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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

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Das Gehör. XV. Buch.
diese Spinne ganz unschuldig, und die Krankheit viel-
mehr eine Art von Melancholie sei, von der einige Leu-
te angefallen würden. Nun gebe ich in so ferne zu, daß
Schwermüthige durch lustige Thöne curiret werden, daß
selbige ihr zur Betrübniß geneigtes Gemüthe von derje-
nigen Wollust abziehen, welche Leute von diesem Schla-
ge in schwermüthigen Jdeen suchen.

Es stekkt auch in den starken Thönen etwas Mecha-
nisches, das Gehirn zu beunruhigen, das Geblüt in
Bewegung zu setzen, und eine Art von Fieber hervor-
zu bringen. Wir lesen, daß das Blut beim Trummel-
schlage geschwinder fliesse, wenn man dabei eine Blut-
ader öffnet (t).

Dieses versuchte ehedem der berühmte Roger (u), dem
das Schicksal kein langes Leben bestimmt hatte, dadurch
zu erklären, daß fremdartige Theile unter unsere Lebens-
geister gemischt würden: diese würden nach seiner Mey-
nung verdichtet, und auf solche Art gleichstimmig mit
solchen Thönen, mit denen sie sonst nichts harmonisch
hatten; wenn also diese Thöne erregt würden, so entste-
he in den Lebensgeistern eine Bewegung, wodurch sie
feiner gemacht würden. Doch es hätte erst das Phä-
nomenon bestätigt seyn müssen, ehe man seine Auflö-
sung suchte.

[Spaltenumbruch]

Etwas
lancholischen Wahnwizz. SERAO
daß sich dabei moralische Ursachen
und Begierde zur Freiheit vermi-
schen. MICHELI beim MANETT
ad sauvages p.
216. daß diese Fa-
bel nicht von der Tarantel,
sondern Sonnenhizze entsiehe
BIRCH T. III. p. 9. IAMES ca-
[Spaltenumbruch] nin. madn. p.
242. daß es eine
Fabel der Bettler und Vagabun-
den sei. SWAMMERDAM bibl.
pag.
56.
(t) ZODIAC, Med. Gall. T.
II. p.
149.
(u) p. 95. sqq.

Das Gehoͤr. XV. Buch.
dieſe Spinne ganz unſchuldig, und die Krankheit viel-
mehr eine Art von Melancholie ſei, von der einige Leu-
te angefallen wuͤrden. Nun gebe ich in ſo ferne zu, daß
Schwermuͤthige durch luſtige Thoͤne curiret werden, daß
ſelbige ihr zur Betruͤbniß geneigtes Gemuͤthe von derje-
nigen Wolluſt abziehen, welche Leute von dieſem Schla-
ge in ſchwermuͤthigen Jdeen ſuchen.

Es ſtekkt auch in den ſtarken Thoͤnen etwas Mecha-
niſches, das Gehirn zu beunruhigen, das Gebluͤt in
Bewegung zu ſetzen, und eine Art von Fieber hervor-
zu bringen. Wir leſen, daß das Blut beim Trummel-
ſchlage geſchwinder flieſſe, wenn man dabei eine Blut-
ader oͤffnet (t).

Dieſes verſuchte ehedem der beruͤhmte Roger (u), dem
das Schickſal kein langes Leben beſtimmt hatte, dadurch
zu erklaͤren, daß fremdartige Theile unter unſere Lebens-
geiſter gemiſcht wuͤrden: dieſe wuͤrden nach ſeiner Mey-
nung verdichtet, und auf ſolche Art gleichſtimmig mit
ſolchen Thoͤnen, mit denen ſie ſonſt nichts harmoniſch
hatten; wenn alſo dieſe Thoͤne erregt wuͤrden, ſo entſte-
he in den Lebensgeiſtern eine Bewegung, wodurch ſie
feiner gemacht wuͤrden. Doch es haͤtte erſt das Phaͤ-
nomenon beſtaͤtigt ſeyn muͤſſen, ehe man ſeine Aufloͤ-
ſung ſuchte.

[Spaltenumbruch]

Etwas
lancholiſchen Wahnwizz. SERAO
daß ſich dabei moraliſche Urſachen
und Begierde zur Freiheit vermi-
ſchen. MICHELI beim MANETT
ad ſauvages p.
216. daß dieſe Fa-
bel nicht von der Tarantel,
ſondern Sonnenhizze entſiehe
BIRCH T. III. p. 9. IAMES ca-
[Spaltenumbruch] nin. madn. p.
242. daß es eine
Fabel der Bettler und Vagabun-
den ſei. SWAMMERDAM bibl.
pag.
56.
(t) ZODIAC, Med. Gall. T.
II. p.
149.
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[708/0726] Das Gehoͤr. XV. Buch. dieſe Spinne ganz unſchuldig, und die Krankheit viel- mehr eine Art von Melancholie ſei, von der einige Leu- te angefallen wuͤrden. Nun gebe ich in ſo ferne zu, daß Schwermuͤthige durch luſtige Thoͤne curiret werden, daß ſelbige ihr zur Betruͤbniß geneigtes Gemuͤthe von derje- nigen Wolluſt abziehen, welche Leute von dieſem Schla- ge in ſchwermuͤthigen Jdeen ſuchen. Es ſtekkt auch in den ſtarken Thoͤnen etwas Mecha- niſches, das Gehirn zu beunruhigen, das Gebluͤt in Bewegung zu ſetzen, und eine Art von Fieber hervor- zu bringen. Wir leſen, daß das Blut beim Trummel- ſchlage geſchwinder flieſſe, wenn man dabei eine Blut- ader oͤffnet (t). Dieſes verſuchte ehedem der beruͤhmte Roger (u), dem das Schickſal kein langes Leben beſtimmt hatte, dadurch zu erklaͤren, daß fremdartige Theile unter unſere Lebens- geiſter gemiſcht wuͤrden: dieſe wuͤrden nach ſeiner Mey- nung verdichtet, und auf ſolche Art gleichſtimmig mit ſolchen Thoͤnen, mit denen ſie ſonſt nichts harmoniſch hatten; wenn alſo dieſe Thoͤne erregt wuͤrden, ſo entſte- he in den Lebensgeiſtern eine Bewegung, wodurch ſie feiner gemacht wuͤrden. Doch es haͤtte erſt das Phaͤ- nomenon beſtaͤtigt ſeyn muͤſſen, ehe man ſeine Aufloͤ- ſung ſuchte. Etwas (s) (t) ZODIAC, Med. Gall. T. II. p. 149. (u) p. 95. ſqq. (s) lancholiſchen Wahnwizz. SERAO daß ſich dabei moraliſche Urſachen und Begierde zur Freiheit vermi- ſchen. MICHELI beim MANETT ad ſauvages p. 216. daß dieſe Fa- bel nicht von der Tarantel, ſondern Sonnenhizze entſiehe BIRCH T. III. p. 9. IAMES ca- nin. madn. p. 242. daß es eine Fabel der Bettler und Vagabun- den ſei. SWAMMERDAM bibl. pag. 56.

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 708. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/726>, abgerufen am 28.09.2024.