haupt ein Geschäfte des Nerven: indem nicht nur der Nerve ganz allein (a), sondern auch alle und jede Ner- ven (b) von den Körpern, die den menschlichen Körper berühren, dergestalt verändert werden, daß davon in unsrer Seele eine Veränderung entsteht, wodurch sich die Seele bewust wird, daß in ihrem Körper einige Verän- derung vorgegangen ist.
Folglich empfindet der Nerve Wärme und Kälte, er unterscheidet das Rauhe und Glatte, das Harte und Wei- che, das Feuchte und Trokkene, das Schwere, welches durch seine Figur oder durch Schärfe, Schmerzen macht, die Blutanhäufungen, woraus Beängstigung erwächst, die Schärfe, welche auch ohne Schmerzen reizt (c), die Ur- sachen des Kizzels, woraus ein Jukken wird, und alles, was nur unser Körper von andern Körpern leidet. Jch habe oft darüber einen unbarmherzigen Versuch an dem entblösten Nerven eines zerfressnen Zahnes angestellt, wel- cher alle diese Eigenschaften der Körper auf das lebhafteste empfindet. Folglich herrscht diese Art des Gefühls allent- halben im menschlichen Körper (d), und nicht nur in der Haut allein, sondern auch inwendig im Körper, wovon man am Magen und den Gedärmen ein deutliches Bei- spiel hat, noch mehr aber, wo viele Nerven liegen, als am Auge, an der Zunge, und der Spizze des männlichen Glie- des, hingegen weniger, wo es weniger Nerven giebt, als an einigen Stellen der Haut (e), an den Eingeweiden
(e*),
(a)[Spaltenumbruch]
Zehndes Buch.
(b) Eben daselbst.
(c) Ein Exempel davon ist die Nase mit dem fliessenden Schnu- pfen.
(d) Dieses ist das Gefühl, wel- ches keiner Wärzchen bedarf, nach dem Claudius Perraultdu tou- cher. pag. 94. des sens exterieurs pag. 39. wo es, wiewohl nicht zum besten, so gegeben ist, das Gefühl [Spaltenumbruch]
sei ein Geschäfte, da die Seele auf die stärkre Bewegungen acht giebt, welche den Zusammenhang der Theile aufheben. Des HAIS nennt es, eine Empfindung des Schmerzens, am angefürten Orte.
(e) Ueber dem inneren Knopfe des Schulterbeins, SAUVAGES diss. sur l action des medec. p. 14. dennoch fült meine Haut auch an dieser Stelle.
Das Gefuͤhl. XII. Buch.
haupt ein Geſchaͤfte des Nerven: indem nicht nur der Nerve ganz allein (a), ſondern auch alle und jede Ner- ven (b) von den Koͤrpern, die den menſchlichen Koͤrper beruͤhren, dergeſtalt veraͤndert werden, daß davon in unſrer Seele eine Veraͤnderung entſteht, wodurch ſich die Seele bewuſt wird, daß in ihrem Koͤrper einige Veraͤn- derung vorgegangen iſt.
Folglich empfindet der Nerve Waͤrme und Kaͤlte, er unterſcheidet das Rauhe und Glatte, das Harte und Wei- che, das Feuchte und Trokkene, das Schwere, welches durch ſeine Figur oder durch Schaͤrfe, Schmerzen macht, die Blutanhaͤufungen, woraus Beaͤngſtigung erwaͤchſt, die Schaͤrfe, welche auch ohne Schmerzen reizt (c), die Ur- ſachen des Kizzels, woraus ein Jukken wird, und alles, was nur unſer Koͤrper von andern Koͤrpern leidet. Jch habe oft daruͤber einen unbarmherzigen Verſuch an dem entbloͤſten Nerven eines zerfreſſnen Zahnes angeſtellt, wel- cher alle dieſe Eigenſchaften der Koͤrper auf das lebhafteſte empfindet. Folglich herrſcht dieſe Art des Gefuͤhls allent- halben im menſchlichen Koͤrper (d), und nicht nur in der Haut allein, ſondern auch inwendig im Koͤrper, wovon man am Magen und den Gedaͤrmen ein deutliches Bei- ſpiel hat, noch mehr aber, wo viele Nerven liegen, als am Auge, an der Zunge, und der Spizze des maͤnnlichen Glie- des, hingegen weniger, wo es weniger Nerven giebt, als an einigen Stellen der Haut (e), an den Eingeweiden
(e*),
(a)[Spaltenumbruch]
Zehndes Buch.
(b) Eben daſelbſt.
(c) Ein Exempel davon iſt die Naſe mit dem flieſſenden Schnu- pfen.
(d) Dieſes iſt das Gefuͤhl, wel- ches keiner Waͤrzchen bedarf, nach dem Claudius Perraultdu tou- cher. pag. 94. des ſens exterieurs pag. 39. wo es, wiewohl nicht zum beſten, ſo gegeben iſt, das Gefuͤhl [Spaltenumbruch]
ſei ein Geſchaͤfte, da die Seele auf die ſtaͤrkre Bewegungen acht giebt, welche den Zuſammenhang der Theile aufheben. Des HAIS nennt es, eine Empfindung des Schmerzens, am angefuͤrten Orte.
(e) Ueber dem inneren Knopfe des Schulterbeins, SAUVAGES diſſ. ſur l action des medec. p. 14. dennoch fuͤlt meine Haut auch an dieſer Stelle.
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Das Gefuͤhl. XII. Buch.
haupt ein Geſchaͤfte des Nerven: indem nicht nur der
Nerve ganz allein (a), ſondern auch alle und jede Ner-
ven (b) von den Koͤrpern, die den menſchlichen Koͤrper
beruͤhren, dergeſtalt veraͤndert werden, daß davon in
unſrer Seele eine Veraͤnderung entſteht, wodurch ſich die
Seele bewuſt wird, daß in ihrem Koͤrper einige Veraͤn-
derung vorgegangen iſt.
Folglich empfindet der Nerve Waͤrme und Kaͤlte, er
unterſcheidet das Rauhe und Glatte, das Harte und Wei-
che, das Feuchte und Trokkene, das Schwere, welches
durch ſeine Figur oder durch Schaͤrfe, Schmerzen macht,
die Blutanhaͤufungen, woraus Beaͤngſtigung erwaͤchſt, die
Schaͤrfe, welche auch ohne Schmerzen reizt (c), die Ur-
ſachen des Kizzels, woraus ein Jukken wird, und alles,
was nur unſer Koͤrper von andern Koͤrpern leidet. Jch
habe oft daruͤber einen unbarmherzigen Verſuch an dem
entbloͤſten Nerven eines zerfreſſnen Zahnes angeſtellt, wel-
cher alle dieſe Eigenſchaften der Koͤrper auf das lebhafteſte
empfindet. Folglich herrſcht dieſe Art des Gefuͤhls allent-
halben im menſchlichen Koͤrper (d), und nicht nur in der
Haut allein, ſondern auch inwendig im Koͤrper, wovon
man am Magen und den Gedaͤrmen ein deutliches Bei-
ſpiel hat, noch mehr aber, wo viele Nerven liegen, als am
Auge, an der Zunge, und der Spizze des maͤnnlichen Glie-
des, hingegen weniger, wo es weniger Nerven giebt, als
an einigen Stellen der Haut (e), an den Eingeweiden
(e*),
(a)
Zehndes Buch.
(b) Eben daſelbſt.
(c) Ein Exempel davon iſt die
Naſe mit dem flieſſenden Schnu-
pfen.
(d) Dieſes iſt das Gefuͤhl, wel-
ches keiner Waͤrzchen bedarf, nach
dem Claudius Perrault du tou-
cher. pag. 94. des ſens exterieurs
pag. 39. wo es, wiewohl nicht zum
beſten, ſo gegeben iſt, das Gefuͤhl
ſei ein Geſchaͤfte, da die Seele auf
die ſtaͤrkre Bewegungen acht giebt,
welche den Zuſammenhang der
Theile aufheben. Des HAIS
nennt es, eine Empfindung des
Schmerzens, am angefuͤrten Orte.
(e) Ueber dem inneren Knopfe
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diſſ. ſur l action des medec. p. 14.
dennoch fuͤlt meine Haut auch an
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/250>, abgerufen am 24.11.2024.
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