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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

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Der Geschmak. XIII. Buch.
in die äussere Haut der Zunge eingeflochten wären, nicht
ins Fleischige giengen, die Nerven aber des neunten Paa-
res sich in die Muskeln vertheilten.

Hingegen bildete sich unser ehemaliger Lehrer (k) ein,
daß blos der neunte Nerve in die Zunge gehe, daß sich
der fünfte auch in andre Theile des Körpers erstrekke,
folglich scheine es billig zu sein, das besondere Amt der
Zunge von einem Nerven zu erwarten, welcher schon selbst
der Zunge eigentümlich angehört. Auch andre folgten
dem Gedanken dieses vortreflichen Mannes, wie es zu ge-
hen pflegt, nach (l).

Doch es scheint, daß man beide Säzze dieses vortref-
lichen Mannes bestreiten könne. Denn die Zunge ver-
richtet nicht durchgängig den Geschmak allein (m), und
es theilt sich der Nerve des neunten Paares, ausser der
Zunge, noch vielen andern Nerven mit (n). Es ist aber
billig, den Geschmak von demjenigen Nerven zu erwarten,
dessen Aeste sich in den Theilen der Zunge ausbreiten, die
die meiste Empfindung haben. Nun erstrekkt sich blos
der fünfte in die Spizze der Zunge (o), wo der schärfste
Geschmak seinen Sizz hat, und der neunte endigt sich viel
ehe. Und von diesem Nerven allein, der tief in die Zunge
eindringt, habe ich die kleine Aeste bis in die Wärzchen
verfolgt.

Doch es scheinen auch die Krankheiten unsrer Meinung
zu statten zu kommen. Es hörte der Geschmak im Hunds-
krampfe auf, woran ein Fehler des fünften Nerven
Schuld zu sein schien (p): wenigstens war der Speichel-
fluß und Hundskrampf davon entstanden (q). Dieser
ist es und nicht der neunte, welcher den Muskeln des

Kinn-
(k) [Spaltenumbruch] I. R. M. n. 486.
(l) MONROO beim CHE-
SELDEN
p. 238. SCHLICH-
TING ad VERBRUGGE p.
150.
(m) Buch XIII. Abschn. 1. §. 1.
(n) Buch X.
(o) [Spaltenumbruch] BIDLOO tab. 14. f. 1.
BERRETTINI tab. 10. 12. 13. f.
2.
(p) Eph. Nat. Cur. Vol. VIII.
obs.
86.
(q) MONROO on nerves p.
392.

Der Geſchmak. XIII. Buch.
in die aͤuſſere Haut der Zunge eingeflochten waͤren, nicht
ins Fleiſchige giengen, die Nerven aber des neunten Paa-
res ſich in die Muſkeln vertheilten.

Hingegen bildete ſich unſer ehemaliger Lehrer (k) ein,
daß blos der neunte Nerve in die Zunge gehe, daß ſich
der fuͤnfte auch in andre Theile des Koͤrpers erſtrekke,
folglich ſcheine es billig zu ſein, das beſondere Amt der
Zunge von einem Nerven zu erwarten, welcher ſchon ſelbſt
der Zunge eigentuͤmlich angehoͤrt. Auch andre folgten
dem Gedanken dieſes vortreflichen Mannes, wie es zu ge-
hen pflegt, nach (l).

Doch es ſcheint, daß man beide Saͤzze dieſes vortref-
lichen Mannes beſtreiten koͤnne. Denn die Zunge ver-
richtet nicht durchgaͤngig den Geſchmak allein (m), und
es theilt ſich der Nerve des neunten Paares, auſſer der
Zunge, noch vielen andern Nerven mit (n). Es iſt aber
billig, den Geſchmak von demjenigen Nerven zu erwarten,
deſſen Aeſte ſich in den Theilen der Zunge ausbreiten, die
die meiſte Empfindung haben. Nun erſtrekkt ſich blos
der fuͤnfte in die Spizze der Zunge (o), wo der ſchaͤrfſte
Geſchmak ſeinen Sizz hat, und der neunte endigt ſich viel
ehe. Und von dieſem Nerven allein, der tief in die Zunge
eindringt, habe ich die kleine Aeſte bis in die Waͤrzchen
verfolgt.

Doch es ſcheinen auch die Krankheiten unſrer Meinung
zu ſtatten zu kommen. Es hoͤrte der Geſchmak im Hunds-
krampfe auf, woran ein Fehler des fuͤnften Nerven
Schuld zu ſein ſchien (p): wenigſtens war der Speichel-
fluß und Hundskrampf davon entſtanden (q). Dieſer
iſt es und nicht der neunte, welcher den Muſkeln des

Kinn-
(k) [Spaltenumbruch] I. R. M. n. 486.
(l) MONROO beim CHE-
SELDEN
p. 238. SCHLICH-
TING ad VERBRUGGE p.
150.
(m) Buch XIII. Abſchn. 1. §. 1.
(n) Buch X.
(o) [Spaltenumbruch] BIDLOO tab. 14. f. 1.
BERRETTINI tab. 10. 12. 13. f.
2.
(p) Eph. Nat. Cur. Vol. VIII.
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86.
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392.
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[408/0426] Der Geſchmak. XIII. Buch. in die aͤuſſere Haut der Zunge eingeflochten waͤren, nicht ins Fleiſchige giengen, die Nerven aber des neunten Paa- res ſich in die Muſkeln vertheilten. Hingegen bildete ſich unſer ehemaliger Lehrer (k) ein, daß blos der neunte Nerve in die Zunge gehe, daß ſich der fuͤnfte auch in andre Theile des Koͤrpers erſtrekke, folglich ſcheine es billig zu ſein, das beſondere Amt der Zunge von einem Nerven zu erwarten, welcher ſchon ſelbſt der Zunge eigentuͤmlich angehoͤrt. Auch andre folgten dem Gedanken dieſes vortreflichen Mannes, wie es zu ge- hen pflegt, nach (l). Doch es ſcheint, daß man beide Saͤzze dieſes vortref- lichen Mannes beſtreiten koͤnne. Denn die Zunge ver- richtet nicht durchgaͤngig den Geſchmak allein (m), und es theilt ſich der Nerve des neunten Paares, auſſer der Zunge, noch vielen andern Nerven mit (n). Es iſt aber billig, den Geſchmak von demjenigen Nerven zu erwarten, deſſen Aeſte ſich in den Theilen der Zunge ausbreiten, die die meiſte Empfindung haben. Nun erſtrekkt ſich blos der fuͤnfte in die Spizze der Zunge (o), wo der ſchaͤrfſte Geſchmak ſeinen Sizz hat, und der neunte endigt ſich viel ehe. Und von dieſem Nerven allein, der tief in die Zunge eindringt, habe ich die kleine Aeſte bis in die Waͤrzchen verfolgt. Doch es ſcheinen auch die Krankheiten unſrer Meinung zu ſtatten zu kommen. Es hoͤrte der Geſchmak im Hunds- krampfe auf, woran ein Fehler des fuͤnften Nerven Schuld zu ſein ſchien (p): wenigſtens war der Speichel- fluß und Hundskrampf davon entſtanden (q). Dieſer iſt es und nicht der neunte, welcher den Muſkeln des Kinn- (k) I. R. M. n. 486. (l) MONROO beim CHE- SELDEN p. 238. SCHLICH- TING ad VERBRUGGE p. 150. (m) Buch XIII. Abſchn. 1. §. 1. (n) Buch X. (o) BIDLOO tab. 14. f. 1. BERRETTINI tab. 10. 12. 13. f. 2. (p) Eph. Nat. Cur. Vol. VIII. obſ. 86. (q) MONROO on nerves p. 392.

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/426>, abgerufen am 22.11.2024.