Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 4. Berlin, 1768.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Gehirn und die Nerven. X. Buch.
Flüßigkeit in dieselbe einzuführen, von welcher die Em-
pfindung und Bewegung verrichtet werden mag. Jn-
dessen liegt doch noch ein ziemlicher Theil von der wahren
Erkenntniß verborgen, welche wir durch Nachforschen
weiter auszuspüren, bereitwillig sind. Folglich muß
man ein flüßiges Element ausfindig machen, welches zu
den Erscheinungen bei den Sinnen und Bewegungen hin-
länglich sei. Und daher muß man die Bedingungen
feste setzen, welche sich bei solchem Elemente nothwendig
finden müssen, wenn man es als eine empfindende und
bewegende Flüßigkeit gelten lassen soll.

Erstlich muß diese Flüßigkeit äusserst beweglich,
und zugleich von äussester Kraft, und also geschickt sein,
die grösten Bewegungen hervorzubringen, oder von ieder,
auch der allerkleinsten Ursache zu einer kräftigen Bewe-
gung veranlaßt zu werden. Es ist in der That der
Schein der Mondenstrahlen sehr schwach, und von so ge-
ringer Stärke, daß sie nicht die mindeste Wärme her-
vorbringen, wenn man sie gleich mit den allerbesten
Brenngläsern auffängt. Und dennoch wird die Seele
von ihnen sehr lebhaft gerührt, wenn man in den vollen
Mond sieht die allerkleinsten Dinge, die feinsten Buch-
staben und Gerüche, welche gemeiniglich von andern
Menschen nicht empfunden werden, erregen in der Seele
die gröste und so heftige Bewegungen, so wie im Körper,
daß manche, denen der Katzengeruch zuwider ist, Kräm-
pfe bekommen, oder in Ohnmacht fallen, andre bei der
Lesung eines traurigen Briefes plötzlich den Geist aufge-
[Spaltenumbruch]

ben,
für die Geister, der berümte Werl-
hofius
de febre p. 384. L. Heister
compend. p. 166. seqq. III. Medi-
cus Burggravius in plusculis libel-
lis
sonderlich in spirit. anim. im-
mer. exul. Rosen. anat. beskrifn.
p. 201. seq. I. H. Schulze physiol.
p. 77. Apperley obs. p. 34. Anony-
[Spaltenumbruch] mus
auctor. elem. d'anat. rais. p.
283. v. Geuns de vita p. 32. I. Hill
on nerves p. 9. L. du Bois de flui-
di nerv. exsist. Montp. 1755. l. c.
Fermyng
in einem besondern Werk-
gen, darinnen er, die Stimmen,
welche für uns sind, erzählt, phy-
siol. p.
146.

Das Gehirn und die Nerven. X. Buch.
Fluͤßigkeit in dieſelbe einzufuͤhren, von welcher die Em-
pfindung und Bewegung verrichtet werden mag. Jn-
deſſen liegt doch noch ein ziemlicher Theil von der wahren
Erkenntniß verborgen, welche wir durch Nachforſchen
weiter auszuſpuͤren, bereitwillig ſind. Folglich muß
man ein fluͤßiges Element ausfindig machen, welches zu
den Erſcheinungen bei den Sinnen und Bewegungen hin-
laͤnglich ſei. Und daher muß man die Bedingungen
feſte ſetzen, welche ſich bei ſolchem Elemente nothwendig
finden muͤſſen, wenn man es als eine empfindende und
bewegende Fluͤßigkeit gelten laſſen ſoll.

Erſtlich muß dieſe Fluͤßigkeit aͤuſſerſt beweglich,
und zugleich von aͤuſſeſter Kraft, und alſo geſchickt ſein,
die groͤſten Bewegungen hervorzubringen, oder von ieder,
auch der allerkleinſten Urſache zu einer kraͤftigen Bewe-
gung veranlaßt zu werden. Es iſt in der That der
Schein der Mondenſtrahlen ſehr ſchwach, und von ſo ge-
ringer Staͤrke, daß ſie nicht die mindeſte Waͤrme her-
vorbringen, wenn man ſie gleich mit den allerbeſten
Brennglaͤſern auffaͤngt. Und dennoch wird die Seele
von ihnen ſehr lebhaft geruͤhrt, wenn man in den vollen
Mond ſieht die allerkleinſten Dinge, die feinſten Buch-
ſtaben und Geruͤche, welche gemeiniglich von andern
Menſchen nicht empfunden werden, erregen in der Seele
die groͤſte und ſo heftige Bewegungen, ſo wie im Koͤrper,
daß manche, denen der Katzengeruch zuwider iſt, Kraͤm-
pfe bekommen, oder in Ohnmacht fallen, andre bei der
Leſung eines traurigen Briefes ploͤtzlich den Geiſt aufge-
[Spaltenumbruch]

ben,
fuͤr die Geiſter, der beruͤmte Werl-
hofius
de febre p. 384. L. Heiſter
compend. p. 166. ſeqq. III. Medi-
cus Burggravius in plusculis libel-
lis
ſonderlich in ſpirit. anim. im-
mer. exul. Roſen. anat. beskrifn.
p. 201. ſeq. I. H. Schulze phyſiol.
p. 77. Apperley obſ. p. 34. Anony-
[Spaltenumbruch] mus
auctor. elem. d’anat. raiſ. p.
283. v. Geuns de vita p. 32. I. Hill
on nerves p. 9. L. du Bois de flui-
di nerv. exſiſt. Montp. 1755. l. c.
Fermyng
in einem beſondern Werk-
gen, darinnen er, die Stimmen,
welche fuͤr uns ſind, erzaͤhlt, phy-
ſiol. p.
146.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0620" n="584"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das Gehirn und die Nerven. <hi rendition="#aq">X.</hi> Buch.</hi></fw><lb/>
Flu&#x0364;ßigkeit in die&#x017F;elbe einzufu&#x0364;hren, von welcher die Em-<lb/>
pfindung und Bewegung verrichtet werden mag. Jn-<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en liegt doch noch ein ziemlicher Theil von der wahren<lb/>
Erkenntniß verborgen, welche wir durch Nachfor&#x017F;chen<lb/>
weiter auszu&#x017F;pu&#x0364;ren, bereitwillig &#x017F;ind. Folglich muß<lb/>
man ein flu&#x0364;ßiges Element ausfindig machen, welches zu<lb/>
den Er&#x017F;cheinungen bei den Sinnen und Bewegungen hin-<lb/>
la&#x0364;nglich &#x017F;ei. Und daher muß man die Bedingungen<lb/>
fe&#x017F;te &#x017F;etzen, welche &#x017F;ich bei &#x017F;olchem Elemente nothwendig<lb/>
finden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, wenn man es als eine empfindende und<lb/>
bewegende Flu&#x0364;ßigkeit gelten la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;oll.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#fr">Er&#x017F;tlich</hi> muß die&#x017F;e Flu&#x0364;ßigkeit a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;t beweglich,<lb/>
und zugleich von a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;e&#x017F;ter Kraft, und al&#x017F;o ge&#x017F;chickt &#x017F;ein,<lb/>
die gro&#x0364;&#x017F;ten Bewegungen hervorzubringen, oder von ieder,<lb/>
auch der allerklein&#x017F;ten Ur&#x017F;ache zu einer kra&#x0364;ftigen Bewe-<lb/>
gung veranlaßt zu werden. Es i&#x017F;t in der That der<lb/>
Schein der Monden&#x017F;trahlen &#x017F;ehr &#x017F;chwach, und von &#x017F;o ge-<lb/>
ringer Sta&#x0364;rke, daß &#x017F;ie nicht die minde&#x017F;te Wa&#x0364;rme her-<lb/>
vorbringen, wenn man &#x017F;ie gleich mit den allerbe&#x017F;ten<lb/>
Brenngla&#x0364;&#x017F;ern auffa&#x0364;ngt. Und dennoch wird die Seele<lb/>
von ihnen &#x017F;ehr lebhaft geru&#x0364;hrt, wenn man in den vollen<lb/>
Mond &#x017F;ieht die allerklein&#x017F;ten Dinge, die fein&#x017F;ten Buch-<lb/>
&#x017F;taben und Geru&#x0364;che, welche gemeiniglich von andern<lb/>
Men&#x017F;chen nicht empfunden werden, erregen in der Seele<lb/>
die gro&#x0364;&#x017F;te und &#x017F;o heftige Bewegungen, &#x017F;o wie im Ko&#x0364;rper,<lb/>
daß manche, denen der Katzengeruch zuwider i&#x017F;t, Kra&#x0364;m-<lb/>
pfe bekommen, oder in Ohnmacht fallen, andre bei der<lb/>
Le&#x017F;ung eines traurigen Briefes plo&#x0364;tzlich den Gei&#x017F;t aufge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ben,</fw><lb/><cb/>
<note xml:id="f72" prev="#f71" place="foot" n="x">fu&#x0364;r die Gei&#x017F;ter, der beru&#x0364;mte <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Werl-<lb/>
hofius</hi> de febre p. 384. L. <hi rendition="#i">Hei&#x017F;ter</hi><lb/>
compend. p. 166. &#x017F;eqq. III. Medi-<lb/>
cus B<hi rendition="#i">urggravius</hi> in plusculis libel-<lb/>
lis</hi> &#x017F;onderlich <hi rendition="#aq">in &#x017F;pirit. anim. im-<lb/>
mer. exul. <hi rendition="#i">Ro&#x017F;en.</hi> anat. beskrifn.<lb/>
p. 201. &#x017F;eq. <hi rendition="#i">I. H. Schulze</hi> phy&#x017F;iol.<lb/>
p. 77. <hi rendition="#i">Apperley</hi> ob&#x017F;. p. 34. <hi rendition="#i">Anony-<lb/><cb/>
mus</hi> auctor. elem. d&#x2019;anat. rai&#x017F;. p.<lb/>
283. <hi rendition="#i">v. Geuns</hi> de vita p. 32. <hi rendition="#i">I. Hill</hi><lb/>
on nerves p. 9. L. <hi rendition="#i">du Bois</hi> de flui-<lb/>
di nerv. ex&#x017F;i&#x017F;t. Montp. 1755. l. c.<lb/><hi rendition="#i">Fermyng</hi></hi> in einem be&#x017F;ondern Werk-<lb/>
gen, darinnen er, die Stimmen,<lb/>
welche fu&#x0364;r uns &#x017F;ind, erza&#x0364;hlt, <hi rendition="#aq">phy-<lb/>
&#x017F;iol. p.</hi> 146.</note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[584/0620] Das Gehirn und die Nerven. X. Buch. Fluͤßigkeit in dieſelbe einzufuͤhren, von welcher die Em- pfindung und Bewegung verrichtet werden mag. Jn- deſſen liegt doch noch ein ziemlicher Theil von der wahren Erkenntniß verborgen, welche wir durch Nachforſchen weiter auszuſpuͤren, bereitwillig ſind. Folglich muß man ein fluͤßiges Element ausfindig machen, welches zu den Erſcheinungen bei den Sinnen und Bewegungen hin- laͤnglich ſei. Und daher muß man die Bedingungen feſte ſetzen, welche ſich bei ſolchem Elemente nothwendig finden muͤſſen, wenn man es als eine empfindende und bewegende Fluͤßigkeit gelten laſſen ſoll. Erſtlich muß dieſe Fluͤßigkeit aͤuſſerſt beweglich, und zugleich von aͤuſſeſter Kraft, und alſo geſchickt ſein, die groͤſten Bewegungen hervorzubringen, oder von ieder, auch der allerkleinſten Urſache zu einer kraͤftigen Bewe- gung veranlaßt zu werden. Es iſt in der That der Schein der Mondenſtrahlen ſehr ſchwach, und von ſo ge- ringer Staͤrke, daß ſie nicht die mindeſte Waͤrme her- vorbringen, wenn man ſie gleich mit den allerbeſten Brennglaͤſern auffaͤngt. Und dennoch wird die Seele von ihnen ſehr lebhaft geruͤhrt, wenn man in den vollen Mond ſieht die allerkleinſten Dinge, die feinſten Buch- ſtaben und Geruͤche, welche gemeiniglich von andern Menſchen nicht empfunden werden, erregen in der Seele die groͤſte und ſo heftige Bewegungen, ſo wie im Koͤrper, daß manche, denen der Katzengeruch zuwider iſt, Kraͤm- pfe bekommen, oder in Ohnmacht fallen, andre bei der Leſung eines traurigen Briefes ploͤtzlich den Geiſt aufge- ben, x x fuͤr die Geiſter, der beruͤmte Werl- hofius de febre p. 384. L. Heiſter compend. p. 166. ſeqq. III. Medi- cus Burggravius in plusculis libel- lis ſonderlich in ſpirit. anim. im- mer. exul. Roſen. anat. beskrifn. p. 201. ſeq. I. H. Schulze phyſiol. p. 77. Apperley obſ. p. 34. Anony- mus auctor. elem. d’anat. raiſ. p. 283. v. Geuns de vita p. 32. I. Hill on nerves p. 9. L. du Bois de flui- di nerv. exſiſt. Montp. 1755. l. c. Fermyng in einem beſondern Werk- gen, darinnen er, die Stimmen, welche fuͤr uns ſind, erzaͤhlt, phy- ſiol. p. 146.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende04_1768
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende04_1768/620
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 4. Berlin, 1768, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende04_1768/620>, abgerufen am 21.11.2024.