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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

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Der Schlaf. XVII. Buch.
lebhafter. Man mus dieses auf die Einsamkeit, auf die
Ruhe, und die Aufmerksamkeit auf ein einziges Objekt
schieben. Schwerlich wird ein gesunder Mensch jemals
bei noch so wohllüstigen Gedanken den Saamen von sich
lassen. Und dieses geschicht dennoch im Traume, in ei-
nem gewissen Alter, und nicht leichtlich im hohen Alter, hin-
gegen leicht an jungen Leuten: selbst die Muskeln, welche
ihn heraustreiben, wirken stärker, als im Wachen selbst
(n). Diese Lebhaftigkeit der Träume ist daher so überre-
dend, daß wir sie glauben müssen.

Doch es stellt sich die Empfindung, die am Traume
Schuld ist, weder ganz allein, noch ungemischt der Seele
dar (o). Es bildet sich nach dem Gesezze ähnlicher Verbin-
dungen in den Jdeen, bei Gelegenheit eines einfachen Rei-
zes, die Jdee einer|schönen, und geliebten Frauensperson,
in der Seele ab, um welche man sich bewirbt, und welche
willig ist: die Seele sucht sich ein Lager der Liebe, und sie
schaffet alles zu der Eroberung gehörige bald herbei. Nach
und nach nähert sich auf das erste Gespräche die gehofte
Wohllust mehr und mehr (p), so wie die Bildersprache der
Aengstlichkeit der Seele nach und nach, und schrittweise
immer beschwerlicher wird. So sahe ich im Fieber, da ich
übermäßige Hizze ausstehen muste, ein Feuerreich vor
mir, und vom ganzen Horizonte hergewälzte Flammen
über mich schlagen. Der Durst stellt uns (q) Spring-
brunnen, und überhängende Wälder auf das allerlebhaf-
teste vor.

Eine völlige Gesundheit mahlt sich bei mir unter dem
Bilde des Fluges ab, und ich wundre mich, daß ich mich
mit den Füssen über die Erde erheben, und ohne sie zu be-
rühren, durch die Luft streichen kann.

Die
(n) [Spaltenumbruch] Histoire de l'ame pag. 117.
281.
(o) Conf. BONNET pag. 412.
413. NEEDHAM obs. pag. 449.
NICOLAI Einbild. p. 32. FOR-
MEY p.
321.
(p) [Spaltenumbruch] So verstehe ich den Cl. FOR-
MEY,
welcher sagt, die im An-
fange des Schlafes unkräftige Em-
pfindung, werde allmälich grösser
p. 328.
(q) BONNET p. 133.

Der Schlaf. XVII. Buch.
lebhafter. Man mus dieſes auf die Einſamkeit, auf die
Ruhe, und die Aufmerkſamkeit auf ein einziges Objekt
ſchieben. Schwerlich wird ein geſunder Menſch jemals
bei noch ſo wohlluͤſtigen Gedanken den Saamen von ſich
laſſen. Und dieſes geſchicht dennoch im Traume, in ei-
nem gewiſſen Alter, und nicht leichtlich im hohen Alter, hin-
gegen leicht an jungen Leuten: ſelbſt die Muſkeln, welche
ihn heraustreiben, wirken ſtaͤrker, als im Wachen ſelbſt
(n). Dieſe Lebhaftigkeit der Traͤume iſt daher ſo uͤberre-
dend, daß wir ſie glauben muͤſſen.

Doch es ſtellt ſich die Empfindung, die am Traume
Schuld iſt, weder ganz allein, noch ungemiſcht der Seele
dar (o). Es bildet ſich nach dem Geſezze aͤhnlicher Verbin-
dungen in den Jdeen, bei Gelegenheit eines einfachen Rei-
zes, die Jdee einer|ſchoͤnen, und geliebten Frauensperſon,
in der Seele ab, um welche man ſich bewirbt, und welche
willig iſt: die Seele ſucht ſich ein Lager der Liebe, und ſie
ſchaffet alles zu der Eroberung gehoͤrige bald herbei. Nach
und nach naͤhert ſich auf das erſte Geſpraͤche die gehofte
Wohlluſt mehr und mehr (p), ſo wie die Bilderſprache der
Aengſtlichkeit der Seele nach und nach, und ſchrittweiſe
immer beſchwerlicher wird. So ſahe ich im Fieber, da ich
uͤbermaͤßige Hizze ausſtehen muſte, ein Feuerreich vor
mir, und vom ganzen Horizonte hergewaͤlzte Flammen
uͤber mich ſchlagen. Der Durſt ſtellt uns (q) Spring-
brunnen, und uͤberhaͤngende Waͤlder auf das allerlebhaf-
teſte vor.

Eine voͤllige Geſundheit mahlt ſich bei mir unter dem
Bilde des Fluges ab, und ich wundre mich, daß ich mich
mit den Fuͤſſen uͤber die Erde erheben, und ohne ſie zu be-
ruͤhren, durch die Luft ſtreichen kann.

Die
(n) [Spaltenumbruch] Hiſtoire de l’ame pag. 117.
281.
(o) Conf. BONNET pag. 412.
413. NEEDHAM obſ. pag. 449.
NICOLAI Einbild. p. 32. FOR-
MEY p.
321.
(p) [Spaltenumbruch] So verſtehe ich den Cl. FOR-
MEY,
welcher ſagt, die im An-
fange des Schlafes unkraͤftige Em-
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p. 328.
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[1178/1196] Der Schlaf. XVII. Buch. lebhafter. Man mus dieſes auf die Einſamkeit, auf die Ruhe, und die Aufmerkſamkeit auf ein einziges Objekt ſchieben. Schwerlich wird ein geſunder Menſch jemals bei noch ſo wohlluͤſtigen Gedanken den Saamen von ſich laſſen. Und dieſes geſchicht dennoch im Traume, in ei- nem gewiſſen Alter, und nicht leichtlich im hohen Alter, hin- gegen leicht an jungen Leuten: ſelbſt die Muſkeln, welche ihn heraustreiben, wirken ſtaͤrker, als im Wachen ſelbſt (n). Dieſe Lebhaftigkeit der Traͤume iſt daher ſo uͤberre- dend, daß wir ſie glauben muͤſſen. Doch es ſtellt ſich die Empfindung, die am Traume Schuld iſt, weder ganz allein, noch ungemiſcht der Seele dar (o). Es bildet ſich nach dem Geſezze aͤhnlicher Verbin- dungen in den Jdeen, bei Gelegenheit eines einfachen Rei- zes, die Jdee einer|ſchoͤnen, und geliebten Frauensperſon, in der Seele ab, um welche man ſich bewirbt, und welche willig iſt: die Seele ſucht ſich ein Lager der Liebe, und ſie ſchaffet alles zu der Eroberung gehoͤrige bald herbei. Nach und nach naͤhert ſich auf das erſte Geſpraͤche die gehofte Wohlluſt mehr und mehr (p), ſo wie die Bilderſprache der Aengſtlichkeit der Seele nach und nach, und ſchrittweiſe immer beſchwerlicher wird. So ſahe ich im Fieber, da ich uͤbermaͤßige Hizze ausſtehen muſte, ein Feuerreich vor mir, und vom ganzen Horizonte hergewaͤlzte Flammen uͤber mich ſchlagen. Der Durſt ſtellt uns (q) Spring- brunnen, und uͤberhaͤngende Waͤlder auf das allerlebhaf- teſte vor. Eine voͤllige Geſundheit mahlt ſich bei mir unter dem Bilde des Fluges ab, und ich wundre mich, daß ich mich mit den Fuͤſſen uͤber die Erde erheben, und ohne ſie zu be- ruͤhren, durch die Luft ſtreichen kann. Die (n) Hiſtoire de l’ame pag. 117. 281. (o) Conf. BONNET pag. 412. 413. NEEDHAM obſ. pag. 449. NICOLAI Einbild. p. 32. FOR- MEY p. 321. (p) So verſtehe ich den Cl. FOR- MEY, welcher ſagt, die im An- fange des Schlafes unkraͤftige Em- pfindung, werde allmaͤlich groͤſſer p. 328. (q) BONNET p. 133.

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1196>, abgerufen am 23.11.2024.