Die Beurtheilungskraft beschäftiget sich, Jdeen von einander zu unterscheiden, und der Wizz verbindet sie. Es findet nämlich diese Fähigkeit der Seele an den ver- glichenen Jdeen Gleichheiten, welche einen desto grössern Wizz erfordern, je verstekkter sie sind, und je tiefer sie in der Natur beider Jdeen verborgen liegen. Wenn sich Leibniz über die vergebliche Bemühungen in Verglei- chung der Rechnung des Unendlichen, des Virgilischen Verses bedient:
Kömmt es aber zu den vulkanischen Waffen; so zerspringt dagegen das Schwerdt der Sterblichen, wie ein nichtswürdiges Stükk Eis,
so findet er hier auf eine wizzige Art diejenige Gleichheit, die sich zwischen den gemeinen Zahlen, so sich durch den gemeinen Algorithmus entwikkeln lassen, und zwischen den subtilen und verborgnen Berechnungen zeiget, welche sich blos durch die Rechnung des Unendlichen auflösen lassen: diese vergleicht er mit einem Götterschwerdte, wel- ches alles zerschneidet, jene Zahlen aber mit einem schwa- chen und zerbrechlichen Jnstrumente. Wenn Newton aus dem Falle eines Apfels vom Baume, auf die Schwe- re, als das vornehmste Gesezz der ganzen Welt schlos, so entdekkte sein Geist eine sehr verstekkte Aehnlichkeit (g).
Es erhellet hieraus, warum der Wizz schnell wirke, denn es darf nur in einem einzigen Begriffe eine gewisse besondere Aehnlichkeit vorhanden sein, und warum es oft den wizzigen Köpfen an Beurtheilung fehle. Es beruhen nämlich die Erfindungen auf irgend einer Aehnlichkeit, und man erwäget nicht alle besondere Begriffe in einer langsamen Untersuchung, um ihre Unterschiede zu finden.
Da
(g)BONNET p. 313.
I. Abſchnitt. Der Verſtand.
§. 13. Der Wizz.
Die Beurtheilungskraft beſchaͤftiget ſich, Jdeen von einander zu unterſcheiden, und der Wizz verbindet ſie. Es findet naͤmlich dieſe Faͤhigkeit der Seele an den ver- glichenen Jdeen Gleichheiten, welche einen deſto groͤſſern Wizz erfordern, je verſtekkter ſie ſind, und je tiefer ſie in der Natur beider Jdeen verborgen liegen. Wenn ſich Leibniz uͤber die vergebliche Bemuͤhungen in Verglei- chung der Rechnung des Unendlichen, des Virgiliſchen Verſes bedient:
Koͤmmt es aber zu den vulkaniſchen Waffen; ſo zerſpringt dagegen das Schwerdt der Sterblichen, wie ein nichtswuͤrdiges Stuͤkk Eis,
ſo findet er hier auf eine wizzige Art diejenige Gleichheit, die ſich zwiſchen den gemeinen Zahlen, ſo ſich durch den gemeinen Algorithmus entwikkeln laſſen, und zwiſchen den ſubtilen und verborgnen Berechnungen zeiget, welche ſich blos durch die Rechnung des Unendlichen aufloͤſen laſſen: dieſe vergleicht er mit einem Goͤtterſchwerdte, wel- ches alles zerſchneidet, jene Zahlen aber mit einem ſchwa- chen und zerbrechlichen Jnſtrumente. Wenn Newton aus dem Falle eines Apfels vom Baume, auf die Schwe- re, als das vornehmſte Geſezz der ganzen Welt ſchlos, ſo entdekkte ſein Geiſt eine ſehr verſtekkte Aehnlichkeit (g).
Es erhellet hieraus, warum der Wizz ſchnell wirke, denn es darf nur in einem einzigen Begriffe eine gewiſſe beſondere Aehnlichkeit vorhanden ſein, und warum es oft den wizzigen Koͤpfen an Beurtheilung fehle. Es beruhen naͤmlich die Erfindungen auf irgend einer Aehnlichkeit, und man erwaͤget nicht alle beſondere Begriffe in einer langſamen Unterſuchung, um ihre Unterſchiede zu finden.
Da
(g)BONNET p. 313.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f1103"n="1085"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">I.</hi> Abſchnitt. Der Verſtand.</hi></fw><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b">§. 13.<lb/><hirendition="#g">Der Wizz.</hi></hi></head><lb/><p>Die Beurtheilungskraft beſchaͤftiget ſich, Jdeen von<lb/>
einander zu unterſcheiden, und der Wizz verbindet ſie.<lb/>
Es findet naͤmlich dieſe Faͤhigkeit der Seele an den ver-<lb/>
glichenen Jdeen Gleichheiten, welche einen deſto groͤſſern<lb/>
Wizz erfordern, je verſtekkter ſie ſind, und je tiefer ſie in<lb/>
der Natur beider Jdeen verborgen liegen. Wenn ſich<lb/><hirendition="#fr">Leibniz</hi> uͤber die vergebliche Bemuͤhungen in Verglei-<lb/>
chung der Rechnung des Unendlichen, des <hirendition="#fr">Virgiliſchen</hi><lb/>
Verſes bedient:</p><lb/><p><hirendition="#fr">Koͤmmt es aber zu den vulkaniſchen Waffen;<lb/>ſo zerſpringt dagegen das Schwerdt der Sterblichen,<lb/>
wie ein nichtswuͤrdiges Stuͤkk Eis,</hi></p><lb/><p>ſo findet er hier auf eine wizzige Art diejenige Gleichheit,<lb/>
die ſich zwiſchen den gemeinen Zahlen, ſo ſich durch<lb/>
den gemeinen Algorithmus entwikkeln laſſen, und zwiſchen<lb/>
den ſubtilen und verborgnen Berechnungen zeiget, welche<lb/>ſich blos durch die Rechnung des Unendlichen aufloͤſen<lb/>
laſſen: dieſe vergleicht er mit einem Goͤtterſchwerdte, wel-<lb/>
ches alles zerſchneidet, jene Zahlen aber mit einem ſchwa-<lb/>
chen und zerbrechlichen Jnſtrumente. Wenn <hirendition="#fr">Newton</hi><lb/>
aus dem Falle eines Apfels vom Baume, auf die Schwe-<lb/>
re, als das vornehmſte Geſezz der ganzen Welt ſchlos,<lb/>ſo entdekkte ſein Geiſt eine ſehr verſtekkte Aehnlichkeit <noteplace="foot"n="(g)"><hirendition="#aq">BONNET p.</hi> 313.</note>.</p><lb/><p>Es erhellet hieraus, warum der Wizz ſchnell wirke,<lb/>
denn es darf nur in einem einzigen Begriffe eine gewiſſe<lb/>
beſondere Aehnlichkeit vorhanden ſein, und warum es oft<lb/>
den wizzigen Koͤpfen an Beurtheilung fehle. Es beruhen<lb/>
naͤmlich die Erfindungen auf irgend einer Aehnlichkeit,<lb/>
und man erwaͤget nicht alle beſondere Begriffe in einer<lb/>
langſamen Unterſuchung, um ihre Unterſchiede zu finden.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Da</fw><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[1085/1103]
I. Abſchnitt. Der Verſtand.
§. 13.
Der Wizz.
Die Beurtheilungskraft beſchaͤftiget ſich, Jdeen von
einander zu unterſcheiden, und der Wizz verbindet ſie.
Es findet naͤmlich dieſe Faͤhigkeit der Seele an den ver-
glichenen Jdeen Gleichheiten, welche einen deſto groͤſſern
Wizz erfordern, je verſtekkter ſie ſind, und je tiefer ſie in
der Natur beider Jdeen verborgen liegen. Wenn ſich
Leibniz uͤber die vergebliche Bemuͤhungen in Verglei-
chung der Rechnung des Unendlichen, des Virgiliſchen
Verſes bedient:
Koͤmmt es aber zu den vulkaniſchen Waffen;
ſo zerſpringt dagegen das Schwerdt der Sterblichen,
wie ein nichtswuͤrdiges Stuͤkk Eis,
ſo findet er hier auf eine wizzige Art diejenige Gleichheit,
die ſich zwiſchen den gemeinen Zahlen, ſo ſich durch
den gemeinen Algorithmus entwikkeln laſſen, und zwiſchen
den ſubtilen und verborgnen Berechnungen zeiget, welche
ſich blos durch die Rechnung des Unendlichen aufloͤſen
laſſen: dieſe vergleicht er mit einem Goͤtterſchwerdte, wel-
ches alles zerſchneidet, jene Zahlen aber mit einem ſchwa-
chen und zerbrechlichen Jnſtrumente. Wenn Newton
aus dem Falle eines Apfels vom Baume, auf die Schwe-
re, als das vornehmſte Geſezz der ganzen Welt ſchlos,
ſo entdekkte ſein Geiſt eine ſehr verſtekkte Aehnlichkeit (g).
Es erhellet hieraus, warum der Wizz ſchnell wirke,
denn es darf nur in einem einzigen Begriffe eine gewiſſe
beſondere Aehnlichkeit vorhanden ſein, und warum es oft
den wizzigen Koͤpfen an Beurtheilung fehle. Es beruhen
naͤmlich die Erfindungen auf irgend einer Aehnlichkeit,
und man erwaͤget nicht alle beſondere Begriffe in einer
langſamen Unterſuchung, um ihre Unterſchiede zu finden.
Da
(g) BONNET p. 313.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1085. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1103>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.