam ſolches wieder, da man die Wunde zum zweiten-
mal oͤfnete d. Man weiß, daß das Gedaͤchtniß durch
den Durchlauf wieder hergeſtellt worden e. Es verging
das Gedaͤchtniß von einem Falle. Der Kranke vergaß
ſo gar die Gebete, und doch ſtellte man es in kurzen wie-
der her
f. Es iſt auch uͤberhaupt nichts ſeltenes, daß
man, ſonderlich nach dem Schlagfluſſe, auf eine Zeitlang
die Subſtantiva vergißt f*, und dennoch laͤßt ſich dieſer
Verluſt blos durchs Aderlaſſen, und durch wiederholte Ar-
zeneien, welche den Leib offen erhalten, ohne groſſe Muͤ-
he wieder erſetzen.
Es laͤßt ſich auch noch auf eine andere Weiſe zeigen,
daß die Vorſtellungen der Dinge im Gehirne aufbehal-
ten werden. Es haben dieſelbigen im Gehirne eine be-
wundernswuͤrdige Ordnung, und ich kann mich nicht
enthalten, dieſes wenige vor der Hand, ehe wir noch an
das gehoͤrige Buch kommen g, voran zu ſchicken. Es
ſind naͤmlich die Eindruͤcke der Sinnen nach ihren Klaſ-
ſen, Geſchlechtern und Arten, verwoͤge ihrer Verwandt-
ſchaften unter einander, in ihren beſondern Gegenden
im Gehirne vertheilt, und wenn ich oͤfters Dinge nach-
forſche, welche mir aus dem Gedaͤchtniſſe entfallen ſind,
ſo fuͤhren mich die Reihen der Geſchlechter auf die ver-
langte Art zuruͤck, welcher ich gleichſam durch dieſen Leit-
faden nachgeſpuͤrt habe. Doch es ſtoͤren auch die Krank-
heiten des Gehirns dieſe Ordnung, wenn der Wahnwitz
in Fiebern eine Entzuͤndung der Hirnhaͤute, die Tollheit
und Narrheit, vermoͤge der Fehler dieſes Eingeweides,
in
c Eſſais of a Societ. at Edimb.
T. V. n. 52.
d Giornal. de lettr. T. 18. p. 64.
e Benivenius de abdit. morb.
hiſt. 48.
f Helwig obſ. p. 320.
f* Auch Boerhaave hat es morb.
nerv. p. 697.
g L. 17.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 4. Berlin, 1768, S. 498. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende04_1768/534>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.