An diesem Bilde drükkt die Grösse nichts (o) von der wahren Grösse des Objects aus, und es ist eine Nadel (p), welche man gegen einen entfernten Thurm hält, eben so groß als dieser Thurm. Doch es befindet sich auch an diesem Bilde kein Unterschied in den verschiedenen Wei- ten (q), indem sich alles gleich nahe, auf einerlei Fläche, die unglaublich dünne ist, abmahlt. Bei dem Bilde be- findet sich auch weder Convexität noch Concavität, son- dern man bemerkt nur lichte und schattigte Stellen auf die- ser vollkommnen Ebene, ja die Ebene wird nicht einmal durchs Gesicht unterschieden, indem dasselbe der Seele nichts als Farben vorhält (r). Diejenigen, welche die Sache auf eine feine Art untersuchen, wollen nicht ein- mal, daß sich Figuren (s) in dem Bilde der Nezzhaut dergestalt ausdrükken, daß der Unterschied eines Würfels von einer Kugel, und der Unterschied dieser von einer Pyramide, durch gefärbte Strahlen bestimmt werde (t), wie es doch in der That gewiß ist, und daß sich kein fester Körper jemals ganz abmahlen lasse, daß sich an einem Würfel aus den vordern Linien, nichts auf die hintern verborgenen Linien unterscheiden lasse, oder daß man et- was aus dem Bilde, auf die gleiche Zwischenräume schlies- sen lasse. Doch es drükkt auch eine sichtbare Bewegung, keine fühlbare Bewegung zugleich aus (u).
So glaubte ein Blinder, der es von der Geburt her war (x), als man ihm nach niedergedrükktem Staare die
Kraft
(o)[Spaltenumbruch]
Es ist keine wesentliche Ver- bindung zwischen der sichtbaren, und der fühlbaren Grösse, BERKLEY p. 264. CONDILLAC des sensat. T. I. p. 166.
(p)BERKLEY p. 283.
(q)IDEM pag. 247. CONDIL- LAC ibid.
(r)p 348. 349.
(s)BERKLEY theory of vis. p. 313. 323. 334. So auch CHE- SELDEN p. 301. DAVIEL in li- teris. Es läugnet PORTERFIELD II. p. 416. sondern die Seele soll [Spaltenumbruch]
erst durch angestrengte Vernunft, die Eigenschaften beider Körper unterscheiden können.
(t) Ein Blinder, der plözzlich sehend gemacht, würde es nicht unterscheiden. BERKLEY p. 328. 329.
(u)p. 332.
(x)CHESELDEN p. 300. seqq. Der Regenb. angewachsen. Hist. de la Chirurg T. III. p. 115. da- hin zielet auch, Add. ACRELL om fosters siukdom. p. 15.
T t t 2
IV. Abſchnitt. Das Sehen.
An dieſem Bilde druͤkkt die Groͤſſe nichts (o) von der wahren Groͤſſe des Objects aus, und es iſt eine Nadel (p), welche man gegen einen entfernten Thurm haͤlt, eben ſo groß als dieſer Thurm. Doch es befindet ſich auch an dieſem Bilde kein Unterſchied in den verſchiedenen Wei- ten (q), indem ſich alles gleich nahe, auf einerlei Flaͤche, die unglaublich duͤnne iſt, abmahlt. Bei dem Bilde be- findet ſich auch weder Convexitaͤt noch Concavitaͤt, ſon- dern man bemerkt nur lichte und ſchattigte Stellen auf die- ſer vollkommnen Ebene, ja die Ebene wird nicht einmal durchs Geſicht unterſchieden, indem daſſelbe der Seele nichts als Farben vorhaͤlt (r). Diejenigen, welche die Sache auf eine feine Art unterſuchen, wollen nicht ein- mal, daß ſich Figuren (s) in dem Bilde der Nezzhaut dergeſtalt ausdruͤkken, daß der Unterſchied eines Wuͤrfels von einer Kugel, und der Unterſchied dieſer von einer Pyramide, durch gefaͤrbte Strahlen beſtimmt werde (t), wie es doch in der That gewiß iſt, und daß ſich kein feſter Koͤrper jemals ganz abmahlen laſſe, daß ſich an einem Wuͤrfel aus den vordern Linien, nichts auf die hintern verborgenen Linien unterſcheiden laſſe, oder daß man et- was aus dem Bilde, auf die gleiche Zwiſchenraͤume ſchlieſ- ſen laſſe. Doch es druͤkkt auch eine ſichtbare Bewegung, keine fuͤhlbare Bewegung zugleich aus (u).
So glaubte ein Blinder, der es von der Geburt her war (x), als man ihm nach niedergedruͤkktem Staare die
Kraft
(o)[Spaltenumbruch]
Es iſt keine weſentliche Ver- bindung zwiſchen der ſichtbaren, und der fuͤhlbaren Groͤſſe, BERKLEY p. 264. CONDILLAC des ſenſat. T. I. p. 166.
(p)BERKLEY p. 283.
(q)IDEM pag. 247. CONDIL- LAC ibid.
(r)p 348. 349.
(s)BERKLEY theory of viſ. p. 313. 323. 334. So auch CHE- SELDEN p. 301. DAVIEL in li- teris. Es laͤugnet PORTERFIELD II. p. 416. ſondern die Seele ſoll [Spaltenumbruch]
erſt durch angeſtrengte Vernunft, die Eigenſchaften beider Koͤrper unterſcheiden koͤnnen.
(t) Ein Blinder, der ploͤzzlich ſehend gemacht, wuͤrde es nicht unterſcheiden. BERKLEY p. 328. 329.
(u)p. 332.
(x)CHESELDEN p. 300. ſeqq. Der Regenb. angewachſen. Hiſt. de la Chirurg T. III. p. 115. da- hin zielet auch, Add. ACRELL om foſters ſiukdom. p. 15.
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IV. Abſchnitt. Das Sehen.
An dieſem Bilde druͤkkt die Groͤſſe nichts (o) von der
wahren Groͤſſe des Objects aus, und es iſt eine Nadel (p),
welche man gegen einen entfernten Thurm haͤlt, eben ſo
groß als dieſer Thurm. Doch es befindet ſich auch an
dieſem Bilde kein Unterſchied in den verſchiedenen Wei-
ten (q), indem ſich alles gleich nahe, auf einerlei Flaͤche,
die unglaublich duͤnne iſt, abmahlt. Bei dem Bilde be-
findet ſich auch weder Convexitaͤt noch Concavitaͤt, ſon-
dern man bemerkt nur lichte und ſchattigte Stellen auf die-
ſer vollkommnen Ebene, ja die Ebene wird nicht einmal
durchs Geſicht unterſchieden, indem daſſelbe der Seele
nichts als Farben vorhaͤlt (r). Diejenigen, welche die
Sache auf eine feine Art unterſuchen, wollen nicht ein-
mal, daß ſich Figuren (s) in dem Bilde der Nezzhaut
dergeſtalt ausdruͤkken, daß der Unterſchied eines Wuͤrfels
von einer Kugel, und der Unterſchied dieſer von einer
Pyramide, durch gefaͤrbte Strahlen beſtimmt werde (t),
wie es doch in der That gewiß iſt, und daß ſich kein feſter
Koͤrper jemals ganz abmahlen laſſe, daß ſich an einem
Wuͤrfel aus den vordern Linien, nichts auf die hintern
verborgenen Linien unterſcheiden laſſe, oder daß man et-
was aus dem Bilde, auf die gleiche Zwiſchenraͤume ſchlieſ-
ſen laſſe. Doch es druͤkkt auch eine ſichtbare Bewegung,
keine fuͤhlbare Bewegung zugleich aus (u).
So glaubte ein Blinder, der es von der Geburt her
war (x), als man ihm nach niedergedruͤkktem Staare die
Kraft
(o)
Es iſt keine weſentliche Ver-
bindung zwiſchen der ſichtbaren, und
der fuͤhlbaren Groͤſſe, BERKLEY
p. 264. CONDILLAC des ſenſat.
T. I. p. 166.
(p) BERKLEY p. 283.
(q) IDEM pag. 247. CONDIL-
LAC ibid.
(r) p 348. 349.
(s) BERKLEY theory of viſ.
p. 313. 323. 334. So auch CHE-
SELDEN p. 301. DAVIEL in li-
teris. Es laͤugnet PORTERFIELD
II. p. 416. ſondern die Seele ſoll
erſt durch angeſtrengte Vernunft,
die Eigenſchaften beider Koͤrper
unterſcheiden koͤnnen.
(t) Ein Blinder, der ploͤzzlich
ſehend gemacht, wuͤrde es nicht
unterſcheiden. BERKLEY p. 328.
329.
(u) p. 332.
(x) CHESELDEN p. 300. ſeqq.
Der Regenb. angewachſen. Hiſt.
de la Chirurg T. III. p. 115. da-
hin zielet auch, Add. ACRELL om
foſters ſiukdom. p. 15.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1027. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1045>, abgerufen am 22.11.2024.
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